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Die Wehrmacht in den österreichischen Medien  
  Die Legende von der "sauberen Wehrmacht" hat lange Zeit das öffentliche Geschichtsbild bestimmt. Der eigentliche Bruch dieser Wahrnehmung kam erst im Jahr 1995 - mit der ersten, kontrovers diskutierten Wehrmachtsausstellung, die nun in der neu konzipierten Fassung nach Wien kommt. Mit der medialen Darstellung der Wehrmacht nach 1945 hat sich der Sprachwissenschaftler Alexander Pollak beschäftigt. In einem Gastkommentar stellt der Wissenschaftler sein neues Buch "Die Wehrmachtslegende in Österreich - Das Bild der Wehrmacht im Spiegel der österreichischen Presse nach 1945" in science.ORF.at vor.  
Ursprünge und Entwicklung der Wehrmachtslegende
Von Alexander Pollak

Die Ursprünge der Legende von der "sauberen Wehrmacht" finden sich bereits in den Berichten des Oberkommandos der Wehrmacht. Die Wehrmacht sei einer gewaltigen Übermacht "ehrenvoll unterlegen", der deutsche Soldat habe "Unvergessliches geleistet" und könne seine Waffe "aufrecht und stolz" aus der Hand legen, so der Tenor des letzten Wehrmachtsberichtes.

(Siehe Kurt Pätzold, 2000, "Ihr wart die besten Soldaten. Ursprünge und Geschichte einer Legende", Leipzig: Militzke Verlag, S. 176/177)
Wehrmachtsberichte, Memoiren, Landserhefte
Die deutsche Militärelite hatte schon wenige Monate nach dem Kriegsende ihr verklärtes Bild von den Kriegsursachen und der Kriegsführung in Denkschriften niedergelegt. Die obersten Ränge der Wehrmacht waren an einer Reinwaschung der Wehrmacht und der damit verbundenen Wiederherstellung ihrer "Ehre" interessiert.

Neben den Publikationen der Militärelite gab es auch die weit verbreiteten "Landserhefte", die, so der Historiker Kurt Pätzold, "die blanke Verherrlichung der 'Heldentaten' von Soldaten aller Waffengattungen der Wehrmacht wieder unter die Leute [brachten]".
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Österreichische Kameradschaftsverbände
Zu erwähnen ist auch die Wiedergründung der Kameradschaftsverbände in Österreich im Jahr 1953, die sich die "Traditionspflege", unter anderem auch jene der Wehrmacht, zur Aufgabe machten und die durch ihre Verankerung in den politischen Parteien, aber auch durch hohe Mitgliederzahlen auch heute noch politischen Einfluss ausüben.
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Österreichischer Opfermythos
Wenn wir einen Blick zurück werfen und die mediale Entwicklungsgeschichte der Wehrmachtsbilder in Österreich verfolgen, so fällt auf, dass die Wehrmachtslegende - das Bild von der "sauberen und anständigen Wehrmacht" - in den ersten Jahren nach Kriegsende noch nicht im medialen Diskurs verankert war.

Die unmittelbare Nachkriegszeit war von den zahlreichen Kriegsverbrecherprozessen - auch gegen Wehrmachtsangehörige -, der Kriegsgefangenenrückkehr und vom österreichischen Opfermythos als Rahmenerzählung geprägt.

Die österreichischen - und nur die österreichischen - Soldaten wurden in das österreichische Opferkollektiv integriert. Diese hätten "in fremde Uniformen gezwängt" für eine "fremde Armee" Dienst leisten müssen und wären der "deutschen Soldateska" unterworfen gewesen.
Kalter Krieg, Opfererzählung, Widerstand
Mit den Jahren 1947/48, dem aufkommenden "Kalten Krieg" und dem Beginn der Staatsvertragsverhandlungen agierte die mediale Berichterstattung mehr und mehr im Zeichen diverser "Aufträge", auf deren Erfüllung es hinzuarbeiten galt: die Erlangung des Staatsvertrags, die Integration der "Heimkehrer", die Schaffung eines österreichischen Nationalbewusstseins sowie das Abweisen von Wiedergutmachungsforderungen.

Ein wesentliches Mittel zur Erfüllung dieser "Aufträge" war weiterhin die Verfechtung der Opferthese. Darüber hinaus kam es auch zur Überbetonung und Übertreibung des österreichischen Widerstandes und des österreichischen Anteils an der militärischen Niederlage und am Sturz des NS-Regimes.
Mythos Stalingrad
Spätestens ab Mitte der fünfziger Jahre kristallisierte sich mit den Stalingraderzählungen jener Erinnerungsstrang heraus, der eine dominante Stellung in der medialen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg einnehmen sollte.

