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Der verlustfreien Stromleitung ein Stück näher  
  Hochtemperatursupraleiter sind seit 15 Jahren bekannt und finden in zunehmenden Maße in Technologien wie Großrechenanlagen und Teilchenbeschleunigern Anwendung. Trotzdem ist der diesem Phänomen zugrunde liegende Mechanismus der verlustfreien Stromleitung noch unzureichend erklärt. Durch Experimente hat ein internationales Physikerteam eine spezielle magnetische Ordnung, die von zentraler Bedeutung für die Hochtemperatursupraleitung ist, entdeckt. Die neuen Ergebnisse sollen zu effizienteren Supraleitertechnologien führen.  
Ihre Ergebnisse stellen die Forscher vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, dem Centre d'Energie Atomique in Frankreich und von der Russischen Akademie der Wissenschaften in der aktuellen Online-Ausgabe der Zeitschrift "Science" (Science Express) vor.
->   Artikel in "Science Express" (kostenpflichtig)
Strom-Transport mit Verlusten
Normale Metalle wie Kupfer heizen sich auf, wenn durch sie ein elektrischer Strom fließt. Deshalb ist der Transport von Elektrizität stets mit großen Verlusten verbunden. Um diese in Grenzen zu halten, sind technische Großanlagen wie z.B. Hochspannungsleitungen erforderlich.

Einige Metalle werden jedoch unterhalb der so genannten Sprungtemperatur zu Supraleitern, d.h. sie leiten elektrischen Strom ohne jeglichen Verlust. Bei diesem Temperatur-Übergang ändern sich physikalische Eigenschaften, z.B. die magnetischen.

Doch leider liegt diese Sprungtemperatur bei herkömmlichen Supraleitern nur einige Grade über dem absoluten Nullpunkt (-273 Grad Celsius). Da die Abkühlung auf diese Temperatur mit erheblichem Aufwand verbunden ist, findet man solche Supraleiter nur in wenigen technischen Anwendungen.
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Erste "Hochtemperatur"-Supraleiter 1986
1986 entdeckten J.G. Bednorz und K.A. Müller Supraleitung in einer Klasse von Kupferoxiden, deren maximale Sprungtemperatur bei Normaldruck immerhin schon 134 K (-139 Grad Celsius) beträgt. Für die Entdeckung dieser Hochtemperatursupraleiter erhielten Bednorz und Müller im Jahr 1987 den Physik-Nobelpreis.

Seither ist das Interesse an den Hochtemperatursupraleitern ungebrochen. Es beruht darauf, dass viele dieser Materialien bereits bei Kühlung mit flüssigem Stickstoff (77 K) supraleitend werden, was deutlich kostengünstiger ist als die Kühlung mit Helium (4,2 K).
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Bisherige Theorie nur bedingt anwendbar
Doch trotz großer Erfolge bei der Entwicklung dieser Materialien ist der zugrunde liegende Mechanismus noch immer ungeklärt. Denn die herkömmliche Theorie der Supraleitung ist auf die Hochtemperatursupraleiter nur beschränkt anwendbar.

Dieser Theorie zufolge bilden je zwei freie Elektronen eines Metalls unterhalb der Sprungtemperatur so genannte "Cooper-Paare". Jedes Cooper-Paar lässt sich in der Quantenmechanik als neues Teilchen, als "Boson", beschreiben. Seit Einstein und Bose weiß man, dass ein System von Bosonen bei tiefen Temperaturen
in einen Materiezustand, in dem alle Teilchen den gleichen Energiezustand besetzen, übergeht.

Im kondensierten Zustand kann sich daher jedes Boson ohne Widerstand vom einem zum anderen Ende eines Materials bewegen. Die Entdeckung dieser "Bose-Einstein-Kondensation" in Systemen atomarer Bosonen wurde im Jahr 2001 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Ähnliches Prinzip
Der Supraleitung liegt ein ganz ähnliches Prinzip zugrunde - mit einem Unterschied: Die aus zwei Elektronen bestehenden Cooper-Paare sind elektrisch geladen und können daher den elektrischen Strom völlig ungehindert durch das gesamte Material transportieren.

Da die beiden Elektronen eines Cooper-Paares negativ geladen sind, stoßen sie sich gegenseitig ab. Deshalb wird für die Bildung der Cooper-Paare eine der elektrischen Abstoßung entgegenwirkende Kraft gebraucht. In herkömmlichen Supraleitern kommt diese Kraft aus den positiv geladenen Atomkernen.

Diese heben die Abstoßung der Elektronen auf. Die Stärke der positiv geladenen Atomkerne reicht allerdings nur für die Supraleitung bei sehr niedrigen Temperaturen, wie in herkömmlichen Metallen.
Stärkere Kraft benötigt
Für die Bildung von Cooper-Paaren in Hochtemperatursupraleitern bedarf es aber einer stärkeren Kraft zur Überwindung der Elektronen-Abstoßung .

Deshalb untersuchten die Wissenschaftler den Hochtemperatursupraleiter "Tl2Ba2CuO6" mit Neutronenstrahlen, da diese zur Überwindung jener Abstoßung vielversprechend schienen,.
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Neutronenstrahlung
Neutronenstreuung arbeitet ähnlich wie die Streuung von Lichtstrahlen. Aus der Streuung von Neutronenstrahlen können detaillierte Daten über die Beschaffenheit von Materialien gewonnen werden. Doch anders als Licht dringen Neutronen tief ins Innere eines Materials vor, sodass Informationen über die Gesamtheit des Materials verfügbar werden.

