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Rätselhaftes Schwingen im Gleichklang  
  Ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Rätsel um zwei Pendeluhren konnte jetzt gelöst werden. Die beiden Uhren bzw. ihre Pendel sind das erste beobachtete Beispiel für die so genannte spontane Synchronisation. Dieses Phänomen kommt - von Zellen bis zu Sternensystemen - überall in der Natur vor. Bislang unerklärbar, soll nun ein anhand der Uhren erstelltes mathematisches Modell helfen.  
"Da Vinci und Galileo hatten die Idee, aber der holländische Erfinder Christiaan Huygens hat sie gebaut, die erste Pendeluhr", erzählt der Physiker Michael Schatz, der zusammen mit seinen Kollegen vom Georgia Institute of Technology das 350 Jahre alte Rätsel gelöst hat - mit einem Nachbau der Pendeluhr.
Ein Modell zur Berechnung der spontanen Synchronisation
Auf Grund der Ergebnisse ihrer Arbeit hat das Wissenschaftlerteam um Michael Schatz nun ein mathematisches Modell erstellt, das zum Verständnis des Huygenschen Uhrenphänomens beitragen soll.

Damit sollen Techniker in Zukunft berechnen können, wann und in welcher Form die spontane Synchronisation auftritt. "Mit diesem Wissen könnte man z. B. stärkere Laser bauen", sagt Schatz. Ihre Arbeit veröffentlichten die Wissenschaftler im Fachjournal Proceedings of the Royal Society of London.
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->   Proceedings of the Royal Society of London (kostenpflichtig)
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Zwei Pendeluhren in einem Gehäuse

Der Nachbau der beiden Pendeluhren
Huygens arbeitete an der Berechnung der Längengrade auf See. Daher baute er zwei Pendeluhren in einem Gehäuse, weil im Falle des Versagens einer Uhr die andere sozusagen als Absicherung dienen sollte.

Als er die Uhren an Bord eines Schiffes testete, beobachtete er, dass - egal wo die Pendel der Uhren starteten - sich innerhalb einer halben Stunde ihr Bewegungsmuster veränderte.

Die Pendel verfielen von einem parallelen Bewegungsmuster in einen Rhythmus, in dem sich die Pendel gleichmäßig zu und auseinander bewegten. Ein Pendel verhielt sich also wie das Spiegelbild des anderen. Huygens hatte als erster Mensch das Phänomen der spontanen Synchronisation beobachtet.
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Spontane Synchronsiation
Das Phänomen der spontanen Synchronisation ist in der Natur weit verbreitet. So schalten z. B. Leuchtkäfer ihr Licht zum selben Zeitpunkt an, wenn die Abenddämmerung einbricht. Epilepsie entsteht durch die gleichzeitige Überaktivität von Nervenzellen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Zellen eigentlich nicht aktiv sein sollten. Auch die Teilchen von supraleitfähigen Materialien oder die Umlaufbahn von Monden zeigen ein ähnliches Verhalten. Die neuen Ergebnisse könnten wesentlich dazu beitragen, dieses Phänomen besser zu verstehen.
->   Mehr Information über die spontane Synchronisation
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Ein in der Natur weit verbreitetes Phänomen
"Diese Beobachtung, zwanzig Jahre bevor Newton die Gesetze der Mechanik ersann, war sehr eindrucksvoll. Auch heute ist die Bedeutung der Synchronisation sehr groß, denn es gibt unzählige technologische und biologische Prozesse, die von ihr abhängen," erklärt Physiker Schatz die Bedeutung der Huygenschen Uhren.
Kraftübertagung und Gewicht in einem exakten Verhältnis

Die Wissenschaftler rekonstruierten die beiden Pendeluhren an Hand von Diagrammen und Labornotizen von Huygens. Dabei stellten sie fest, dass die 40 kg Ballast im Inneren der Konstruktion für das seltsame Verhalten der Pendeluhren verantwortlich sind.

Wenn die beiden Pendel schwingen, übertragen sie Energie auf das Gehäuse, ein Teil dieser Energie erreicht das jeweils andere Pendel. Ist der Ballast zu gering, dann ist die Interaktion zu groß und eine oder beide Uhren bleiben stehen.

Mehr Ballast dagegen schwächt die energetische Übertragung zwischen den beiden Uhren. Dadurch entstehen Differenzen zwischen den Schlaggeschwindigkeiten der beiden Uhren und sie schlagen asynchron. Der von Huygens verwendete Ballast hatte jedoch genau das richtige Gewicht.
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Christiaan Huygens
Niederländischer Astronom, Mathematiker, Physiker und Uhrenbauer. Zu seinen Entdeckungen gehört das später nach ihm benannte Prinzip, nach dem jeder Punkt auf einer sich vorwärts bewegenden Wellenfront selbst eine Quelle neuer Wellen ist. Aus diesem Prinzip entwickelte er die Wellentheorie des Lichtes.

1655 fand Huygens eine neue Methode zum Schleifen und Polieren von Linsen. Die damit erhaltene bessere Trennschärfe ermöglichte ihm die Entdeckung des Saturn-Mondes und versetzte ihn in die Lage, die erste genaue Beschreibung der Ringe um den Saturn zu geben. Da für die Beobachtung des Sternhimmels ein exaktes Zeitmaß notwendig war, entwickelte Huygens die Pendeluhr.

1656 ersann er ein Fernrohr, das heute seinen Namen trägt. In seinem Hauptwerk "Horologium Oscillatorium" (1673) bestimmte er die Beziehung zwischen der Länge eines Pendels und der Dauer der Schwingung und entwickelte Theorien über die Zentrifugalkraft bei der Kreisbewegung. Diese halfen dem englischen Physiker Sir Isaac Newton, das Gravitationsgesetz zu formulieren. 1678 entdeckte Huygens die Polarisation des Lichtes durch Doppelbrechung in Calcit.
->   Mehr zu Leben und Werk des Christiaan Huygens
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Ein glücklicher Zufall
"Die beiden Pendeluhren müssen interagieren können um diesen bestimmten Rhythmus zu erlangen," so der Experte Michael Schatz. "Huygens kam der glückliche Zufall zu Hilfe, indem er genau das richtige Gewicht als Ballast benutzte und die Exaktheit seiner Uhren. Denn auch die Uhren müssen die exakt gleiche Schlaggeschwindigkeit haben."
Lösung war erst durch moderne Theorien möglich
Die Physiker des Georgia Institute of Technology stützten sich jedoch nicht nur auf den Nachbau der Uhren. Nur mit Hilfe der Chaostheorie war es ihnen letztlich möglich, das mathematische Modell zu entwickeln, das in Zukunft bei der Berechnung der spontanen Synchronisation helfen soll.

So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass schon kleine Gewichtsverschiebungen des Ballastes große Auswirkung auf Schwung, Rhythmus und Funktion der Pendeluhren haben.

"Wir mussten auf die Chaostheorie warten, um das Rätsel der beiden Huygenschen Uhren lösen zu können," meint dazu der an der Studie beteiligte Mathematiker Steven Stogatz. "Mit der Physik Newtons kann man gut ruhige Bewegungen erklären, aber nicht ruckartige Uhrmechanismen."
->   Strukturen der Chaostheorie
->   Newtons Gesetze der Mechanik
->   Georgia Institute of Technology
 
 
 
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01.01.2010