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Exotische Materie als Auslöser ''seltsamer'' Erdbeben?  
  Winzige Materieteilchen aus dem Kosmos könnten für einige "seltsame" Erdbeben verantwortlich sein, so die These amerikanischer Geophysiker. Die exotischen "Strangelets" - bestehend aus nicht minder exotischen "Strange Quarks" - sollen die Erde wie kosmische Geschosse durchschlagen können. Bei ihrer angenommenen enormen Dichte ein Ereignis von immenser Schlagkraft.  
Die Existenz der Teilchen, die etwa die Größe eines roten Blutkörperchens haben sollen, wurde bereits vor 20 Jahren postuliert - bis heute gelang es jedoch nicht, die Strangelets tatsächlich nachzuweisen. Zumindest indirekt wollen nun amerikanische Geophysiker genau dies erreichen.
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''Passage of Strange Quark Matter Through the Earth''
Das Forscherteam von der Southern Methodist University im texanischen Dallas hat seinen Artikel "Two Seismic Events with the Properties for the Passage of Strange Quark Matter Through the Earth" beim "Bulletin of the Seismological Society of America" zur Veröffentlichung eingereicht.
->   Abstract des Artikels
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Die seismografische Spur der ''Strangelets''
Die Wissenschaftler vom Institut für Geologische Wissenschaften der Southern Methodist University untersuchten mehr als eine Million seismischer Aufzeichnungen weltweit - und wurden fündig: In zwei Fällen zeigten die Daten seismische Erschütterungen an, die sich mit den Strangelets erklären lassen könnten.
Enorme Geschwindigkeit
Beide Male hatten Seismografen starke Beben aufgezeichnet, die sich allerdings ungewöhnlicherweise durch die Erdschichten hindurch in Wellen fortpflanzten und schließlich den Erdmantel wieder durchbrachen.

Die Zeitdauer dieser "Erddurchquerungen" lag bei 26 bzw. 19 Sekunden - womit eine Geschwindigkeit von bis zu 900.000 Meilen pro Stunde (rund 1,5 Millionen km/h) gegeben war.
Linearer Durchschlag
Die Schlagkraft der erdbebenartigen Ereignisse war in etwa vergleichbar mit dem Wert 4,5 auf der Richterskala. Doch die Eruptionen bewegten sich mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Kilometern pro Sekunde linear durch die Erde, statt - wie ein "normales Erdbeben" nur in Oberflächennähe aufzutreten.
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Details der beiden Ereignisse
Als Quelle der Forschungen dienten seismische Daten, die in den Jahren 1990 bis 1993 aufgezeichnet und an den U.S. Geological Survey geschickt worden waren. Bei allen Ereignissen handelte es sich um Vorfälle, die sich nicht auf ein "klassisches" epizentrisches Beben zurückführen ließen.

Am 22. Oktober 1993 zeichneten Seismografen in der Türkei und in Bolivien eine starke Erschütterung in der Antarktis auf. Das Beben durchquerte die Erde und durchbrach schließlich - nur 26 Sekunden später - erneut den Erdmantel auf dem Boden des Indischen Ozeans an der Küste Sri Lankas.

Ähnlich das zweite entdeckte Ereignis: Am 24. November 1993 erfassten Sensoren in Australien und Bolivien eine Explosion, die sich beginnend im Pazifik südlich der Pitcairn Inseln durch die Erde fortbewegte und 19 Sekunden später in der Antarktis wieder austrat.
->   U.S. Geological Survey
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Einzige Erklärung: Strange-Quark-Nuggets
Nach Ansicht der Wissenschaftler sind beide Beben auf den Einschlag von Strangelets mit "kosmischer Geschwindigkeit" zurück zu führen. "Die einzige Erklärung für solche Ereignisse, wie wir sie hier haben, ist die Durchquerung der Erde durch Strange-Quark-Nuggets", schreiben die Forscher in ihrem Bericht.

