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1 Jahr Genom-Veröffentlichung  
  Am 12. Februar 2001 kam es in den beiden renommiertesten Wissenschaftsjournalen, Nature und Science, zeitgleich zu aufsehenerregenden Veröffentlichungen: der genetische Bauplan des Menschen, hieß es, war "entschlüsselt". Das Ereignis wurde als Höhepunkt eines der größten Wissenschaftsabenteuer der Menschheit gefeiert.  
Das "Buch des Lebens" liege nun offen vor uns, hieß es euphorisch, als vor einem Jahr die Abfolge der drei Milliarden Bausteine des menschlichen Erbguts veröffentlicht wurde.

Weitreichende Konsequenzen von einer Revolution in der Medizin bis zu einem neuen Selbstverständnis des Menschen wurden in Aussicht gestellt.
Ein Rückblick
Ein gutes Jahrzehnt zuvor hatten die Arbeiten an dem Projekt begonnen, und seine Bezeichnungen ließen von Anfang an Grosses vermuten: "Manhattan II" hieß es zu Beginn, in Anspielung auf den Bau der ersten Atombombe. Später war dann von der Erforschung des "Heiligen Grals der Wissenschaft" die Rede.

Bald schon bekam die aus öffentlichen Geldern finanzierte internationale Humangenomorganisation Konkurrenz bei ihrem hehren Vorhaben. Der Molekularbiologe Craig Venter hatte die Firma Celera gegründet, jede Menge privates Kapital und ein paar der leistungsstärksten Computer weltweit zusammengetragen, und wollte damit das gleiche Ziel erreichen, wie die akademischen Wissenschafter - nur wesentlich schneller.
Patente und gewinnorientierte Datenbanken
Die DNA-Informationen, die er erarbeitete, sollten außerdem in Form von Patenten und einer gewinnorientierten Datenbank vermarktet werden. Das öffentliche Projekt, das alle gewonnen Daten sofort allgemein zugänglich ins Internet stellte, hatte damit einen potenten Widersacher - und wurde auch schneller.

Sämtliche Versuche, die beiden zur Zusammenarbeit zu bringen, waren gescheitert. Aber immerhin konnte man sich im Februar vergangenen Jahres auf eine gemeinsame Veröffentlichung des vorläufigen Endergebnisses einigen - und wusste diese auch beiderseits medienwirksam zu inszenieren.

Inzwischen ist es wieder ruhiger geworden um die Sequenz des Humangenoms. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass das Offenliegen des "Buches" noch lange nicht heißt, es auch lesen zu können, geschweige denn, den nicht unbedeutenden Text zwischen den Zeilen zu verstehen.
Die Details
Nachdem die Sequenzierfabriken rund um den Globus ihre Aufgabe hochautomatisiert erledigt haben, gilt es, sich wieder auf die wissenschaftliche Detailarbeit zu konzentrieren: einzelne Gene identifizieren, die Funktion der dazugehörigen Proteine charakterisieren und ihre Rolle im Zusammenspiel mit allen anderen Zellfaktoren kennenzulernen.
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Genomics und Proteomics
"Genomics" und "proteomics" sind die neuen Schlagwörter, hinter denen sich die Erforschung ebendieser Funktionen verbirgt. Eine Kombination modernster molekularbiologischer Technologien und leistungsstarker Computer soll Licht in die Vorgänge innerhalb menschlicher Zellen bringen.
->   Vom Genom zum Proteom
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Eine halbe Million Basenpaare pro Tag
Während man im Sanger Center in Cambridge, dem europäischen Zentrum des Humangenomprojekts zuletzt rund eine halbe Million Basenpaare pro Tag sequenzierte, dauert die genaue Erforschung der Funktion eines einzelnen Gens - nach wie vor - oft viele Jahre.

Und je mehr man die Bedeutung von innerzellulären Wechselwirkungen bis hin zu Umwelteinflüssen wahrzunehmen beginnt, desto vorsichtiger klingen die Interpretationen solcher Forschungen.

Die fast inflationären Meldungen, das "Gen für" alle möglichen Eigenschaften von Fettleibigkeit bis Schizophrenie gefunden zu haben, stoßen innerwissenschaftlich auf große Skepsis.
Revolution in der Medizin?
Die angekündigte "Revolution in der Medizin" sehen aber viele ins Rollen gekommen. Kürzlich charakterisierte Gene für Osteoporose oder Schmerz zum Beispiel bieten vielversprechende Ansätze, weitverbreiteten Leiden zumindest teilweise ein Ende zu setzen.

Mit Proteomics soll es außerdem möglich werden, auf das Individuum maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln.
->   Proteine gegen Knochenschwund
->   Schmerzgen bei Mäusen ausgeschaltet
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Individualisierte Medizin
Wenn das Proteom-Muster von gesundem und krankem Gewebe verglichen wird, fallen sehr schnell Unterschiede auf. Dadurch kommen die Forscher auf die Spur einzelner Proteine, die eventuell eine Rolle bei der Krankheit spielen können. Hat man solche "Kandidatenproteine" erst einmal identifiziert, kann man sie auch genauer untersuchen, so - zumindest theoretisch - die Krankheit und ihren Verlauf besser verstehen und gezielter behandeln.

Weniger optimistisch sind die Einschätzungen, was eine der seit Jahrzehnten meistbeforschten Krankheiten betrifft: den Krebs. Zu komplex, von zu vielen Faktoren beeinflusst, heißt es immer wieder. Mit neuen Methoden wird er zwar besser zu therapieren sein, die Lebensqualität von Patienten wird sich verbessern ¿ ihn "auszurotten" wird aber wohl kaum gelingen.
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Weitere Absage an "Rassentheorien"
Einen neuen Beleg hat die Sequenzveröffentlichung auch für die Widerlegung eines alten Irrtums geliefert: das Konzept menschlicher "Rassen" ist biologisch durch nichts zu halten.

Über die Anzahl der menschlichen Gene klaffen die Schätzungen auch ein heute immer wieder weit auseinander - von rund 30.000 bis rund 70.000 ist die Rede. Der Detail-Unterschied in der DNA-Sequenz zweier Weißer kann aber beispielsweise oft größer sein als der zwischen einem Weißen und einem Schwarzen.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
->   Was macht das Menschsein aus?
->   Warum wir die Gene so leicht überschätzen
->   Genom-Entschlüsselung: Viele Fragen bleiben offen
->   Nature
->   Science Magazine
 
 
 
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01.01.2010