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30 Jahre "Bloody Sunday": Ein Wendepunkt im Nordirlandkonflikt  
  Am Mittwoch jährt sich der nordirische "Bloody Sunday" zum 30. Mal: Der 30. Jänner 1972 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Nordirlandkonflikts. Damals erschossen britische Truppen bei einer Demonstration im nordirischen Derry 14 unbewaffnete Katholiken und verletzten 17 weitere. Danach erhielt die Irisch-Republikanische Armee (IRA), die für die Unabhängigkeit von Großbritannien kämpft, regen Zulauf.  
Angehörige der Opfer des "Bloody Sunday" fordern bis heute von der britischen Regierung Gerechtigkeit, denn die Umstände der Ereignisse sind noch immer ungeklärt.
Die Ereignisse
Am 30. Januar 1972 demonstrierten knapp10.000 katholischgläubige Demonstranten im nordirischen Derry gegen die jüngsten Internierungs-Gesetze der britischen Behörden. Gegen 15.00 Uhr marschierte die Menge in Richtung des Rathauses in der Innenstadt.

Während der Großteil der Demonstranten zum "Free Derry Corner" abbog, marschiert eine kleinere Gruppe zur William Street, wo die Demonstranten auf von britischen Soldaten errichtete Barrikaden trafen. Die Demonstranten schleuderten Wurgschosse, woraufhin die britischen Polizisten gegen die Randalierer vorgingen.

Dann tauchten plötzlich Militärfahrzeuge in der Straße auf, auf der sich der Hauptzug der Demonstration inzwischen befand. Britisches Militär eröffnete das Feuer. Kurz darauf waren 13 Katholiken tot und mindestens ebenso viele verletzt, ein Mann erlag später im Krankenhaus seine Verletztungen.
Untersuchung gefordert
Der von der bekannten irischen Pop-Band U2 besungene "Bloody Sunday" fachte die religiös motivierten und schon länger bestehenden Auseinandersetzungen in Nordirland weiter an.

Die Angehörigen der Opfer hatten jahrelang auf eine Aufwicklung der Vorfälle gedrängt. Sie waren dabei auch von der Regierung der Republik Irland unterstützt worden.

In einem Dossier der irischen Regierung hieß es, in einer früheren Untersuchung sei versucht worden, "die Opfer selbst für ihren eigenen Tod verantwortlich zu machen." Das Dossier war unter anderem Grundlage für die Entscheidung der Regierung Blair, den Vorfall detallierter zu untersuchen.
Widersprüchliche Ergebnisse?
Die richterliche Untersuchung aus dem Jahre 1972, auf die sich das Dossier der irischen Regierung bezog, war zu dem Schluss gekommen, dass die Fallschirmjäger, die die tödlichen Schüsse abgaben, zuvor aus dem katholischen Bogside-Viertel von Derry unter Beschuss geraten seien.

Seit damals war nach den Worten Blairs "großes Gewicht" an neuem Material zusammengekommen, das eine neue - wenn auch schwierige - Untersuchung rechtfertige.

Blair hatte deshalb 1998 Untersuchungen angeordnet, nachdem zahlreiche Zeugen diese offizielle, richterliche Version der "Bloody-Sunday-Ereignisse" nicht bestätigt hatten.
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Die Wurzeln des Konflikts 1
Die Wurzeln des Nordirland-Konflikts reichen bis ins
12. Jahrhundert zurück, als sich anglo-normannische Eroberer und englische Siedler rund um Dublin niederließen. Bereits im 14. Jahrhundert versuchten die Engländer, ihr Vormachtstellung in Irland zu sichern und den Iren ihre Sprache aufzudrängen.

1541 rief sich der englische König Heinrich VIII. zum Herrscher über ganz Irland aus. Weitere Grundlagen für die andauernden blutigen Auseinandersetzungen in Nordirland wurden im 17. Jahrhundert gelegt. Damals wurden protestantische Schotten und Engländer vornehmlich in der Region um Ulster angesiedelt, dazu wurden alteingesessene Iren umgesiedelt und zwangsenteignet.
->   Geschichte und Wurzeln des Nordirland-Konflikts
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"Schlechte Menschen" getötet
Vor zwei Jahren hatte die IRA eine Tonbandaufnahme veröffentlicht, die das britische Militär schwer belastete. Der geheime Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen zwei britischen Soldaten, die sich über den "Bloody Sunday" unterhalten, wurde damals dem zuständigen Gericht in Derry übergeben.

