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Kontroversen um das Klima  
  Seit dem Umweltgipfel von Rio 1992 beschäftigen wissenschaftliche Aussagen zur globalen Klimaerwärmung die internationale Klimapolitik. Auch der Begriff der "Nachhaltigen Entwicklung" und eine innovative Neuorientierung der Wirtschaft sind damit verbunden. Kritik an Mängeln der Simulation und Prognose von Klimaphänomenen, wie sie kürzlich in einer Studie formuliert wurde, schmälert die Bedeutung dieses Umdenk-Prozesses nicht, meint der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Schleicher in seinem Gastkommentar für science.ORF.at.  
Globales Klima und Klimapolitik
Von Stefan Schleicher

Über das Klima - das durchschnittliche Wetter über einen längeren Zeitraum - wissen wir noch immer relativ wenig. Wetterprognosen überschreiten kaum den Schwellenwert von einer Woche. Klimaprognosen sind extrem unsicher.

Aufgrund immer besserer Meßmethoden zur Auswertung des globalen Klimagedächtnisses, das sich in den Tiefen des Gletschereises und in den Jahresringen von Bäumen verbirgt, liegen aber immer mehr Informationen zumindest über einige Klimaindikatoren der Vergangenheit vor.

Demnach war das globale Klima seit dem Ende der letzten Eiszeit (vor rund 10.000 Jahren) relativ stabil. Jetzt gibt es aber Anzeichen einer Änderung.
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Eckdaten der Klimaänderung
Die globale Durchschnittstemperatur war im vergangenen Jahrhundert höher als in jedem vorherigen Jahrhundert in den vergangen 1.000 Jahren. Die vergangenen zwei Jahrzehnte wiederum waren die wärmsten in den letzten hundert Jahren. Am deutlichsten sichtbar ist diese Tendenz einer globalen Erwärmung im deutlichen Rückgang der Eismasse der meisten Gletscher.

Wirtschaftliche Indikatoren der Klimaänderung registrieren die für Großschäden zuständigen Rückversicherungen. Deren Daten enthüllen, dass sich die Risken für Schadensfälle aus katastrophalen Starkniederschlägen und Stürmen in den vergangenen drei Jahrzehnten ungefähr um den Faktor fünf erhöht haben.
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Gibt es Kontroversen über eine globale Klimaänderung?
Die große Majorität der mit dem Klima befassten Wissenschafter bekennt sich zur Aussage einer globalen Klimaänderung.

Kontroversen gibt es über das Ausmaß der Verursachung durch Aktivitäten der Menschen und über die zu setzenden Aktivitäten zur Abwehr oder Anpassung in den nächsten Jahrzehnten.

Diese Diskussionen sind nicht unähnlich unseren persönlichen Reaktionen auf ein aufkommendes Zahnproblem: zuerst wird die Akzeptanz hinausgeschoben; wenn dann die Schmerzen sich nicht mehr leugnen lassen, suggerieren wir uns, dass die Behandlung schon nicht so schlimm sein wird.
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Klima-Bericht in science.ORF.at
Das Kyoto-Protokoll zur weltweiten Reduktion von Treibhausgasen soll im August unterzeichnet werden. Die EU-Umweltminister haben am Montag in Brüssel seine Ratifizierung beschlossen. Im Österreichischen Parlament diskutierten gestern Forscher und Politiker über dieses Thema.
->   Kyoto-Protokoll von EU-Umweltministern ratifiziert
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Internationales Netzwerk
Seit dem Jahr 1988 ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftern, das Intergovernmental Panel on Cimate Change (IPCC), im Auftrag der UNO und World Meteorological Organization (WMO) tätig, um das 1992 von der UNO eingesetzte politische Gremium zur globalen Klimapolitik, die UN Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), zu beraten.
Zwei Aussagen über die Ursachen der Klimaerwärmung
Drei sogenannte Assessment Reports hat das IPCC bisher vorgelegt, den jüngsten im Jahr 2001. Die markantesten Aussagen zum globalen Klimawandel:

Erstens die Bekräftigung, dass die beobachtete Klimaänderung mit zunehmender Wahrscheinlichkeit auf menschliches Handeln, vor allem durch die Emissionen der sogenannten Treibhausgase (wie CO2 und Methan) zurückzuführen ist.

Zweitens die Prognose, dass in den nächsten hundert Jahren ein weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius zu erwarten ist. Seit 1860 wurde ein globaler Temperaturanstieg um 0,6 Grad Celsius gemessen.
Stand des Wissens
Beide Aussagen reflektieren den gegenwärtigen Stand des Wissens, der in die verfügbaren Computermodelle zur Simulation des Klimas eingeht.

Derzeit ist keine andere Ursache für den überraschenden Anstieg der globalen Temperatur bekannt als die erhöhte Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre.