Das Bild der leidenden, verratenen, unschuldigen Soldaten nahm eine tragende Funktion in der Konstruktion eines ganz bestimmten Wehrmachtsbildes ein - eines Wehrmachtsbildes, das die Soldaten nur in einer Rolle sah: als missbrauchte Opfer des Krieges.
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Die überhöhte Bedeutung, die "Stalingrad" in den Medien zugeschrieben wurde, lässt sich daran ermessen, dass im Extremfall "Stalingrad" gar mit dem Holocaust gleichgesetzt wurde. "In der Eiswüste zwischen Don und Wolga", so einer der Medienberichte, "war es nicht anders als in Auschwitz oder Buchenwald."
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Der Wendepunkt: Die Frischenschlager-Reder-Affäre
Trotz erster Ansätze von Vergangenheitsdebatten ab Mitte der sechziger Jahre fand eine Diskussion über die Involvierung der Wehrmacht in NS-Verbrechen bis in die achtziger Jahre hinein nicht statt.

Der Wendepunkt war das Jahr 1985, als es im Zuge der Frischenschlager-Reder-Affäre erstmals in Teilen der Medien, allen voran dem "Kurier", zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Beteiligung der Wehrmacht an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik kam.

Die Auseinandersetzung rund um den "Staatsempfang" für den Kriegsverbrecher Reder bereitete den Weg für die "große" vergangenheitspolitische Debatte, die im Jahr 1986 mit der Waldheim-Affäre entbrennen sollte.
Die Pflichterfüllungsfrage
Von wesentlicher Bedeutung im Rahmen der Vergangenheitsdebatte ab 1986 war die Thematisierung des von Waldheim verwendeten Begriffs der "Pflichterfüllung".

Mit der Frage der "Pflichterfüllung" ging es nun nicht mehr nur um eine Teil- oder Gesamteinschätzung der Wehrmacht und die Bestätigung oder Verleugnung deren Involvierung in den NS-Vernichtungskrieg, sondern um die konkrete Verantwortung der einzelnen Wehrmachtsangehörigen.

Die Debatte schwankte zwischen einer vergangenheitskritischen Position, wie sie etwa Gerhard Botz im "Kurier" vertrat, der darauf hinwies, dass die Kriege des Dritten Reiches Vernichtungskriege gewesen seien, die weit über das normale Kriegshandwerk und die bloße "Pflichterfüllung" hinausgegangen seien, und einer Sichtweise, wie sie Viktor Reimann in der "Kronen Zeitung" vertrat, der meinte, dass die Berufung auf die "soldatische Pflicht" gerechtfertigt und die Soldaten keinesfalls schuldig seien.
Die Wehrmachtsausstellung als Tabubruch
Das Thema "Wehrmacht und NS-Verbrechen" war ab Mitte der achtziger Jahre kein gefestigter Tabubereich mehr, die Fassade der "Unschuld" und "Anständigkeit" hatte bereits deutliche Risse bekommen.

Dennoch war das Bild von der "sauberen" Wehrmacht noch immer ein in der Öffentlichkeit dominantes, die Stalingraderzählungen nahmen auch noch in den neunziger Jahren breiten öffentlichen Raum ein. Die Geschichten von den Weltkriegsschlachten und den Werten des Soldatentums waren bis auf wenige Ausnahmen ungebrochen.

Der eigentliche und nachhaltige Bruch kam tatsächlich erst im Jahr 1995 mit der ersten Wehrmachtsausstellung, welche die Wahrnehmung der Wehrmacht in der Öffentlichkeit und den Umgang mit dem Wehrmachtsthema grundlegend veränderte.

(Diese Veränderung im Umgang mit dem Wehrmachtsthema betraf auch jene Medien, die weiterhin die kollektive Unschuld der Soldaten propagierten, die aber nunmehr in ihren Beiträgen zumindest nicht darum herum kamen, sich - wenn auch distanzierend - auf die Wehrmachtsausstellung und deren Inhalte zu beziehen.)
Mehr zu diesem Thema in kultur.ORF.at
->   Der Katalog zur Wehrmachtsausstellung: Gewichtiges Material
->   Bücher über die Wehrmacht: Saubere Legende
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Neue "Wehrmachtsausstellung" kommt nach Wien
->   "Wehrmachtsausstellung" und Diskurs über Gewalt
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Alexander Pollak
Alexander Pollak ist seit Oktober 1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt "Diskurs, Politik, Identität" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Zentrum seiner derzeitigen Forschungen stehen Studien zur diskursiven Konstruktion von Geschichtsbildern in den Medien, insbesondere der Konstruktion des Mythos von der "sauberen Wehrmacht" nach 1945.

Sein Buch "Die Wehrmachtslegende in Österreich. Das Bild der Wehrmacht im Spiegel der österreichischen Presse nach 1945" ist erschienen im Böhlau Verlag (2002).
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01.01.2010