Die "schlechten Menschen" seien getötet worden, auch Frauen und Kinder, sagt demnach der eine Soldat in dem Telefonat, das im Jänner 1972 in der Victoria-Kaserne des britischen Hauptquartiers in Derry aufgenommen wurde.

Der damalige Vize-Befehlshaber Robert Ford habe triumphierend von der "besten Operation seit langem" gesprochen, erzählt der Soldat weiter.
Schüsse kein Unfall
Das Tonband beweise, dass die Schüsse kein Unfall gewesen seien, sondern eine geplante Aktion, sagte der Bruder eines damals Getöteten, John Kelly, nachdem er die Aufnahme gehört hatte.

Der Mitschnitt wurde über die Tageszeitung "Derry Journal" an das Gericht weitergeleitet, das den Tod der 14 katholischen Demonstranten am 30. Jänner 1972 untersuchte.

Die Angehörigen der Toten hatten danach gefordert, die betroffenen Soldaten sollten anhand ihrer Stimmen identifiziert und vorgeladen werden.
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Die Wurzeln des Konflikts 2
Die erste blutige Auseinandersetzung ereignete sich 1641. Die katholisch-gälischen Ureinwohner begehrten gegen die protestantischen Siedler auf. Diesen wurde damit endgültig klar, dass sie in ihrer neuen Heimat alles andere als erwünscht waren. Rund 100 Protestanten kamen bei dem Aufstand ums Leben. Im Gegenzug schlug Oliver Cromwell 1649 in der Schlacht bei Drogheda einen irischen Aufstand nieder.

Als das britische Parlament im Jahr 1911 die so genannte "Home Rule" für eine Unabhängigkeit Irlands verabschiedete, gründeten die Protestanten, die unter keinen Umständen unter katholischer Herrschaft stehen wollten, eine eigene Armee. Der Aufstand war nicht von Erfolg gekrönt. 1918 fanden in Irland erstmals freie Wahlen statt, deren Sieger die irische Partei Sinn Fein war. Diese verkündeten die Unabhängigkeit von Irland. Nach erneuten Kämpfen wurde Irland 1921 im anglo-irischen Vertrag geteilt.
->   Chronologie des Nordirland-Konfliktes seit den 1960ern
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Manipulationen durch die Armee
Ein britischer Soldat hatte im selben Jahr (2000) die Streitkräfte seines Landes in Zusammenhang mit dem "Bloody Sunday" schwer belastet.

Nach seinen Aussagen gab damals mindestens ein Offizier den britischen Truppen Schießbefehl gegen die Teilnehmer einer friedlichen Kundgebung in Derry.

Nach den Aussagen des Soldaten kam es 1972 unmittelbar nach dem Massaker zu massiven Manipulationen bei der offiziellen Darstellung der Ereignisse.

Mit der Behauptung, dass die Armee nur aus Notwehr das Feuer eröffnet habe, wurde jede Verantwortung für die Toten zurückgewiesen.

Der Zeuge hinterlegte seine Aussage auch schriftlich, um seine Glaubwürdigkeit zu untermauern. Dennoch wurde die Erklärung von einem vorgesetzten Offizier umgehend bestritten.
Rege Diskussionen
Das Massaker wird um den Jahrestag herum rege in der
Öffentlichkeit diskutiert. Der "Bloody Sunday" gilt als Auslöser für die Jahrzehnte langen Zusammenstöße und Untergrundkämpfe in Nordirland, die mehrere Tausend Menschenleben kosteten.

Erst mit dem Karfreitagsabkommen gelang 1998 ein Durchbruch. Die endgültige Aussöhnung zwischen Protestanten und Katholiken konnte aber in Nordirland bis heute nicht erreicht werden.

Die 1998 von Tony Blair eingesetzte Untersuchungskommission soll bis 2004 eine vollständige und endgültige Aufklärung der Ereignisse des "Blutigen Sonntags" liefern.
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Das Karfreitagsabkommen
Das so genannte Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 kam auf Vermittlung des ehemaligen US-Senators George Mitchell zustande. Es sollte den Kreislauf der Gewalt durchbrechen, in dem Nordirland seit dem Ende der sechziger Jahre gefangen ist.

Ein Kernpunkt des Abkommens war die Rückgabe der 1972 aufgehobenen Selbstverwaltung Nordirlands. Konkret bedeutete dies die Bildung eines nordirischen Regionalparlaments sowie einer nordirischen Regionalregierung.
->   Mehr zum Karfreitagsabkommen
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->   Presseschau des Guardian zum 'Bloody Sunday'
->   Rembering 'Bloody Sunday'
->   Der U2-Song zum Anhören und Lesen
 
 
 
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01.01.2010