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Die Evolution von Tarnung und Täuschung  
  Für viele Tierarten ist eine optimale Anpassung an ihren Lebensraum eine Frage des Überlebens. Beispielhaft sind hier in erster Linie Insekten, die im Laufe der Evolution "gelernt haben", sich mittels Tarnung vor ihren Fressfeinden zu schützen. Jetzt haben Biologen erstmals solche Vorgänge mittels Computerexperimenten simuliert und ein Verständnis gewonnen, wie sich Täuschung und Tarnung im Tierreich entwickelte.  
Alan Bond und Alan Kamil von der Universität Nebraska berichten in der aktuellen Ausgabe von "Nature" darüber, wie "reale" Vögel in Experimenten auf virtuelle, auf Computerbildschirmen dargestellte Schmetterlinge picken und so verraten, welche Tarnungsmuster welche Schmetterlinge vor ihren Räubern besser schützen als andere.

Das ermöglicht den Forschern erstmals über theoretische Ansätze hinaus zu verstehen, wie Tarnung und Täuschung im Tierreich zur evolutionären Erfolgsstory für manche Arten werden konnte.
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Artikel in "Nature" (kostenpflichtig; Visual predators select for crypticity and polymorphism in virtual prey)
->   Artikel in "Nature"
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Das Räuber-Beute-Verhältnis
Räuberisch lebende Tierarten lernen ihre Beute oft an ihrer spezifischen und am häufigsten vorkommenden Musterung zu erkennen. Beute-Individuen mit abweichenden, selteneren Körperzeichnungen oder solche, die besser an ihren Lebensraum angepasst sind, haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit.

Die Forscher der Universität Nebraska haben jetzt im Labor gestestet, welche Gesetzmäßigkeiten in der Evolution von Tarnung und Täuschung im Räuber-Beute-Verhältnis zentrale Rollen spielen.
Simulierte Evolution
Bond und Kamil entwickelten am Computer virtuelle Falter und ein Programm, welches das digitale Genom der Schmetterlinge darstellte. Dieses digitale Genom determinierte in diesem Fall verschiedene Musterungen auf den Insektenflügeln.

Die verschiedenen Flügelmuster waren mehr oder weniger gut an ihren Hintergrund angepasst. Jetzt trainierten die Biologen "echte", in Gefangenschaft lebende Blauhäher dazu, die am Bildschirm dargestellten Falter zu jagen.

Die in freier Wildbahn lebenden Blauhäher sind in erster Linie darauf spezialisiert, Schmetterlinge, die farblich an Baumstämme angepasst sind, zu erkennen und zu jagen.
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Blauhäher
Der Blauhäher (Cyanocitta cristata) gehört zur Familie der Rabenvögel. Diese sind eine in 100 Arten weltweit verbreitete Familie der Singvögel; meist groß und kräftig mit z. T. ausgezeichnetem Lernvermögen und hoch entwickeltem Sozialverhalten; Allesfresser. Zu den Rabenvögeln zählen Dohlen, Krähen, Elstern, Häher, Kolkraben.

Der Blauhäher ist über das ganze östliche Nordamerika verbreitet. Er erreicht eine Körperlänge von 28 cm. Seine Flügelspannweite beträgt 42 cm, sein Gewicht 53 g. Männchen und Weibchen unterscheiden sich äußerlich nicht voneinander. Der Blauhäher ernährt sich von Beeren, Getreidekörnern, Eicheln, Bucheckern und anderen Früchten. Er brütet zwei Mal pro Jahr. Jedes Gelege besteht aus vier bis sechs Eiern. Die Jungen schlüpfen nach 17 Tagen und sind nach drei Wochen flügge.
->   Mehr zum Blauhäher
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Digitale Mutationen
Die Blauhäher wählten nun am Bildschirm bestimmte Schmetterlingsformen aus, indem sie nach diesen pickten. Das wurde mehrmals wiederholt.

Nach jeder Runde wurde die elektronisch simulierte Evolution "gestartet": Das führte dazu, dass sich die von den Blauhähern "nicht entdeckten" Schmetterlinge vermehrten und ihre digitalen Gene mischten. Gleichzeitig fügte das Evolutionsprogramm einen bestimmten Prozentsatz an Zufallsmutationen hinzu, den man auch aus natürlichen Evolutionsprozessen kennt.

Nach 100 Generationen bzw. Runden waren die Schmetterlinge um 30 Prozent schwerer durch die Blauhäher zu entdecken, gleichzeitig verdoppelte die digitale Evolution die ursprünglich vorhandenen Körpermuster der Falter.
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Tarnung und Täuschung (bei Schmetterlingen)
Viele Tiere entkommen Feinden durch zur Schau gestellte Ähnlichkeit mit Objekten des Umfeldes. Die Nachahmung der Umgebung bezüglich Form und Farbe nennt man Mimese. Von Mimikry spricht man, wenn eine Nachahmung eines ungenießbaren oder wehrhaften Vorbildes vollzogen wird.

Die Batessche Mimikry ist unter Schmetterlingen sehr verbreitet. Einige Arten machen sich dadurch giftig oder ungenießbar, dass sie Giftstoffe aus Pflanzen in sich aufnehmen, von denen sie sich als Raupen ernähren. Einige Schmetterlinge in Südamerika und Afrika sind mäßig giftig und besitzen sehr ähnliche Warnzeichnungen, obwohl sie zu ganz verschiedenen Arten gehören. Bei dieser Müllerschen Mimikry profitieren Schmetterlinge davon, dass der Fressfeind nur ein einziges abschreckendes Warnsignal lernen muss, um alle Arten in Ruhe zu lassen, die es aussenden.
->   Mehr zu Mimikry
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"Exzellente Simulation"
Für den Ökologen John Allen von der Universität Southampton in Großbritannien sind die vorliegenden Ergebnisse "eine exzellente Simulation, wie es in der Natur abläuft".

Er sieht allerdings noch Schwierigkeiten bei der Umsetzung jener Studie in kontrollierte Freilandbedingungen.
Wie Tiere Muster erkennen
Das Ergebnis ist auch einer der besten Beweise dafür, wie Tiere nach spezifischen Mustern suchen und dass bestimmte Muster leichter zu finden sind, wenn die Tiere wissen, wonach sie suchen müssen, meint der Zoologe Malcolm Edmunds von der Universität Central Lancashire in England.

Denn die Schmetterlinge, deren Form nicht in die Suchmustererkennung der Blauhäher passt, bleiben wesentlich häufiger von ihren Feinden unentdeckt. Und diese unentdeckten Varianten setzten sich dann auch evolutionär durch.
Seltenheit als Faktor
Das Computerexperiment demonstrierte auch, dass Seltenheit eine nicht so perfekte Anpassung kompensieren kann. Die seltenere Formzeichnung oder das seltenere Muster wird auch seltener von Feinden entdeckt.

Die virtuellen Schmetterlinge passten sich in Kontrollexperimenten in ihrer digitalen Evolution tatsächlich ihrem Hintergrund schneller an, wenn die Seltenheit von Formen keine Rolle spielte.
->   School of Biological Sciences, University of Nebraska
->   Department of Psychology, University of Nebraska
 
 
 
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01.01.2010