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200.000 Österreicher leiden an Essstörungen  
  Dass sich die Österreicher großteils falsch ernähren, ist spätestens seit der Gallup-Umfrage von letzter Woche bekannt. Neben den gesundheitsschädigenden Auswirkungen wie Bluthochdruck und Übergewicht können falsche Essgewohnheiten auch weitere fatale Konsequenzen nach sich ziehen: In Österreich leiden etwa 200.000 Personen an Essstörungen wie Adipositas, Bulimie oder Anorexie.  
Besonders junge Frauen sind gefährdet, an Magersucht (Anorexia nervosa) oder der Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) zu erkranken. Derzeit geht man davon aus, dass schon fünf Prozent der Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren davon betroffen sind - Tendenz steigend.
->   Gallup-Umfrage: Österreich isst sich krank
Anorexie und Bulimie im Vormarsch
Die Zahl jener Menschen, die unter Anorexie und Bulimie leiden, stieg in den letzten Jahren erschreckend an. Geschätzt wird, dass derzeit rund 2.500 Mädchen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren an ausgeprägter Magersucht, mindestens 5.000 in diesem Alter an einer sich entwickelnden Anorexie leiden. Von Bulimie dürften 6.500 Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren betroffen sein.

Und jedes Jahr kommen rund 600 neue Anorexie- und 900 Bulimie-Erkrankungen dazu. Mädchen und Frauen leiden etwa zehn Mal häufiger als Burschen und Männer an einer dieser psychischen Krankheiten, die Ausdruck für tiefer liegende Probleme sind und zu bedrohlichen Gesundheitsschädigungen führen.
Falsches Essverhalten - Ursprung in der Kindheit
"Die Prägung des Essverhaltens beginnt schon sehr früh, nämlich dann, wenn Kinder gemeinsam mit 'den Großen' an einem Tisch sitzen. Gerade in dieser Zeit sind die Eltern prägendes Vorbild für spätere Essgewohnheiten", erläutert die Ernährungswissenschaftlerin Sabine Bisovsky.

"Wenn dann Essen als Druck- oder Belohnungsmittel eingesetzt wird, hält sich dieses Muster gerade bei Mädchen bis ins Erwachsenenalter." Dennoch würden noch immer häufig Nahrungsmittel als Erziehungsstrategie eingesetzt: die Lieblingsspeise als Belohnung und der Entzug als Bestrafung.
Vom Mädchen zur Frau
"Beim Wandel vom Mädchen zur Frau ergeben sich oft Probleme mit der neuen Rolle. Das Mädchen muss für sich und seinen Körper eine neue Rollendefinition finden. Probleme ergeben sich auch daraus, den veränderten Körper positiv wahrzunehmen", meint Beate Wimmer-Puchinger, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Frauengesundheitsforschung und Wiener Frauen-Gesundheitsbeauftragte.

Diese Psychodynamik werde durch die Gesellschaft, also durch die gängigen Schönheitsideale und Modezwänge verstärkt.
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Anorexie - "frei von Begierde"
Der Begriff "Anorexis" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "frei von Begierde, frei von Hunger sein". Anorektikerinnen richten ihr gesamtes Streben auf die Unterdrückung des Hungertriebes. Und gerade deshalb beherrscht das Thema "Nahrung" ihr ganzes Denken.

Die irrationale Furcht davor, dick zu werden, führt zu einem streng ritualisierten Umgang mit Nahrung: So werden nur noch ganz bestimmte Dinge gegessen oder die Nahrungsaufnahme wird auf ganz bestimmte Zeiten beschränkt. Mehr als 40 Prozent der Magersüchtigen leiden gleichzeitig noch an bulimischen Symptomen.
->   Wie erkennt man eine Essstörung?
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"... noch immer zu dick!"
Magersüchtigen fehlt die Krankheitseinsicht. Sie nehmen sich als fett und unförmig wahr, obwohl sie nur noch "Haut und Knochen" sind.

Dabei handelt es sich um keinen "Spleen", sondern um echte Wahrnehmungsstörungen, die auf eine veränderte Hirntätigkeit als Folge der Störungen im Hormon- und Elektrolythaushalt zurückzuführen sind.

Besorgte Bemerkungen wie "Du siehst ja schon wie ein Skelett aus" erzielen daher keine Krankheitseinsicht, sondern erfüllen die Betroffenen vielmehr mit Stolz.
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Bulimie - "der Ochsenhunger"
Auch "Bulimia" entstammt dem Griechischen und bedeutet "Stier- oder Ochsenhunger". Bei einem "Essanfall" nehmen Betroffene bis zu 10.000 Kalorien (der Tagesbedarf eines Erwachsenen liegt bei ca. 2.500 Kalorien) zu sich.

