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Videospiele zwischen virtueller und realer Gewalt  
  Immer wieder geraten gewalttätige Videospiele in den Blickpunkt der Öffentlichkeit - zuletzt durch den Attentäter von Erfurt, der selbst mit Begeisterung eines der Games gespielt hat. Nach Ansicht des Medienpsychologen Peter Vitouch ist es jedoch falsch, derartige Videospiele alleine für reale Gewalt verantwortlich zu machen. Eine Auslöserfunktion können sie aber sehr wohl haben.  
Bei dem Spiel "Counterstrike" bekriegen einander zwei feindliche Terrorgruppen, jagen einander durch Wüsten- und Betonlandschaften, nehmen Dunkelmänner ins Fadenkreuz ihrer virtuellen Maschinenpistolen und feuern weiße Blitze, bis der Bildschirm rot zuckt. Das Opfer verblutet, der Spieler hat gewonnen.

Für Robert Steinhäuser, den Massenmörder von Erfurt, der am Freitag 16 Menschen und sich selbst tötete, war "Counterstrike" das Lieblingsspiel.
Viele Faktoren müssen zusammenkommen
Können Spiele wie dieses einen so großen Einfluss auf Jugendliche haben, dass aus dem virtuellen Mord blutige Wirklichkeit wird? Der Medienpsychologe Peter Vitouch von der Universität Wien sagt, das sei möglich - aber nur, wenn viele Faktoren zusammenkommen.

"Es muss dazu kommen, dass diesem Individuum die Möglichkeit fehlt, mit anderen seine Probleme zu besprechen oder aufzuarbeiten, dass dieses Individuum allein gelassen wird oder in die Isolation getrieben wird, dass es eine Affinität zu Waffen hat und diese Waffen auch verfügbar sind", erläutert der Experte im ORF-Radio.
Auslöserfunktion der Spiele
Dann sei es logisch, dass man sich mit derartigen Spielen oder Videos beschäftige, so Vitouch. In dieser Situation können nach Ansicht des Medienpsychologen die Spiele "eine Art Triggerfunktion oder Auslöserfunktion haben - einen Tropfen in ein volles Fass hineintropfen lassen, der es zum Überlaufen bringt".
Studien zeichnen "anderes" Bild der Gamer-Kultur
Der häufig vermuteten Kausalität zwischen gewalttätigen Videospielen und ebensolchen Jugendlichen stehen Studien gegenüber, die ein anderes Bild der Gamer-Kultur zeichnen.

Eine Studie etwa des staatlichen Medienausschusses in Norwegen, der für die Altersklassifizierung von Filmen und Videospielen zuständig ist, kam im Mai vorigen Jahres zum Ergebnis, dass sich Kinder und Jugendliche von Spielen mit brutaler Handlung weit weniger beeinflussen lassen als von Gewaltdarstellungen in anderen Medien.

"Nicht die Gewalt hinterlässt den stärksten Eindruck, sondern das Spielerlebnis, das durch Aufbau und Dramaturgie entsteht", betont der die Studie leitende Wissenschaftler Faltin Karlsen von der Universität Oslo. Zudem sei die Identifikation mit dem Spieler-Alter-Ego längst nicht so stark wie jene mit Filmcharakteren.
->   Mehr dazu in futurezone.ORF.at: Videospiele zwischen Hexenjagd und Realität
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Studie: Tägliches Fernsehen fördert Hang zur Gewalt
Neben Videospielen gerät vor allem auch das Fernsehen immer wieder in den Blickpunkt der Psychologen. Mehr als eine Stunde Fernsehen am Tag fördere bei jungen Erwachsenen auf Dauer einen Hang zu gewalttätigem Verhalten - das gelte vor allem für junge Männer, aber auch für erwachsene Frauen, berichteten kürzlich Forscher im Wissenschaftsmagazin "Science".

Wenn die tägliche Fernsehzeit drei Stunden überschreitet, nimmt die Rate von gewaltsamen Übergriffen wie Körperverletzung und Raubüberfällen demnach sogar dramatisch zu.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Experte: Verbote bringen nichts
Ein Verbot der Games ist für Vitouch keine geeignete Lösung. Die Gesellschaft könne es sich nicht so einfach machen und sagen: "Wenn wir Gewalt aus den Spielen und aus dem Fernsehen wegbekommen, ist das Problem gelöst", so der Experte.

"Im Gegenteil: Es werden gerade jene, die anfällig sind dafür, noch mehr Interesse für diese Spiele haben. In den Vereinigten Staaten hat man Wertungen vorgenommnen, was dazu geführt hat, dass die Kinder gerade nach diesen Bändern gesucht haben, weil da was besonders Scharfes drauf ist", erzählt Vitouch.
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Videospiele: Rund ein Prozent auf dem Index
Insgesamt stehen nach Angaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPJS) zurzeit 300 Computerspiele - etwa ein Prozent - wegen Gewalttätigkeit auf dem Index und dürfen nur noch an Volljährige verkauft werden. Die meisten indizierten Spiele sind demnach so genannte "3-D-Ego-Shooter", bei denen die Spieler durch Gänge laufen und auf Menschen oder andere Wesen schießen. Für Erwachsene verboten werden kann ein Spiel nur, wenn die Inhalte nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich relevant sind, also beispielsweise zum "Rassenhass aufstacheln".
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Warnsignal Isolation
Ein Warnsignal für Eltern müsse es sein, wenn das Kind monomanisch spielt - also sich zurückzieht, ständig am Computer sitzt und kaum noch mit den Eltern spricht, so der Medienpsychologe. Dann sollten Eltern mit ihren Kindern reden.

Eltern müssten sich nicht vor derartigen Gewalttaten fürchten, wenn sie die Schwierigkeiten, aber auch die Interessen und Freuden der Kinder kennen. "Wenn man an diesen teilnimmt, von diesen weiß, es eine funktionierende Kommunikation zwischen Kindern und Eltern gibt, dann ist man sicher, dass man negative Tendenzen bemerkt und versuchen kann, gegenzusteuern", so der Experte.

"Aber nicht mit Verboten und Einschränkungen, sondern mit dem Signal, dass man das Kind emotional unterstützen möchte", meint Vitouch. Die Killerspiele sind auch nicht zu stoppen. "Quake 3" etwa steht in Deutschland auf dem Index für verbotene Spiele, kann in Österreich aber gekauft werden. Und illegale Kopien verbreiten sich rasch.

Edith Bachkönig, Ö1-Wissenschaft/ red
Mehr zu diesem Thema in den Medien:
->   futurezone.ORF.at zu Videospielen und Gewalt
->   "F.A.Z.": "Ihr seid nicht allein! Eine Emotion wird Ware: Das Internet gibt Mördern das Gefühl, nicht alleine zu sein"
->   "SZ": "Rituale der Gewalt. Das Kino ist schuld - argumentative Schnellschüsse nach Erfurt"
 
 
 
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01.01.2010