News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Gentherapie als Muskeldoping  
  Mit der Eröffnung der Winterspiele in Salt Lake City, beginnt nicht nur das Rennen um Medaillen und neue Rekorde. Auch die Dopingjäger des Internationalen Olympischen Komittees legen sich auf die Lauer. Immer wichtiger werden dabei unerlaubte Mittel oder Methoden, die auf Gentechnik beruhen - und eigentlich zu Heilzwecken entwickelt wurden. So wird derzeit an einem Wachstumsfaktor geforscht, der durch gezielte Einschleusung das Muskelwachstum bei an Muskelschwund leidenden Menschen anregt. Die neuartige Gentherapie könnte aber nicht nur kranken Menschen helfen, sondern auch als Doping eingesetzt werden.  
Konsequentes Krafttraining kann einen Muskel auf das Doppelte bis Dreifache vergrößern. Wird der Muskel nicht gebraucht, etwa im Gipsverband oder im Weltraum, schrumpft er binnen zwei Wochen um ein Fünftel.

Wissenschafter vom Royal Free Hospital in London haben jetzt einen natürlichen Wachstumsfaktor entdeckt, der beim Trainieren im Muskel freigesetzt wird. Gentherapeutisch verändert steigert der Wachstumsfaktor das Muskelwachstum um 25 Prozent - zumindest bei Mäusen.
Trainieren für die Wissenschaft
Die britischen Forscher ließen freiwillige Versuchspersonen trainieren und verglichen dann das Gewebe von belasteten und unbelasteten Muskel.

Dazu entnahmen sie mit einer dünnen Nadel winzige Gewebeprobe aus den Oberschenkelmuskeln der Probanten. Bei Untersuchungen im molekularbiologischen Labor entdeckten die Wissenschaftler den Wachstumsfaktor MGF.
...
MGF - Mechano Growth Factor
Die britischen Experten nennen ihren Wachstumsfaktor "Mechano Growth Factor", kurz MGF. MGF ist eine Art Hormon, eine Eiweißsubstanz, die in Muskelzellen entsteht, wenn diese Dehnungsreizen ausgesetzt werden. MGF lässt Muskeln wachsen. Im Vergleich zum untrainierten Muskel fanden die Wissenschaftler im trainierten Muskel wesentlich mehr MGF. Der Mechano Growth Factor ist eine Unterform von IGF-1, "Insulinlike Growth Factor 1", ein Wachstumsfaktor, der in der Leber gebildet wird und vor allem bei Neugeborenen und Kindern den Muskelaufbau aktiviert.
...
Mäusemuskeln wachsen um 25 Prozent
Die Forscher haben die Wirkung des Muskelwachstumsfaktors MGF im Tierexperiment getestet. Das Ergebnis war verblüffend, wie der Forschungsleiter Prof. Geoffrey Goldspink erklärt: "Wir haben diesen Wachstumsfaktor geklont und mit Hilfe eines Plasmids, eines ringförmigen künstlichen Gens in die Beinmuskeln von Mäusen gespritzt. Innerhalb von nur zwei Wochen sind die Mäusemuskeln um 25 Prozent gewachsen. Das bedeutet, dieser Wachstumsfaktor wirkt sehr stark."
Von der Maus zum Menschen
Was in der Maus funktioniert, sollte auch beim Menschen wirken, davon sind die britischen Wissenschaftler überzeugt. Sie arbeiten jetzt an einer Gentherapie für kranke und alte Menschen, die an Muskelschwäche leiden und daher keinen Sport betreiben können.

Wie bei der Maus wollen sie das Gen in die Menschen-Muskeln schleusen. Der Körper wird so dazu angeregt, die gewünschten Wachstumsfaktoren zu produzieren, auch ohne Training.
In Zukunft lassen Pillen Muskeln wachsen
Doch diese doch aufwendige Gentherapie ist in Zukunft vielleicht gar nicht nötig. Denn man könnte versuchen, die Wirkung des mechanischen Trainings auf den Muskel chemisch nachzuahmen, meint Prof. Goldspink: "Wenn wir einmal verstehen, wie der Wachstumsfaktor funktioniert, dann können wir untersuchen, wie die mechanischen Signale umgesetzt werden, um das Gen zu aktivieren. Dann könnte man ein Medikament entwickeln, das den mechanischen Trainings-Reiz umgeht und ersetzt. Das könnte dann vielleicht eine Pille sein oder eine einzelne Injektion."
...
Muskeln verschwinden mit zunehmendem Alter
Die Muskelwachstumsfördernde Pille wäre die ideale Therapie für alte Menschen, die zu schwach zum Trainieren sind. Wie Kraft-Messungen zeigen, werden die Muskeln mit zunehmendem Alter immer schwächer. Zwischen dem dreißigsten und sechzigsten Lebensjahr nimmt die Muskelkraft um zehn bis 15 Prozent ab. Mit achtzig hat sich die Muskelmasse halbiert. Regelmäßiges Krafttraining kann den Muskelabbau verlangsamen. Doch nicht alle alten Menschen sind dazu ausreichend fit.
...
EU-Projekt erforscht Wachstumsfaktor
Im Rahmen eines EU-Projektes erforschen jetzt fünf Institute aus Österreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien Nutzen und Risiko von MGF. Denn wie bei allen Wachstumsfaktoren besteht die latente Gefahr, dass auch Krebsgewebe wächst.

Der neue Faktor scheint zwar sicher zu sein, denn er wirkt nur lokal, bleibt in den Muskelzellen und gelangt nicht in den Blutkreislauf. Doch bevor Menschen mit Muskelschwund damit behandelt werden, sind noch viele Studien nötig.
MGF-Studien in Wien
Am Wiener Universitätssportzentrum auf der Schmelz testen Sportmediziner jetzt bei jungen und alte Leuten, wie sich die Ausschüttung der Wachstumsfaktoren im Alter verändert und wie man sie mit Bewegung natürlich anregen kann.

"Mit dem EU-Projekt wollen wir versuchen nachzuweisen, welche Belastungsformen, welche Trainingsreize diese Muskelwachstumsfaktoren am effizientesten stimulieren," sagt Norbert Bachl vom Universitätssportzentrum. "Es ist sehr wichtig zu wissen, welcher Reiz den größten Effekt auf die Muskelmasse erzielt. Ich denke, dass wir dadurch auch für die Zukunft Strategien erarbeiten können, wie der Abbau der Muskulatur mit zunehmendem Alter effizient verhindert werden kann."
Gefahr von Gendoping
Den Forschern ist bewusst: Sobald es eine Gentherapie gibt, die Muskeln von kranken oder alten Menschen gezielt wachsen lässt, wird diese Behandlung auch von manchen Leistungssportlern und ihren Betreuern missbraucht werden.

Gendoping ist extrem schwer nachweisbar. Denn zusätzlich erzeugte Wachstumsfaktoren sind identisch mit der natürlichen Substanz. Die kraftspendende Pille oder Spritze birgt insofern die Gefahr, künftig auch als Dopingmittel eingesetzt zu werden.

Sylvia Unterdorfer, Modern Times
->   Doping der Zukunft
->   Dopinganalytik - Köln
->   Universitätssportzentrum - Schmelz
->   Mehr zum Thema Doping in science.ORF.at
Mehr Informationen zu diesem Thema können sie auch am 8.02.2002 in FS2 um 22.35 in der Sendung "Modern Times" sehen.
->   Modern Times
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010