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Wirbeltiere mit drei Chromosomensätzen  
  Im Normalfall liegt das Erbgut von Wirbeltieren in zwei Chromosomensätzen vor. Deutsche Wissenschaftler konnten dieses Paradigma der Biologie jetzt widerlegen: Sie entdeckten Kröten mit drei Chromosomensätzen, die sich trotzdem zweigeschlechtlich fortpflanzen.  
Biologen der Universität Würzburg, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Ruhr-Universität Bochum haben ihre Ergebnisse in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature Genetics" veröffentlicht.
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Artikel in 'Nature Genetics' (kostenpflichtig; A bisexually reproducing all-triploid vertebrate. Nature Genetics 30, March 2002).
->   Artikel in 'Nature Genetics'
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Unfruchtbar oder eingeschlechtlich
Tierformen mit drei Chromosomensätzen (Triploide) galten bislang entweder als unfruchtbar, als zwangsläufig eingeschlechtlich oder als nur in Mischpopulationen gemeinsam mit Formen lebensfähig, die gerade Chromosomenzahlen aufweisen.

Die Forscher aus Deutschland stellen nunmehr Kröten einer eigenständigen Art (Batura-Kröten, Bufo pseudoraddei baturae) vor, die ausnahmslos drei Chromosomensätze besitzt und sich trotzdem zweigeschlechtlich fortpflanzt.
Männchen und Weibchen gehen unterschiedliche Wege
Die triploiden Männchen lösen das Problem der ungeraden Chromsomenzahl, indem sie einen Chromosomensatz eliminieren und aus den übrigen beiden mittels normaler Zellteilungen (Meiosen) Spermien mit einem Chromosomensatz produzieren (funktionelle Diploidie).

Die Weibchen sind ihrerseits in der Lage, einen ihrer drei Chromosomensätze separat zu verdoppeln. Auf diese Weise erreichen auch sie eine gerade Chromosomenzahl und erzeugen dann mittels Meiosen diploide Eier (funktionelle Tetraploidie). So bringt ein Paar triploider Kröten Nachkommen mit zwei Dritteln mütterlichen und einem Drittel väterlichen Erbgutes hervor.

 


Das Erbgut einer Batura-Kröte: Die Tiere besitzen elf verschiedene Chromosomen, die jeweils dreifach vorliegen. (Bild: Claus Steinlein/Michael Schmid, Universität Würzburg).
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Ungewöhnliche Abweichungen
Fast alle Wirbeltiere besitzen zwei Chromosomensätze, einen väterlichen und einen mütterlichen, sie sind also diploid. Abweichungen von dieser Regel sind unter Wirbeltieren sehr selten und meist mit Beeinträchtigungen ihrer Fitness verbunden - man denke etwa an die negativen Folgen einzelner überzähliger Chromosomen (Aneuploidie) beim Menschen.

Aneuploidie ist die Abweichung von der normalen Chromosomenzahl. Bei diploiden Organismen spricht man von Monosomie bzw. Nullisomie, falls ein Chromosom in einem Exemplar bzw. beiden Exemplaren fehlt; ist ein Chromosom zuviel vorhanden, spricht man von Trisomie (Down-Syndrom bei Menschen). Fehlende Chromosomen entstehen bei fehlerhafter Reifeteilung. Der Verlust eines Chromosoms ist meist tödlich.
->   Mehr zu Mehrfach-Chromosomenzahlen
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Suche in Zentralasien
Der Zoologe Matthias Stöck hatte im Verlauf seiner Dissertation zahlreiche Exkursionen nach Zentralasien unternommen, um dort die genetisch ungewöhnliche Verwandtschaft der heimischen Wechselkröte (Bufo viridis) zu erforschen.

Während andernorts in Asien Kröten mit zwei bzw. vier Chromosomensätzen leben, stieß Stöck bereits 1996 im Karakorumgebirge Nordpakistans auf die Triploiden. Im Verlauf zweier weiterer Exkursionen (1997, 2000) hat Stöck diese Ergebnisse erhärtet und unterdessen mit verschiedenen Fachkollegen die Mechanismen der Aufrechterhaltung stabiler Populationen untersucht.

Mit den Amphibienzytogenetik-Experten Michael Schmid und Claus Steinlein vom Institut für Humangenetik sowie Ulrich Scheer und Robert Hock vom Biozentrum der Universität Würzburg wurden die Chromosomen der Männchen und der Weibchen der Triploiden dargestellt sowie der DNA-Gehalt von Körperzellkernen bestimmt.
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Ungesunde Triploidie?
Unter den Wirbeltieren sind auch seltene Organismen bekannt, die drei Chromosomensätze besitzen. Durch Fehler bei der Aufteilung ihrer ungeraden Chromosomenzahl führt Triploidie bei Wirbeltieren oft zu Unfruchtbarkeit. Es entstanden in der Evolution aber auch rein-weibliche Arten, die sich ungeschlechtlich vermehren, indem sie alle drei Chromsomensätze an genetisch identische Töchter weitergeben (z.B. Eidechsen, Gattung Cnemidophorus).

Man kennt allerindgs noch seltenere Fälle, in denen zweigeschlechtliche Triploide in Mischpopulationen leben und sich dort entweder mit diploiden oder aber mit tetraploiden Formen (Fische der Gattung Leuciscus) fortpflanzen, wodurch die Triploiden immer wieder neu entstehen. Von den rein-triploiden Batura-Kröten unterscheiden sich diese Formen einerseits durch ihr Auftreten in solch gemischten Fortpflanzungssystemen, andererseits dadurch, dass triploide Eltern nicht auf geschlechtlichem Wege triploide Nachkommen erzeugen.
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Mit Hilfe der Tumordiagnostik
Die Messungen der DNA-Gehalte der Zellkerne bei der Spermienbildung (Spermatogenese) erfolgten mit Thomas Klapperstück von der Halleschen Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie mit Methoden der Tumordiagnostik.

Die Untersuchungen der Vererbungsmuster mittels molekularer Methoden (Multilocus-Fingerprinting, Mikrosatelliten) wurden von Manfred Schartl von der Universität Würzburg durchgeführt.
->   Hallesche Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie
->   Biozentrum der Universität Würzburg
->   Molekulare Humangenetik der Ruhr-Universität Bochum
 
 
 
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01.01.2010