Neutronen haben einen Eigendrehimpuls, den "Spin", und damit ein magnetisches Moment. Sie verhalten sich deshalb wie winzige Stabmagnete. Auch Elektronen innerhalb eines Festkörpers besitzten einen Spin. Werden zwei Stabmagnete nebeneinander gehalten, stoßen sie sich ab oder ziehen sich an, je nachdem wie sie zueinander orientiert sind. Dasselbe passiert mit den Neutronen und Elektronen innerhalb eines Festkörpers: Durch ihre Wechselwirkung kehrt sich der Neutronenspin um und der einfallende Neutronenstrahl wird entsprechend abgelenkt, was gemessen und ausgewertet werden kann.
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Großer Kristall ermöglicht Experiment
Bisher wurden Neutronenstreu-Experimente mit Hochtemperatursupraleitern dadurch erschwert, dass die dafür benötigten großen Kristalle nur äußerst schwer zu erzeugen waren.

Den Forschern gelang es jetzt, dieses Problem zu lösen: Sie verpackten mehrere hundert winzige Kristalle in eine Art "Mosaik", das als Ganzes einem großen Kristall entspricht und damit Neutronenstreu-Experimente an dem Hochtemperatursupraleiter möglich machte (siehe Abbildung unten).

 
Bild: Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Die Darstellung zeigt die Untersuchung eines Mosaiks aus Kristallen eines Hochtemperatursupraleiters mit Neutronenstrahlen (gelb). Bild: Max-Planck-Institut für Festkörperforschung.
Magnetischer Erklärungsansatz
Bei diesen Experimenten hat das Forscherteam einen neuen Erklärungsnsatz zur Hochtemperatursupraleitung gefunden - einen magnetischen Mechanismus zur Bildung der Cooper-Paare.

Schon früher hatten Physiker bei der Untersuchung von bestimmten Kupferoxiden mit magnetischer Neutronenstreuung Hinweise darauf entdeckt, dass sich der Spin der Elektronen in Hochtemperatursupraleitern anders verhält als in konventionellen Supraleitern.
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Supraleiter
Eigenschaft mancher Metalle, dem elektrischen Strom keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen. Wird in einer supraleitenden Drahtschleife ein Strom induziert, so fließt er nach dem Ausschalten des Primärstromkreises noch mehrere Stunden.

Der Übergang vom normalen zum supraleitenden Zustand erfolgt bei einer stoffspezifischen Sprungtemperatur. Bei diesem Übergang ändern sich bestimmte physikalische Eigenschaften, z. B. die magnetischen. Nach der BCS-Theorie bilden je zwei Leitungselektronen eines Metalls unterhalb einer bestimmten tiefen Temperatur die erwähnten "Cooper-Paare".

Diese Elektronenpaare können sich frei durch das Metallgitter bewegen, d. h., der elektrische Widerstand verschwindet. Steigt die Temperatur an, dann werden die Paare wieder getrennt. Die einzelnen Elektronen sind zu normalen Leitungselektronen geworden; der elektrische Widerstand tritt wieder auf.
->   Mehr zur Supraleitung
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Ungewöhnliche magnetische Ordnung
Während sie in konventionellen Supraleitern völlig ungeordnet sind, weisen die Spins in Hochtemperatursupraleitern eine ungewöhnliche magnetische Ordnung auf: Der Spin jedes zweiten Elektrons ist genau in die andere Richtung orientiert wie der erste.

Doch anders als in Materialien wie z.B. magnetisiertem Eisen, wo alle Elektronenspins dauerhaft in eine Richtung zeigen, fluktuiert dieses magnetische Ordnungsmuster in den Hochtemperatursupraleitern, d.h. es entsteht und vergeht über kurze Zeitspannen.

"Die aus unserem Kristall-Mosaik gewonnenen Daten lassen es plausibel erscheinen, dass sich die Cooper-Paare in diesem Hochtemperatursupraleiter über einen magnetischen Mechanismus bilden", erklärt Bernhard Keimer, Direktor am Stuttgart Max-Planck-Institut für Festkörperforschung.
Endgültige Theorie für Hochtemperatursupraleiter
Dieser Mechanismus könnte laut Keimer "darauf
beruhen, dass sich Elektronenpaare einfacher durch einen Hintergrund fluktuierender Elektronenspins bewegen können als einzelne freie Elektronen - sie würden auf diese Weise magnetische Energie sparen."

Der Max-Planck-Forscher geht deshalb davon aus, "dass mit unseren Ergebnissen nach fast 15 Jahren Forschung eine endgültige Theorie der Hochtemperatursupraleitung in greifbare Nähe gerückt ist."
Weitere Tests nötig
Einschränkend fügt Keimer hinzu: "Diese Erklärung ist allerdings nur dann überzeugend, wenn wir eine fluktuierende magnetische Ordnung tatsächlich in allen Hochtemperatursupraleitern nachweisen können, insbesondere auch in den chemisch reinsten Materialien mit den höchsten Sprungtemperaturen."

Deshalb wollen die Wissenschaftler ihre "prototypisch" an einem Hochtemperatursupraleiter gewonnenen Einsichten an weiteren Stoffen testen.
->   Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
->   Hompepage von Bernhard Keimer
->   Der Traum vom Supraleiter
 
 
 
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01.01.2010