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Diskussion: War Troja ein unbedeutendes Nest?  
  Ein ungewöhnlich hart geführtes Wortduell zweier Altertumswissenschaftler hat am Wochenende die Wissenschaftswelt in Atem gehalten. Seit Monaten schon streiten der Archäologe Manfred Korfmann und der Historiker Frank Kolb (auch) mit persönlichen Attacken über die Bedeutung der weltberühmten Stadt Troja in Kleinasien, die Korfmann seit 14 Jahren ausgräbt. Kolb sagt: Troja war ein unbedeutendes Provinznest, Korfmann dagegen spricht von einem "starken Troja".  
Die baden-württembergische Universität Tübingen, der beide Forscher entstammen, lud zur ersten direkten Konfrontation der beiden akademischen "Kampfhähne".
Unbedeutender Provinzflecken ...
Wer eine Art Showdown erwartet hatte, wurde nicht enttäuscht: Die als friedfertig geltenden Altertumswissenschaftler, durchwegs die Elite ihrer Disziplinen, kochten im Publikum der Tübinger Universität vor Leidenschaft.

Der Grund für die Aufregung: Frank Kolb, Professor für Alte Geschichte, behauptet, dass das berühmte Troja, immerhin die Prestigegrabung deutscher Archäologie, ein unbedeutender Provinzflecken in Anatolien war, ohne Handel und politischen Einfluss - besonders in der späten Bronzezeit ("Troja VI"), jener Epoche, in der nach Homer der sagenhafte Krieg um Troja stattgefunden haben könnte.

"Troja als Handelsdrehscheibe, ja als Metropole in der späten Bronzezeit ist eine Hypothese, die äußerst unwahrscheinlich ist," meinte Kolb.
... oder wichtiger Vasall des Hethiterreichs?
Das zerstört das Lebenswerk von Troja-Ausgräber Manfred Korfmann, der jüngst in einer in Deutschland vielbesuchten Ausstellung Troja als Handelsstadt und wichtigen Vasallen des mächtigen Hethiterreichs dargestellt hat.

Mittlerweile spricht auch er nicht mehr von einer Großstadt: "Ich sehe Troja am Rande Europas und habe nie behauptet, dass es allen Regeln anatolischer Palastkultur entspricht."
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Troja
antike Stadt auf einem Hügel bei Hissarlik im Nordwesten der Türkei. Schauplatz des Trojanischen Kriegs, den man ursprünglich für nichthistorisch hielt. Bei den von H. Schliemann 1870 begonnenen Ausgrabungen wurden neun aufeinander folgende Besiedlungsschichten freigelegt; in der Schicht VI werden seit den Untersuchungen von W. Dörpfeld (1893) die Reste des von Homer beschriebenen Troja gesehen; die untersten fünf Schichten gehören der frühen Bronzezeit (Mitte 3. bis Anfang 2. Jahrtausend v. Chr.) an.
->   Virtuelle Archäologie: Gang durchs antike Troja
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Bedeutsam für Archäologie, Geschichte, Politik
Die Diskussion erschüttert die gesamte internationale Archäologie: An der Bedeutung Trojas hängt ein bestimmtes Geschichtsbild, hängt die Hoffnung, dass Homer mit dem Trojanischen Krieg doch recht gehabt haben könnte, und an Troja hängt nicht zuletzt eine ganze Industrie: eine millionenschwere Ausstellung, ein geplantes Museum am Grabungsort und - hintergründig - auch gute deutsch-türkische Beziehungen.
Auf Unklarheit folgten Untergriffe
Da die Bedeutung der Stadt momentan nicht restlos zu klären ist, flüchteten sich Archäologe und Historiker in Untergriffe und sprachen sich mit blumigen Vergleichen gegenseitig die Kompetenz ab."Ein praktischer Arzt wird auch nicht einem Chirurgen dreinreden, sondern zugeben, dass er das nicht kann und seinen Ergebnissen vertrauen" sagte etwa Manfred Korfmann seinem Herausforderer, dem Historiker Kolb .

"Die Behauptung, ein Althistoriker habe widerspruchslos alles hinzunehmen, was ihm ein Ausgräber vorsetzt, ist wissenschaftlich revolutionär. Ich liebe keine Revolutionen, ich bin konservativ," konterte Frank Kolb.

So brachte also auch diese Konfrontation kein Ergebnis. Troja bleibt ein Rätsel.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft/red
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Mehr über die hitzige Troja-Debatte ist in den Ö1-"Dimensionen" vom 19. 2. um 19 Uhr zu hören.
->   Ö1
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->   Heftige Diskussion um Troja
->   Christiane Zintzen: Troja - Schliemanns Markenzeichen
->   Otto Urban: Zur Ausstellung "Troja - Traum und Wirklichkeit"
 
 
 
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01.01.2010