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Fusionskraftwerke als Energiequelle der Zukunft?  
  Die Kernfusion ist seit Jahrzehnten als Energiequelle der Zukunft im Gespräch. Welche Rolle Fusionskraftwerke tatsächlich für die künftige Energieversorgung der Erde spielen könnten, hat nun eine Studie untersucht - allerdings nicht für eine Industrienation, sondern am Beispiel Indiens. Denn mit der rasant wachsenden Bevölkerung des Landes wird auch der Energieverbrauch immens steigen. Gefragt sind allerdings Technologien, die möglichst umweltfreundlich große Mengen Energie liefern. Ist die Kernfusion also das Modell der Zukunft - auch für Entwicklungsländer?  
Fusionskraftwerke: Des Energierätsels Lösung?
Befürwortern gilt sie als Lösung für die Energieprobleme der Zukunft: Die Kernfusion verspricht - anders als Erdöl oder Kohle - unerschöpfliche Quellen und unvorstellbar große Energiemengen. Das alles soll sie können, ohne die Umwelt zu belasten.

Im Augenblick ist man zwar noch weit von einer Anwendung dieser Technologie entfernt. Wissenschaftler sprechen von etwa 50 Jahren, erst dann - so die allgemeinen Erwartungen - wird man damit tatsächlich Energie gewinnen können.

Dennoch beschäftigen sich schon jetzt die Forscher mit der Entwicklung von Szenarien, welche die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft einbeziehen.
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Fusionskraftwerke
Die Kernfusion ist die wichtigste Energiequelle der Natur; die von der Sonne bzw. den Sternen abgestrahlte Energie stammt größtenteils aus diesem Prozess: Man bezeichnet damit die Bildung schwerer Atomkerne aus leichteren unter gleichzeitiger Energieabgabe.

Energietechnisch aussichtsreich erscheint die Kernfusion des schweren Wasserstoffisotops Deuterium zu Helium: Die dabei frei werdende Energie ist einige Millionen Mal größer als bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Dazu muss man Deuteriumgas mit einer Dichte von 10 hoch-16 Teilchen auf 100 Millionen Kelvin erhitzen. Bei der dann einsetzenden Kernfusionen werden große Energiemengen frei. Technische Schwierigkeiten liegen noch in der Erzeugung der Anfangstemperaturen und in der Herstellung von Behältern für das heiße Gas.

Im Augenblick allerdings verbraucht eine Kernfusion weitaus mehr Energie, als sie liefert. Forschungen sind zudem äußerst kostenintensiv. Der in weltweiter Kooperation geplante Experimentalreaktor ITER soll die Kernfusions-Forschung vorantreiben.
->   Mehr Informationen zur Kernfusion
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Indiens steigender Energiebedarf
Im Rahmen des europäischen Fusionsprogramms wurde ein eigenes Programm ins Leben gerufenen, das - parallel zur physikalisch-technischen Entwicklung - die sozialen und wirtschaftlichen Implikationen der neuen Technologie untersuchen soll.

Ein Ergebnis dieser "Sozio-ökonomischen Forschungen zur Fusion" liegt nun in Form einer Studie vor: "Long-term Energy Scenarios for India" wurde gemeinsam von dem Indischen Institut für Management (IIM) , dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik sowie der Netherlands Energy Research Foundation (ECN) erarbeitet.

Indien bot sich demzufolge als "Rechenbeispiel" an: Das Land zählt zu den bevölkerungsreichsten und wachstumsstärksten Ländern der Erde. Ähnlich rasant, wie die Einwohnerzahl bis Ende des kommenden Jahrhunderts steigen wird, entwickelt sich laut Prognose der Experten auch der Energiebedarf bzw. die Energieerzeugung: Sie wird von derzeit 15 auf 110 Exajoule steigen.
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Indien - rasantes Wachstum eines Landes
Die indischen Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass in den nächsten hundert Jahren die Bevölkerung Indiens auf 1,6 Milliarden Menschen anwachsen wird, das Bruttosozialprodukt steigt demnach auf das 80-fache. Die Wachstumsraten der indischen Wirtschaft zählen zu den höchsten weltweit: Von 1975 bis 2000 hat sich das Bruttosozialprodukt verdreifacht, der Energieverbrauch - hauptsächlich Kohle - vervierfacht und die Stromnachfrage verfünffacht.
->   Mehr zu Indien im World Factbook 2001 des CIA
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Wenig alternative Energienutzung
Sorgen macht den Forschern allerdings die Entwicklung, welche die Ernegieerzeugung bzw. die indische Energiewirtschaft möglicherweise nehmen wird.