Das breite Band für den prognostizieren weiteren Temperaturanstieg resultiert aus vielen Unsicherheiten, weil viele Mechanismen des Klimas, beispielsweise in der Wolkenbildung und in der Rolle der Meere, zu wenig erforscht sind.
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Das Kyoto-Protokoll
Für die internationale Klimapolitik bilden diese Aussagen des IPCC die wichtigste Entscheidungsgrundlage. Das Ergebnis von fast zehn Jahren intensiver Verhandlungen ist ein Vertragswerk, das unter dem Namen Kyoto-Protokoll bekannt wurde.

Die Erstfassung aus dem Jahr 1997 wurde inzwischen in weiteren Konferenzen des UNFCCC reif für die Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten gemacht. In diesem Jahr wird sich entscheiden, ob dieser Schritt für die völkerrechtliche Verbindlichkeit auch gelingt. Damit würde die Klimapolitik einen ähnlichen Stellenwert erhalten, wie die in der World Trade Organization (WTO) vereinbarten Regeln über den internationalen Handel.
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Die Politik um die globale Klimapolitik
Die USA verabschiedete sich im März 2001 vom Kyoto-Protokoll. Die Motivation dafür war nicht überraschend. Eine starke Lobby der Kohle- und Erdölindustrie sah ihre Geschäftsinteressen gefährdet und fand bei der Bush-Administration dafür Gehör.

Um diesen politischen Schritt des Abschieds von der internationalen Klimapolitik zu rechtfertigen, wurden die National Academies of Sciences gebeten, eine Stellungnahme über die Sicherheiten und Unsicherheiten im globalen Klimawandel und der diesbezüglichen Einschätzung durch das IPCC abzugeben.

Die Antwort fiel für die Bush-Administration deshalb enttäuschend aus, weil die Kernaussagen des IPCC bekräftig wurden.
Eine Studie stellt die IPCC-Aussagen in Frage
Repräsentativ für die Minorität der Kritiker der IPCC-Aussagen ist eine jüngst in den USA vom Marshall Instituts erstellte Studie, die in Europa über das European Science and Environment Forum verbreitet wird.
Hinweis auf Mängel der Computermodelle als Argument
Eine unter dem Vorsitz von James Schlesinger, dem ehemaligen Minister für Verteidigung und Energie, tätige Gruppe von Wissenschaftern und Politikern legte in ihrer Analyse den Schwerpunkt ihrer Argumentation auf die Unsicherheiten und Mängel der bestehenden Computermodelle zur Simulation von Klimaphänomenen.

Daraus wird der Schluss gezogen, dass weder die Rolle von menschlichen Aktivitäten im aktuellen Klimawandel noch eine Prognose über die künftige Klimaänderung derzeit abschätzbar sei. Deshalb wird auch das Kyoto-Protokoll abgelehnt.
Wie ist diese Kritik an den IPCC-Aussagen zu werten?
Eigentlich werden damit nur offene Türen eingerannt, denn die im IPCC tätigen Wissenschafter verweisen selbst auf die vielen Unsicherheiten und Unvollkommenheiten in ihren Modellen und den zugrunde liegenden Daten.

Deshalb wurden auch gegenüber früheren Abschätzungen im neuesten Bericht des IPCC die Prognose-Intervalle vergrößert, um damit eben die Unsicherheiten explizit zu dokumentieren.

Dennoch zeigen die Computersimulationen, dass unter Berücksichtigung der Treibhausgasemissionen der aktuelle Klimawandel eben besser erklärbar ist.
Klimapolitik hat wichtige Entdeckungen gebracht
Soll deshalb der aufwendige politische Prozess des Kyoto-Protokolls gestoppt werden? Sicher - das Klima selbst wird von den bescheidenen Emissionszielen dieses Vertrages wenig Wirkung zeigen.

Die ersten zehn Jahre der internationalen Klimapolitik haben aber eine ganz andere Entdeckung gebracht: Leben in Häusern, die kaum mehr Energie zum Heizen und Kühlen brauchen, der Übergang von einem stauanfälligen Verkehr zu einem integrierten Mobilitätssystem, sowie der kontrollierte Abschied aus fossilen Rohstoffen - das sind innovative Wirtschaftsstrukturen, die selbst genügend Charm haben und nicht auf das Klimaargument angewiesen sind.

Wie jeder von uns wird sich aber auch das Klima im Windschatten dieser Wirtschaftsstrukturen wohler fühlen.
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Gastbeitrag
Stefan Schleicher ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Graz:
->   Homepage von Stefan Schleicher
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Klimapolitik im Internet
->   Österreichischer Klimabeirat
->   Schweizer Akademie der Wissenschaften
->   Wissenschaftlicher Beirat der Deutschen Bundesregierung
->   UK Climate Impact Programme
->   Klima-Initiative der US-Industrie
->   EU DG ENV
->   UN Klimasekretariat - UNFCCC
->   IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change
->   Beiträge zu Klima und Klimapolitik in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010