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ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
"Kosten" Dicke mehr als Raucher und Trinker?  
  Bei ihrer Sorge um "Volksgesundheit" und deren Finanzierung gehen Mediziner immer ausgefallenere Wege. US-Forscher haben nun errechnet, dass Gesundheitsprobleme auf Grund von Fettleibigkeit teurer sind als Krankheiten, die durch Rauchen, Trinken oder Armut verursacht werden. Der Grazer Sozialmediziner Richard Noack ortet in der Studie allerdings Kategorienfehler und glaubt, dass einfache medizinische Lösungen gegen das Massenphänomen Dickleibigkeit nichts ausrichten werden.  
Dicke Menschen, dicke Kosten
Laut der in der Fachzeitschrift "Health Affairs" veröffentlichten Studie verursacht ein übermäßig dicker Mensch so viel Gesundheitskosten wie ein 20 Jahre älterer Normalgewichtiger.

Ein übermäßig dicker Amerikaner kostet 36 Prozent mehr für Krankenhaus- und ambulante Behandlungen und verursacht 77 Prozent höhere Medikamentenausgaben als ein Gleichaltriger mit normalem Gewicht.

Für Raucher lägen diese Mehrkosten bei jeweils 21 und 28 Prozent. Die Vergleichszahlen für Alkoholiker liegen jeweils noch darunter.
->   Health Affairs
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395 US-Dollar mehr pro Jahr
Und die umtriebigen Forscher haben auch gleich die Kosten der Vielesser errechnet. Um 395 US-Dollar (451 Euro) mehr Gesundheitskosten als Normalgewichtige verursachen sie pro Jahr, weit mehr als die Raucher mit einem durchschnittlichen Plus von 230 US-Dollar (263 Euro) oder die "starken Trinker" mit 150 US-Dollar (171 Euro).
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Mehr chronische Erkrankungen selbst als "Arme"
Auch die Wahrscheinlichkeit, an chronischen Krankheiten zu leiden, wurde für die Zielgruppen untersucht.

Die Ergebnisse im Vergleich zu normalgewichtigen Nicht-Trinkern und Nicht-Rauchern: Kommt es bei Fettleibigen zu 68 Prozent mehr Erkrankungen chronischer Art, so sind es bei Menschen, die in Armut leben, 58 Prozent, bei Rauchern 25 Prozent und bei Trinkern 12 Prozent.
Alkohol, Rauchen, Armut: Kategorienfehler
Von science.ORF.at mit den Ergebnissen der Studie konfrontiert, spricht Richard Noack, der Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der Universität Graz, von einem "offensichtlichen Kategorienfehler", wenn "Alkohol, Rauchen, Armut und Altern auf einer Ebene als Risikofaktoren für die Gesundheit" betrachtet werden.

"Dabei wissen wir heute etwa, dass relative Armut auch eine Ursache von Übergewicht ist". Während die Wohlhabenden immer schlanker, fitter und gesünder werden, sind die sozioökonomisch Benachteiligten dicker, sie rauchen mehr, ernähren sich schlechter und leben auch kürzer, so der Sozialmediziner.

Die Ursachen für Dickleibigkeit seien gesellschaftliche und keine individuellen.
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Fettleibigkeit als "Epidemie"
Die Studienautoren gehen davon aus, dass 23 Prozent der US-Amerikaner fettleibig und weitere 36 Prozent übergewichtig sind, sechs Prozent sind starke Trinker, 19 Prozent Raucher und 14 Prozent "Arme".

Die Fettleibigkeit habe in den USA mittlerweile die Ausmaße einer "Epidemie" erreicht. In die Kategorie der Fettleibigen gehört nach US-Definition zum Beispiel ein Mann von 1,80 Meter Größe und 120 Kilogramm Gewicht. Die Zahl der Fettleibigen hatte in den USA allein zwischen 1991 und 2000 um 60 Prozent zugenommen.
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"Epidemien" verlangen Medizin, in diesem Fall vergeblich
Um Übergewicht, das "zweifellos in allen modernen Gesellschaften ein Problem ist", zu bekämpfen, bedürfe es aus Sicht Richard Noacks aber mehr als das von den Studienautoren angewandte Risikofaktorenmodell.

Denn dabei wird alles, was abnormal ist, als Krankheit betrachtet. Einmal als "Epidemie" gekennzeichnet soll die Medizin Lösungen bringen. Doch diese alleine könne, trotz kurzfristiger Erfolge von Abnehm- oder anderen Lifestyle-Pillen, Fettleibigkeit nicht behandeln.
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Die Studie
Für die Studie des Gesundheitsökonomen Roland Sturm und des Psychiaters Kenneth Wells vom privaten RAND-Instituts in Los Angeles wurden Daten einer 1998 US-weit durchgeführten Telefonbefragung ausgewertet. Die 10.000 Teilnehmer mussten dabei Antworten zu chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Asthma sowie zu Größe, Gewicht, Armut, Raucherstatus, Trinkgewohnheiten und einer Reihe demographischer Faktoren geben.
->   Die wichtigsten Punkte der Original-Studie
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Einführung einer Fett-Steuer?
Was also tun, um dem Massenphänomen Dickleibigkeit Herr zu werden? Nach Ansicht der Studienautoren spielten höhere Steuern auf Zigaretten eine große Rolle dabei, Menschen vom Rauchen abzubringen. Zwar wird in den USA schon seit einigen Jahren von der Einführung einer "twinkie tax" - einer Steuer auf Nahrung mit besonders hohem Fettanteil - gesprochen, deren Umsetzung sei aber unwahrscheinlich.

Verglichen mit Rauchen und Alkoholismus, bei denen es durch Verbote, Steuern, Werbebeschränkungen und anderem zu einem Rückgang der Betroffenen gekommen ist, ist in der "Frage Übergewicht" bisher noch zu wenig geschehen, so Sturm und Wells. Sie rufen in ihrem Artikel daher dazu auf, diese als vorrangige Angelegenheit der öffentlichen Gesundheitssysteme zu betrachten.
Änderung der Lebensführung, ganzheitlicher Ansatz
Ein Aufruf, dem sich auch der Grazer Sozialmediziner Noack anschließen kann. Einfache medizinische Lösungen wird es dafür allerdings keine geben.

Er sieht vielmehr in der Integration verschiedener Ansätze einen Lösungsansatz: "In erster Linie geht es nicht um Medizin, sondern darum, das Alltagsverhalten und die Lebensführung - im ganzheitlichen Sinne verstanden - der Menschen zu beeinflussen. Erst danach kommen medizinische Prävention einzelner Faktoren und auch die medizinische Therapie."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Jeder zehnte Österreicher ist stark übergewichtig
->   Mehr zum Thema im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010