Bleibt diese Entwicklung den Marktkräften alleine überlassen, so wird auch im Jahr 2100 die im Land reichlich vorhandene Kohle der wesentliche Energielieferant bleiben, heißt es in einer Zusammenfassung der Studie.
Fatale Folgen für die Umwelt
Das allerdings könnte nach Ansicht der Forscher fatale Folgen für die weltweiten Bemühungen um den Klimaschutz haben: Der Löwenanteil wird nämlich laut ihren Modellberechnungen durch Methoden gewonnen werden, die eine hohe Umweltbelastung zur Folge haben.

Im Jahr 2100 werden demnach mehr als 50 Prozent des Strombedarfs durch das Verbrennen von Kohle gedeckt, 25 Prozent liefern Erdöl und Erdgas.

Rund sieben Prozent wird die Kernspaltung liefern und lediglich sechs Prozent werden aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wind- und Wasserkraft, gewonnen, so die Prognose.
Problem Treibhausgas CO2
Das Problem ist laut Studie vor allem der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid. Die Emissionen werden der Rechnung zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts auf das siebenfache ansteigen, pro Kopf von jetzt 0,2 auf eine Tonne des im Kohlendioxid gebundenen Kohlenstoffs.

Dies liegt zwar immer noch deutlich unter den gegenwärtigen Werten entwickelter Länder, angesichts der großen Bevölkerungszahl Indiens summieren sich die Pro-Kopf-Emissionen jedoch auf 1.700 Millionen Tonnen Kohlenstoff - eine "Katastrophe für den weltweiten Klimaschutz", meinen die Forscher.
Lösungsvorschlag Kohlendioxid-Abgabe
Da der wachsende Kohlendioxid-Ausstoß jedoch "nur" global, nicht aber vor Ort Schäden hervorruft, werden Proteste aus der Bevölkerung wohl ausbleiben, meint P. R. Shukla vom IIM: "Indien wird zuerst seine eigenen Probleme lösen, nicht die der ganzen Welt".

Das prognostische Bild ändert sich nach Ansicht der Forscher nur, wenn zur Vermeidung von Klimaschäden der Ausstoß von Treibhausgasen eingeschränkt würde. Zum Beispiel durch eine Kohlendioxid-Abgabe, die die Kohleverbrennung verteuert, so ein Lösungsvorschlag.
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Die rechnerischen Details zur Studie
In das Modell der Forscher flossen aus gesonderten Studien weitere Informationen - etwa zur Entwicklung der Energieressourcen und Technologien - ein. Unter jeweils vorgegebenen Rahmenbedingungen wie "freie Marktentwicklung" oder "Kohlendioxidbegrenzung" sucht das Modell schließlich die Kombination von Technologien heraus, bei denen die Gesamtkosten des Systems am niedrigsten sind.
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Teure Kohle soll Fusionsenergie fördern
Das Ergebnis dieser Verteurung: Um Kohlekraftwerke zu ersetzen, gewinnen emissionsfreie Technologien wie zum Beispiel die Kernfusion an Boden. Das hoffen zumindest die Autoren der Studie.

Je nach Höhe der Kohlendioxid-Grenze könnte die Kernfusion in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bis zu zehn Prozent der Energie erzeugen, schreiben die Forscher.

Fusionskraftwerke mit einer Gesamtleistung bis zu 70 Gigawatt wären dann ihren Vorstellungen zufolge am Netz. Die von ihnen erzeugten rund 400 Terrawattstunden Strom entsprächen nahezu der gesamten heutigen Stromerzeugung in Deutschland.
Reine Zukunftsmusik?
"Angesichts des weiten Blicks in die Zukunft von 100 Jahren sollte man die Einzelergebnisse nicht auf die Goldwaage legen", erklärt Thomas Hamacher vom IPP, der Koordinator der Studie. Doch für das Kohlendioxid-Problem gibt es seiner Ansicht nach keine schnellen Lösungen: "Es wird uns langfristig begleiten".

Nach wie vor muss allerdings eines abgewartet werden: Die tatsächliche technische Möglichkeit, mittels Kernfusion Energie zu gewinnen - von diesem Ziel ist die Forschung noch Jahrzehnte entfernt.

Erst dann wird sich herausstellen, ob aus der "Zukunftsmusik" auch Realität werden kann. Und zwar nicht nur für Entwicklungsländer, sondern gerade auch für ihre hochentwickelten Nachbarn.
->   Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
->   Indisches Institut für Management
->   Netherlands Energy Research Foundation
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Kernfusion - neuer Weg zur Energiegewinnung?
->   Reinhaltung von Kernfusions-Plasma erfolgreich
->   Kernfusion - des Energierätsels Lösung?
 
 
 
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01.01.2010