News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Linz - Die Patenstadt des Führers  
  Vor einer begeisterten Menschenmenge, die ihn mit "Sieg Heil" Rufen empfing, verkündete Adolf Hitler am 12. März 1938 in Linz den "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich. Linz, eine von fünf Führerstädten, "Patenstadt Hitlers", in der er seinen Alterssitz errichten wollte, hat ein schweres Erbe. Wohl gerade deswegen hat Linz jetzt seine NS Vergangenheit so umfassend aufgearbeitet, wie es noch für keine andere Stadt geschehen ist.  
Sentimentale Beziehung
In "Mein Kampf" bezeichnete Hitler seine Zeit in Linz als eine der schönsten seines Lebens. Hier hatte der gebürtige Braunauer die Realschule besucht. Damals baute er zu der deutsch-national geprägten Stadt eine emotionale Bindung auf.
Sonderphänomen Linz
Hitler wollte Linz zur nationalsozialistischen Musterstadt machen und die "Entprovinzialisierung der Provinz" aufzeigen. Linz sollte zu einem Zentrum für Verwaltung, Kultur, Wirtschaft und Verkehr werden.

Das gigantische Projekt sah die Errichtung gewaltiger industrieller Komplexe, Stadterweiterung, Ausbau des Donauufers, Monumentalarchitektur mit enormen Aufmarschflächen etc. vor.

Die Stadt, die vorher rund 100.000 Einwohner hatte, sollte auf 400.000 anwachsen.
Flucht aus der Realität
Von den ehrgeizigen Plänen wurde nur ein Bruchteil realisiert. Während des zweiten Weltkrieges wurde kaum mehr gebaut. Doch Hitler ließ von seinem Lieblingsprojekt nicht ab.

Noch während des Krieges und kurz vor seinem Selbstmord 1945 ließ er sich das Linz-Modell in die Reichskanzlei bringen.
...
Buchtipp
"Nationalsozialismus in Linz", Hrsg. Fritz Mayerhofer und Walter Schuster, Archiv der Stadt Linz, 2001: Auf 1.800 Seiten, in 21 Einzelstudien werden darin alle relevanten Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft in Linz dargestellt.
->   Mehr über das Buch (Archiv der Stadt Linz)
...
Ineffiziente, korrupte Verwaltung
Das Sagen in Linz hatte der übermächtige Gauleiter August Eigruber. Zahlreiche persönliche Konflikte innerhalb des Verwaltungsapparats, Ineffizienz und Korruption prägten das Bild.

Es habe auch hier ein Sozialdarwinismus geherrscht, meint Walter Schuster vom Archiv der Stadt Linz. Fast jeder Bereich der Verwaltung war zudem in die Verfolgung von Minderheiten eingebunden.
Sonderauftrag Linz
Eine Galerie in seiner Heimatstadt - das war Hitlers Jugendtraum. Die Errichtung des Linzer Kunstmuseums wurde zum "Sonderauftrag Linz".

Bis 1945 wurden tausende Bilder und Kunstgegenstände aus ganz Europa zusammengetragen; das meiste geraubt, erpresst, oder konfisziert. Darunter vieles, das bis heute nicht restituiert worden ist.
Fiktion eines Museums
Das Linzer Kunstmuseum hat es als realen Raum nie gegeben. Die Bilder wanderten von Depot zu Depot, ein Gebäude bekamen sie nie. Im Mai 1945 fanden die Amerikaner im Salzberg in Alt-Aussee neben anderen Kunstschätzen den Bestand des geplanten Führermuseums.

Bis heute sind die Reisen der Bilder, die 1938 begonnen haben, noch nicht an ihrem Ende angelangt, so die Historikerin Birgit Kirchmayr.
Ostarbeiterinnen - Vergessene Frauen und ihre Kinder
Das Thema Ausländereinsatz und Zwangsarbeit wird in den beiden Forschungsbänden über Linz umfassend behandelt.

Die Linzer Historikerin Gabriella Hauch hat ein bislang völlig unbekanntes, tabuisiertes Thema erforscht: Zwangsabtreibungen an Ostarbeiterinnen und das Schicksal derer Kinder in den "fremdvölkischen Säuglingsheimen", wo viele unter den verheerenden Bedingungen starben.
Zwangsabtreibungen
Die Schwangerschaften der ausländischen Arbeiterinnen stellten die NS-Organisation vor große Probleme. In Deutschland, wo seit 1939 Polinnen als Zwangsarbeiterinnen eingesetzt waren, schickte man schwangere Frauen nach Hause.

Das konnte man mit den Frauen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland nicht machen. Zu einer Zeit, als für "arische" Frauen die Todesstrafe auf Abtreibungen stand, wurden Ostarbeiterinnen dazu gezwungen: Auf den Krankenblättern des AKH Linz fand Hauch 972 gesicherte Fälle.
->   Frauen als Zwangsarbeiter in Oberösterreich
Ahndung der Verbrechen
Zu einer strafrechtlichen Verfolgung jener, die die Zwangsabtreibungen durchgeführt haben, ist es nie gekommen. Wie überhaupt die Ahndung von NS-Verbrechen in Österreich ein vergessenes Thema ist.

Abgesehen vom Prozess gegen den NS-Arzt Heinrich Gross 2000 hat es seit 1975 keine Gerichtsprozesse wegen NS Verbrechen gegeben. Ein erster Versuch, NS Verbrechen nach 1945 zu ahnden, waren die Volksgerichte in Wien, Linz, Graz und Innsbruck. Nach Abzug der Alliierten 1955 wurden sie abgeschafft.
...
Ein Beitrag von Judith Brandner für die Ö1-Dimensionen vom 18. April 2002, 19 Uhr.
->   Radio Österreich 1
...
->   Nationalsozialismus in Linz (Stadt Linz)
->   Forscher in der NS-Zeit - "Hitlers willige Helfer?"
->   Mehr zum Thema Nationalsozialismus in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010