Auch hier handelt es sich um eine psychische Störung. "Fressperioden" wechseln sich mit Phasen der "Entleerung" durch Erbrechen ab. Meist stellt der Ess-Brech-Kreislauf ein Ventil für Frustrationsgefühle, Enttäuschungen, Ärger, Wut, Einsamkeit und Langeweile dar. Ess-Brech-Sucht tritt bedeutend häufiger auf als Magersucht.
->   Wie erkennt man Bulimie?
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Ursachen von Anorexie und Bulimie
Essstörungen sind keine Diätpannen oder Abnehmversuche mit Bremsversagen, sondern der Versuch, massive psychische Störungen zu bewältigen.

So sind Diäten zwar oft ein "willkommener" Einstieg in die Krankheit, aber nicht deren Ursache. Dennoch beeinflusst der Drang nach "idealen" weiblichen Körperformen und Perfektionismus im Beruf und in der Familie stark das Selbstwertgefühl.

Durch das Hungern oder das Erreichen eines "Idealgewichtes" wird versucht, mangelndes Selbstwertgefühl auszugleichen, und somit subjektiv Unabhängigkeit und Autonomie über den eigenen Körper - oder auch gegenüber der Familie - zu erlangen.

Oft als "Spinnereien oder Faxen" von Töchtern abgetan und bagatellisiert, sind Anorexie und Bulimie schwere psychische Krankheiten mit teilweise fatalen körperlichen Langzeitfolgen. Anorexie hat die höchste Sterblichkeitsrate aller psychiatrischen Erkrankungen: Fünf bis 15 Prozent der Magersüchtigen verhungern.
->   Weitere Informationen über Bulimie und Anorexie
Körperliche Folgen von Anorexie
Bei Anorexie stellt das niedrige Gewicht eine enorme Belastung für Herz und Kreislauf dar. Störungen der Nierenfunktion und des Hormonhaushaltes sind häufig.

Die Monatsblutung bleibt aus, und bedingt durch die drastische Reduktion der Östrogenproduktion kann es zum Auftreten von Osteoporose kommen.
Körperliche Folgen von Bulimie
Bei Bulimie werden Speiseröhre und Magen-Darm-Trakt durch das ständige Erbrechen und durch den Missbrauch von Abführ- und harntreibenden Mitteln schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Dadurch kommt es zum Verlust lebenswichtiger Mineralstoffe und Vitamine, was - wie bei der Anorexie - Störungen der Herz- und Nierenfunktion zur Folge haben kann.

Auch hier kann es durch Störungen des Hormonhaushaltes zur Osteoporose kommen. Außerdem zerstört die erbrochene Magensäure auf Dauer den Zahnschmelz - starker Zahnverfall ist die Folge.
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Service-Telefonnummern
Ernährungs-Hotline: 0800 10 227 zum Ortstarif (Mo - Fr, 9.00 - 15.00 Uhr)

Essstörungs-Hotline: 0800 20 11 20 (Mo - Do, 12.00 - 17.00 Uhr)
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Der Weg aus dem Teufelskreis
Anorexie und Bulimie sind allerdings behandelbar. Auch nach mehrjähriger Krankheit ist eine Heilung möglich. Experten sind sich einig, dass eine Psychotherapie die Therapie der Wahl ist. Allerdings nur, wenn die Patientin dazu bereit und der körperliche Gesundheitszustand stabilisiert ist.

Meist handelt es sich um mehrdimensionale Therapieansätze, oft mit einem Schwerpunkt auf Gestalt- und Körpertherapie, wenn nötig, wird auch eine Familientherapie angeboten.

Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen haben sich sehr bewährt und werden inzwischen von vielen Stellen in Österreich angeboten. Wichtig ist, dass Betroffene so rasch wie möglich zu einer gezielten Therapie gelangen, denn je früher die Behandlung erfolgt, desto günstiger die langfristige Prognose.

Martina Weigl, Christoph Leprich
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Mehr zum Thema "Ernährungsstrategien und Ernährungsfallen im Leben einer Frau" können Sie in der Sendung "Der Radiodoktor" am Montag, dem 28.1.2002, um 14.05 Uhr in Ö1 erfahren.
->   Radio Österreich 1
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->   Frauen, Eltern, Mädchen: Gesundheitszentrum
->   Hotlines, Ambulanzen, Selbsthilfegruppen (Stadt Wien)
->   www.gesundesleben.at
->   Mehr über Essstörungen, Bulimie, Magersucht
 
 
 
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01.01.2010