Der kleine "Schönheitsfehler": Bislang ist es noch niemandem gelungen, die "Strangelets" direkt nachzuweisen. Sie bestehen laut Theorie zum Teil aus "Strange Quarks" und werden daher auch "Strange Quark Nuggets" genannt.
Ursprung im Urknall
Bereits 1984 hatte der Physiker Edward Witten vom Institute for Advanced Study in Princeton die Theorie der Strangelets aufgestellt, deren Ursprung er kurz nach dem "Big Bang" vermutete.

Demnach zeichnen sich die Materieteilchen durch verschiedene ungewöhnliche Eigenschaften aus: Ihre enorme Dichte (etwa 10.000.000 mal dichter als Blei) macht die Winzlinge zu wahren Schwergewichten. Gleichzeitig rasen sie mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1,6 Millionen Kilometer pro Stunde durch den Kosmos.

Witten nahm schon damals an, dass diese extrem dichte Form von Materie, die sich aus verschiedenen Arten von Quarks zusammensetzt, die Erde in bestimmten Abständen streift und durch seismische Signale aufgespürte werden könnte.
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Quarks und Strangelets
Die Physiker Murray Gell-Mann und George Zweig entwickelten in den sechziger Jahren ein Theorie-Modell, in dem die "Elementarteilchen" Neutronen und Protonen aus noch kleineren Bestandteilen zusammen gesetzt sind - den so genannten "Quarks". Der Name stammt im Übrigen aus einem Roman des irischen Schriftstellers James Joyce: "Three quarks for Muster Mark!"

Man unterscheidet sechs verschiedene Quarks: Up-, Down-, Strange-, Charm-, Bottom- und Top-Quarks. Freie Quarks sind allerdings bis heute nicht beobachtet worden; der Nachweis der Quarks geschieht experimentell durch Beobachtung verschiedener Elementarteilchen in großen Elektron-Positron-Speicherringen.

Strangelets setzen sich zusammen aus einem Up- und Down-Quark. Hinzu kommt jedoch auch ein Strange Quark, das für die extreme Dichte der Strangelets verantwortlich sein soll.
->   Mehr Informationen zu Quarks
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Winzig klein - wenig Zerstörung?
Genau diese Eigenschaften machen die kosmischen Exoten auch zu den geeigneten Kandidaten für die seltsamen Beben. Denn trotz ihrer enormen Dichte und Geschwindigkeit, die eine hohe Energie vermuten lassen, sind sie doch winzig klein.

Ein Aufprall der Strange Quark Nuggets auf der Erde könnte also einen lokal stark begrenzten Effekt zeigen. Weiter verbreitete Zerstörungen auf der Erdoberfläche gelten als unwarscheinlich.
Winzige Krater
Trotz der enormen Schlagkraft der Strangelets ist von ihnen also weniger zu befürchten, als etwa von einem auf der Erde auftreffenden Meteor. Nach Ansicht der Wissenschaftler lässt sich zwar die tatsächliche Auswirkung schwer bestimmen, mehr als ein "winziger Krater" sei allerdings nicht zu erwarten.
Schätzung: Ein Einschlag pro Jahr
Eugine Herrin, einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler, schätzt, dass im Durchschnitt etwa ein Strangelet pro Jahr die Erde trifft. Dennoch bleiben die Strange Quark Nuggets - vorerst zumindest - noch reine Theorie.

Ein Nachweis der kosmischen Teilchen hätte jedoch signifikante Auswirkungen auf weitere Geheimnisse der Astrophysik. Denn nicht zulezt könnte die mysteriöse Dunkle Materie, die nach Schätzungen bis zu 90 Prozent des Universums ausmacht, aus ihnen bestehen.
->   Southern Methodist University Department of Geological Sciences
Mehr zum Thema Quarks in science.ORF.at:
->   Quarkstern entdeckt: Superschwer, -heiß und -dicht (16.04.2002)
->   Strange Quarks: Flüchtige Bestandteile der Materie (23.08.2001)
 
 
 
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01.01.2010