News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Häufiger Sex für eine störungsfreie Schwangerschaft  
  Der menschliche Körper weist ein ausgeklügeltes System zur Abwehr ungewollter Eindringlinge auf. Darunter fallen auch Samen bzw. Embryo, da sie für das Immunsystem einer Frau "Fremdkörper" darstellen. Doch mit verschiedenen Tricks wird eine Abwehrreaktion verhindert. Australische Forscher gehen nun noch einen Schritt weiter: Sie meinen Hinweise dafür gefunden zu haben, dass häufiger Sex das weibliche Immunsystem an die fremden Zellen gewöhnt und so die Wahrscheinlichkeit einer störungsfreien Schwangerschaft erhöht.  
Über die Ergebnisse der Biologen von der australischen Universität Adelaide berichtet das britische Wissenschaftsmagazin "New Scienctist" in seiner aktuellen Print-Ausgabe.
Der embryonale Kampf ums Überleben
Das menschliche Immunsystem ist primär darauf bedacht, unseren Körper vor ungewollten Eindringlingen - also Bakterien, Viren oder Pilze - zu schützen.

Dafür müssen körperfremde Zellen identifiziert werden, unter diese Kategorie fallen allerdings sowohl das männliche Spermium als auch der Embryo, das Produkt aus Eizelle und Samen.

Tatsächlich vertreten manche Mediziner die These, dass Unfruchtbarkeit bei Frauen gekoppelt sein kann mit einem überaktiven Immunsystem: Spermium oder Embryo werden frühzeitig als "fremd" erkannt, bekämpft und eliminiert.
...
Details zum menschlichen Immunsystem
Das menschliche Immunsystem besteht aus mehreren ineinander greifenden Mechanismen. Dazu gehören Abwehrzellen (z.B. die so genannten Makrophagen und T-Zellen) ebenso wie bestimmte Organe. Schon das Eindringen in den Körper wird allerdings durch verschiedene Barrieren erschwert, beispielsweise durch den Säureschutzmantel der Haut als Abwehrmechanismus gegen Keime. Auch die Scheide ist durch ein solches "saures Milieu" geschützt.

Dringen dennoch Keime ein, so werden spezifische Bereiche des Immunsystems aktiviert: Im Blut werden Antikörper (Immunglobuline, also Eiweißstoffe) produziert. Diese binden an bestimmte Oberflächenmerkmale der körperfremden Substanzen (Antigene) - ein Antigen-Antikörper-Komplex entsteht. Für andere Zellen des Immunsystems sind diese Komplexe eine Zielscheibe: Alle damit verbundenen Zellen müssen zerstört werden.
->   Mehr dazu in medizinfo.de
...
Die Tricks des Nachwuchses
Allerdings hat die Natur einige "Tricks" ersonnen, die es dem Nachwuchs ermöglichen, trotz wachsamen mütterlichen Immunsystems neun Monate im Körper zu wachsen.

Einer dieser Tricks wurde von den australischen Forschern in Versuchen an Mäusen nachgewiesen: Das Spermium enthält demnach den Wachstumsfaktor TGF-beta, der für die "Toleranz" des Immunsystems gegenüber den Fremdkörpern verantwortlich sein soll.
Der Gewöhnungsfaktor
Die Forscher um Sarah Robertson von der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie gehen nun noch einen Schritt weiter: Häufiger Sex, so die These der Biologen, gewöhnt das Immunsystem an die fremden Eiweißstoffe und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft.

Gustaaf Dekker, einer der beteiligten Wissenschaftler, erklärt diese Gewöhnung mit dem durch TGF-beta ausgelösten Signal an das Immunsystem: Werde der Körper der Frau diesem Signal wiederholt ausgesetzt, so erkenne das Immunsystem die Zellen und lasse die Schwangerschaft zu.
Zusammenhang mit lebensgefährlichen Erkrankungen?
Zudem verweisen Robertson und Kollegen auf frühere Studien, die eine Verbindung zu gefährlichen Erkrankungen der Schwangeren nahe legen. Durch häufigen Sex lasse sich das Risiko dieser lebensbedrohlichen Gestosen verringern.

Einer Theorie zufolge sind diese Stoffwechselstörungen - betroffen sind rund fünf bis zehn Prozent aller Schwangeren - Folge einer Immunreaktion gegen die Plazenta: Der Blutdruck steigt, es kann zu lebensbedrohlichen Krämpfen kommen, manche Frauen sterben daran. Das ist allerdings bei Medizinern umstritten.
Störungsfrei schwanger dank viel Sex
Dekker hatte zwei Gruppen von Frauen befragt: 41 der Befragten hatten unter bestimmten Gestosen (Prä-Eklampsien) gelitten, die Kontrollgruppe - bestehend aus 44 Frauen - hatte eine störungsfreie Schwangerschaft erlebt.

Laut Dekker hatte die Gruppe der "normal Schwangeren" sowohl andere Sexpraktiken als auch mehr Sex gehabt. Womit nach Ansicht der Forscher die Gewöhnungsthese weiter untermauert wird.
...
Gestosen
Unter Gestosen versteht man ganz allgemein Erkrankungen der Mutter, die direkt mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehen: Dazu gehört etwa das Schwangerschaftserbrechen, von dem bis zu 20 Prozent aller Schwangeren betroffen sind.

Es gibt jedoch auch lebensbedrohliche Formen. Krampfanfälle und/oder Koma, Eklampsie genannt, können auftreten. Im schlimmsten Fall führen diese Symptome zum Tod der Frau.
->   Mehr zu Gestosen
...
Neue Behandlungsformen für Frauen
Sollte sich die Hypothese der australischen Experten bestätigen, so könnte sich daraus eine neue Behandlungsform für Frauen ergeben, die wiederholt eine Fehlgeburt erlitten haben.

Denkbar wäre den Forschern zufolge ein Vaginal-Gel, das dem Körper TGF-beta zuführt - und zwar während des Geschlechtsverkehrs. Denn nur bei paralleler Gabe lasse sich die Toleranzreaktion des Immunsystems auslösen.
Therapien für Autoimmunerkrankungen?
Das Forscherteam meint auch, dass ein umfassendes Verständnis dieser Vorgänge im weiblichen Immunsystem zu besseren Therapieformen bei so genannten Autoimmunerkrankungen - wie etwa Rheuma und Multiple Sklerose - führen könnte.

Und die Gewöhnungs-Hypothese könnte sogar noch ein weiteres Rätsel der Natur zumindest teilweise erklären. Nämlich, warum der Mensch als einziges Säugetier bei der Fortpflanzung nicht an bestimmte "Brunftzeiten" gebunden ist.

Die Antwort könnte nach Ansicht der Wissenschaftler lauten: damit sich das weibliche Immunsystem an die Fremdkörper gewöhnen kann.
->   New Scientist (Der betreffende Artikel der Print-Ausgabe ist online nicht abrufbar)
->   University of Adelaide Department of Obstetrics and Gynaekology
->   Sarah Robertsons Homepage mit Erklärungen zum Forschungsschwerpunkt
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010