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Niels Bohrs Briefe sollen den "Krimi" auflösen  
  Wollten die deutschen Physiker Werner Heisenberg und Carl-Friedrich von Weizsäcker während des Zweiten Weltkrieges die Atombombe bauen? Eine Diskussion der Wissenschaftsgeschichte, die nie ganz verstummt ist. Am 6. Februar 2002 wurden in Kopenhagen neue Dokumente veröffentlicht, die nun die Frage beantworten sollen: Briefe und Briefentwürfe des ehemaligen Heisenberg-Lehrers und dänischen Physikers Niels Bohr, um die sich jahrzehntelang Spekulationen rankten.  
Carl-Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg - die bedeutendsten deutschen Physiker dieser Zeit - hatten immer behauptet, dass sie das Projekt zum Bau einer Atombombe während des Krieges erfolglos eingestellt hätten.

Ein Zitat Weizsäckers dazu: "Wir waren darüber froh, denn vorher hatten wir Angst, dass wir sie für ein Scheusal wie Hitler bauen würden."
Bohrs Briefe werfen ein neues Licht auf die Geschichte
Aus den veröffentlichten - nie abgeschickten - Briefen des dänischen Nobelpreisträgers Niels Bohr geht indes anderes hervor. Die Deutschen hätten Anfang der 40er Jahre verzweifelt versucht, das Atomprogramm "Uran-Verein" zum Erfolg zu führen - und sie hätten auch versucht, Bohr im Herbst 1941 bei einem Treffen zur Mitarbeit zu überreden.
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Elf bisher unveröffentlichte Briefe
Das Niels-Bohr-Institut hat elf bisher unveröffentlichten Dokumente ins Internet gestellt. Die Briefe und Textentwürfe sollten, so wie alle anderen Unterlagen aus Bohrs Nachlass, 40 Jahre unter Verschluss bleiben.

Durch das Theaterstück "Copenhagen" des amerikanischen Autors Michael Frayn, in dem es um das geheimnisvolle Zusammentreffen der beiden Physiker Bohr und Heisenberg geht, war die Diskussion um die jeweilige Rolle der Forscher aber in letzter Zeit erneut entbrannt.

Die Familie entschloss sich daher zur Veröffentlichung, um mehr Klarheit in die Sache zu bringen: "The decision has been made in order to avoid possible misunderstandings regarding the contents of the documents", heißt es in einer Erklärung.
->   Die nun veröffentlichten Briefe
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Ein Treffen unter Freunden
Am 15. September 1941 reiste Heisenberg mit Weizsäcker nach Kopenhagen. Heisenberg wollte Bohr, seinen Lehrer und Freund, treffen. Es standen einander an jenem Nachmittag aber nicht mehr nur Freunde, sondern auch die führenden Forscher verfeindeter Staaten gegenüber.

Heisenberg war maßgeblich am deutschen Atom-Forschungsprogramm beteiligt, Bohr musste als Halbjude im besetzten Dänemark mit dem Schlimmsten rechnen. Er sollte später am amerikanischen Manhattan-Projekt mitarbeiten.

Um den folgenden Spaziergang und die Unterhaltung zwischen den beiden Physikern gab es seit Jahren wilde Spekulationen.

 


Niels Bohr bei einem Vortrag
Unterschiedliche Erinnerungen an einen Spaziergang
Heisenberg hatte nach dem Krieg immer bestritten, die Atombombe im Auftrag Hitlers geplant zu haben. Tatsächlich hatte Deutschland, sobald die Bombardements der großen Industrieanlagen begannen, kaum mehr die Mittel, ein so riesiges Programm wie den Bau der Atombombe durchzuführen.

Bisher war unklar, ob Heisenberg Bohr warnen oder ihm drohen wollte - oder ihn gar über den Stand der alliierten Forschung ausfragen wollte.

Heisenberg sagte nach dem Krieg über das Treffen, er habe Bohr über die prinzipielle Möglichkeit der Bombe informieren wollen, auch wenn es technisch sehr aufwendig gewesen sei. Bohr habe aber so geschockt reagiert, dass er den zweiten Teil des Satzes gar nicht gehört hätte.
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Heisenberg in Nazi-Deutschland
Heisenberg war in Nazi-Deutschland keineswegs Liebkind der Mächtigen. Grund war die rege und fruchtbare Zusammenarbeit der Physiker-Gemeinschaft in der Zwischenkriegszeit, deren beste Köpfe dann emigrieren mussten.

1937 wurde Heisenberg im NS-Hetzblatt "Das schwarze Korps" als "Weißer Jude" bezeichnet, weil er unter anderen seine Kollegen Albert Einstein und Lise Meitner schützte.
->   Mehr zu Heisenberg in science.ORF.at
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Auszug aus den Briefen Bohrs
In den nun veröffentlichten Briefen schreibt Bohr an Heisenberg über jenen Nachmittag in Kopenhagen unter anderem: "... Du sagtest, Du und Weizäcker, ihr seid überzeugt Deutschland gewinnt den Krieg, und es wäre ziemlich blöd wenn wir etwas anderes erwarten und nicht auf die deutschen Kooperationsangebote eingehen ..."

 


Ausschnitt aus einem der Briefe
Das Ende einer Freundschaft
Heisenberg wollte also - laut Bohr - die Bombe doch für die Nazis bauen und ihn zur Mitarbeit "überreden". Er verwehrt sich gegen die Behauptung, dass er vor Schreck gar nicht verstanden hätte, was Heisenberg sagen wollte.

Bohr - der zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben weder von amerikanischer noch von deutscher Seite etwas über Atombomben-Pläne wusste - brach die Begegnung abrupt ab.

Ihre Freundschaft war endgültig beendet. 1943 konnte Bohr vor Hitlers Verfolgung knapp in die USA entkommen.
Weizsäcker bestreitet den Verlauf des Gesprächs
Der damals beteiligte Weizsäcker bleibt dabei: Er sagte am Mittwochnachmittag, Bohr sei "tiefen historischen Irrtümern erlegen".

Bei dem Treffen sei bereits festgestanden, dass Deutschland nicht in der Lage sei, die Atombombe zu bauen - und Heisenberg habe nur erreichen wollen, dass auch die USA und Großbritannien auf den Bau der Bombe verzichten.
Späte Abkehr von der Bombe
Die deutschen Forscher wurden bei Kriegsende festgenommen und in England interniert. Dort erfuhren sie aus den Nachrichten, dass die USA - auch mit Unterstützung Bohrs - eine Atombombe gebaut und über Hiroshima gezündet hatten. Nach den Abhörprotokollen sollen sie darüber bestürzt gewesen sein.

Ein Indiz dafür, dass sie wirklich nicht wussten, wie weit die Forschung schon war? Die neuen Briefe geben nun zwar erstmals die Sicht Bohrs wieder, allerdings aus einer Warte 16 Jahre nach dem eigentlichen Treffen.
Was ist wirklich passiert?
Wie es wirklich war, ob gedroht, gewarnt oder belauscht wurde oder ob es zwischen den Physikern zu ganz einfachen Missverständnissen kam, wird wohl nie ganz geklärt werden können.

Nach dem Krieg jedenfalls wandten sich Bohr und alle anderen ausdrücklich gegen den Bau atomarer Waffen. Eine Entscheidung, die spät, wenn nicht zu spät kam.

Niki Popper, ZiB-Wissenschaft
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Pressestimmen:
->   Süddeutsche Zeitung: Moralteilchen und Weltherrschaft
->   Süddeutsche Zeitung: Wie Dänemark beinahe ins Unheil gestürzt wurde
 
 
 
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01.01.2010