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Baudrillard über Gobalisierung und den 11. September  
  Der französische Soziologe, Medientheoretiker und Philosoph Jean Baudrillard sprach am Sonntag im Volkstheater Wien vor vollen Rängen über Globalisierung, Terrorismus und die Bedeutung des 11. September.  
Dem Volkstheater Wien ist zu seiner Vorlesungs- und Diskussionsreihe "Globalisierung und Gewalt - Perspektiven nach dem 11. September" zu gratulieren. Nach dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek war am Sonntag der prominente französische Denker Jean Baudrillard zu Gast.
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Jean Baudrillard: Requiem für die Twin Towers
Der "Theoretiker der Simulation" Jean Baudrillard liebt die Provokation. Sein jüngster Essay betraf das Attentat vom 11. September auf die "Twin Towers" in New York. Der Artikel löste in Frankreich heftige Diskussionen aus, Baudrillard wurde sogar als "intellektueller Terrorist" bezeichnet. Die Anschläge des 11. September bezeichnet der Philosoph in seinem umstrittenen Essay als Reaktion auf die imperiale Haltung der Vereinigten Staaten, die seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ihre Weltmachtstellung ungehemmt ausleben. "Die Verdammten dieser Erde" setzten mit diesem Attentat gleichsam ein Zeichen der Notwehr, um auf ihre aussichtslose Situation hinzuweisen.
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Die Twin Towers als "Black Box"
Baudrillard begann seine (auf Deutsch gehaltenen) Ausführungen mit einer historisch-architekturkritischen Analyse der Bedeutung der Twin Towers, deren Zwillingshaftigkeit er durch das "Ende des Originalen" für ebenso wichtig erachtete wie ihre Funktion als "Black Box", aus der nichts nach draußen dringe.

"Der Schrecken, in ihnen zu sterben, ist nicht vom Schrecken, in ihnen zu leben, zu trennen". Das WTC sei offenbar der Zerstörung wert gewesen ("das lässt sich nicht von vielen architektonischen Werken sagen"), durch den terroristischen Akt wären die Türme zu Traumgebäuden geworden, zum achten Weltwunder.
Der Terror trifft das "neuralgische Zentrum"
"New York ist die einzige Stadt der Welt, in der die jeweils gültige Form des Systems nachgezeichnet ist", meinte Baudrillard. Umso bedeutsamer sei der Zusammenbruch der Türme: "Die Terroristen haben das Gehirn, das neuralgische Zentrum des Systems getroffen."

Wichtiger als deren reale Zerstörung wäre ihr symbolisches Verschwinden gewesen, die die Türme - gleichsam als Antwort auf den Selbstmordakt der Flugzeuge - durch ihr Implodieren nachvollzogen hätten, "als hätte die Macht, die die beiden Türme trug, jegliche Energie verloren."
Globales und Universelles
Im zweiten Teil seines Vortrages untersuchte Baudrillard die Begriffe des Globalen und des Universellen. "Die Globalisierung des Tausches setzt der Universalisierung der Werte ein Ende. Kulturell bedeutet dies die Promiskuität aller Zeichen und Werte, also eigentlich Pornographie."

Homogenisierung und wachsende Diskriminierung gehöre zur Logik der Globalisierung, so der Philosoph. Durch das Zerbrechen des Spiegels des Universellen würden in dessen Scherben wieder "wild gewordene Singularismen" auftauchen, die der "vollkommen indifferenten Kultur oder Unkultur" der Globalisierung gegenüber ständen.
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Baudrillard am Montag bei den Wiener Vorlesungen
Am Montag sprach Baudrillard (geb. 1929), der seit 1968 an der Universität Paris-Nanterre lehrte und sich mit Büchern wie "Der symbolische Tausch und der Tod", "Amerika" oder "Transparenz des Bösen" als einer der führenden Denker unserer Zeit etablierte, im Rahmen der Wiener Vorlesungen im Festsaal des Rathauses über "Gewalt der Bilder. Medien in der globalisierten Welt".
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"Der viralen Gewalt der Globalisierung widerstehen"
Begriffe wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte machten nun eine "erbärmliche Figur", wären nur mehr "Phantome einer verschwundenen Universalität". Von der Globalisierung ginge eine "virale Gewalt", die Gefahr einer "sanften Vernichtung" aus.

"Wir müssen der viralen Gewalt der Globalisierung widerstehen, in dem wir ihr eine radikale Singularität entgegensetzen! Die Globalisierung hat noch nicht gewonnen, das Spiel ist noch nicht gespielt", so der Philosoph in seinem Vortrag.
Das "Gespenst des Terrorismus"
Auch Terrorismus sei eine Singularität, "da er den Tod ins Spiel bringt". Dieser sei, da tauschunmöglich, sicher die äußerste Singularität. Terroristen beantworteten "Terror mit Gegen-Terror", indem sie ihren Terrorismus gegen jenen des Systems setzten.

Wobei reale Handlungen weniger wichtig wären als ihre Vorstellung davon, erläuterte Baudrillard: "Ob Bin Laden existiert oder nicht, hat im Grunde keine Bedeutung." - Und, so der Denker zum Abschluss Marx abwandelnd: "Ein Gespenst geht um in der globalen Weltordnung - das Gespenst des Terrorismus."
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01.01.2010