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Neue Erkenntnisse der Schmerzbekämpfung  
  Rund eine halbe Million Österreicher leidet an chronischen Schmerzen. Die Schmerztherapie bietet zahlreiche neue Methoden an, die in der Praxis jedoch noch nicht flächendeckend zum Einsatz kommen.  
Bekämpfung des Schmerzes
Jahrhundertelang hat man - geprägt von der abendländisch christlichen Tradition - den Schmerz als Teil des menschlichen Lebens meist hingenommen. In den letzten Jahren beginnt man ihn medizinisch zu bekämpfen. "Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn" - dieses Zitat aus Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien ist überholt. Ausschalten statt aushalten lautet nun die Devise.

An Krankenhäusern werden Schmerzambulanzen eingerichtet. Schmerzzentren entstehen. Es entwickelt sich ein eigener medizinischer Fachbereich - die Schmerztherapie.

Kritiker wenden allerdings ein, dass die psychische Seite des Schmerzes vernachlässigt werde. Fest steht: Die Schmerzforschung ist ein Gebiet, das zur Zeit boomt.
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Das Schmerzgedächtnis ist verhängnisvoll
Es gibt ein Schmerzgedächtnis. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Schmerzforschung, die zu einem anderen Denken im Umgang mit Schmerz geführt hat. Denn leidet jemand länger unter Schmerzen, führt das zu Veränderungen des Zentralnervensystems. Die Folgen sind verhängnisvoll. Der Betreffende wird schmerzempfindlicher und nicht - wie man früher fälschlicherweise angenommen hat - abgehärtet.
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Kontrollierter Einsatz von Opioiden
In der neueren Schmerztherapie hat sich vor allem die Einstellung zu den Opioiden geändert. Ihr Einsatz wurde - aus Angst vor Abhängigkeit - lange abgelehnt. Zu unrecht, sagen heute Schmerztherapeuten. Bei kontrolliertem Einsatz bestehe keine Gefahr.

Der Einsatz von Opioiden und anderen Schmerzmitteln variiert allerdings sehr stark von Staat zu Staat. In katholischen Ländern ist er weitaus geringer als in protestantischen. In Dänemark werden beispielsweise vier Mal so viele Schmerzmittel verwendet wie in Österreich.

Theoretisch steht die Schmerztherapie heute auf hohem Niveau. Die Praxis schaut aber oft ernüchternd aus, vor allem auf dem Land.
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Mittel der Schmerzbekämpfung
Sehr wirksam sind neben Opioiden vor allem die Schmerzpumpen und die Rückenmarkstimulationen, deren Wirkungsgrad die Patienten selber einstellen können. In vielen Fällen haben sich auch die Schmerzpflaster bewährt, die keineswegs so harmlos sind wie sie klingen. Sie enthalten hochpotente Opioide. Noch lange nicht einsetzbar, aber eifrigst erforscht werden zur Zeit Schmerztherapien, die direkt an Genen ansetzen. Österreichische Wissenschaftler haben vor kurzem das sogenannte DREAM-Gen gefunden, ein Gen, das den Schmerz kontrolliert. Zumindest bei Mäusen konnte man durch Ausschalten dieses Gens Schmerzfreiheit erreichen. Viel diskutiert werden in letzter Zeit auch die Cannabinoide, also Marihuana und Haschisch.
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Die Erwartung der Patienten ist entscheidend
Die neuesten Erkenntnisse über Schmerzentstehung, Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung basieren vor allem auf den Arbeiten des englischen Neurowissenschaftlers und Schmerzforschers Patrick Wall. Er ist neben dem amerikanischen Schmerzforscher Ronald Melzack und Walter Zielggänsberger vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie einer der Pioniere der Schmerzforschung.

Patrick Wall hat sich unter anderem mit der Placebo-Frage beschäftigt und in zahlreichen Tests bewiesen, dass die Wirkung eines Medikaments immer auch wesentlich von der Erwartung des Patienten abhängt. Genau aus diesem Grund dürfe die Schmerztherapie nicht nach einem automatisierten Schema ablaufen, wie das oft der Fall ist, kritisiert Patrick Wall.

Patrick Wall hat sich auch intensiv mit dem Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Schmerzwahrnehmung beschäftigt. Ohne Aufmerksamkeit kein Schmerz.
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Aufmerksamkeit und Schmerzwahrnehmung
Als drastischen Beleg für diese Erkenntnis nennt Patrick Wall Ronald Reagan, der nicht bemerkte, wie er am 30. April 1981 angeschossen wurde, weil er total abgelenkt war. Auch Stress beeinflusst die Schmerzwahrnehmung wesentlich. Das hat Patrick Wall ebenfalls nachgewiesen. Ein simples Alltagsbeispiel dafür ist die Situation beim Zahnarzt. Durch den Stress kann es passieren, dass der Zahn, der vorher weh getan hat, plötzlich nicht mehr schmerzt.
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Schmerzwahrnehmung im kulturellen Zusammenhang
Schmerz hat in vielen Kulturen eine besondere Bedeutung. In den vergangenen Jahren hat man beispielsweise viele Zeichnungen der Mayas deuten können und herausgefunden, dass es bei diesem Volk ein besonderes Schmerzritual gegeben hat. Der Stammesführer brachte zu Beginn jedes neuen Jahres den Göttern ein Blutopfer, das er mit dem Stachel eines Stachelrochen aus seinem Glied gewann.

Schmerzen sind kulturell geformt. Ein geschundener Körper steht in unserer religiösen Tradition oft für ein höheres Ziel.

Die Schmerzwahrnehmung ist auch durch unser Medizinsystem bestimmt. In der westlichen Welt werden Schmerzen meist als bloßes Signal für einen körperlichen Defekt gesehen, der so schnell wie möglich repariert werden soll.
Wer ist für die Schmerzen zuständig?
Die neuere Schmerzforschung hat mit einigen irrigen Meinungen aufgeräumt. Zum Beispiel mit der Annahme, dass alte Menschen oder Neugeborene weniger schmerzempfindlich sind. Das ist inzwischen eindeutig widerlegt.

Schmerztherapie ist wichtig. Da sind sich in den westlichen Ländern alle einig. Dass sie jedoch eine nahezu ausschließliche Domäne von Ärzten ist, wird vor allem von Psychologen heftig kritisiert.

Ein Beitrag von Maria Mayer für das "Salzburger Nachtstudio" am 6. 2. um 21.00 Uhr im Programm Österreich 1
->   Radio Österreich 1
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01.01.2010