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Stress stört Kommunikation oft lebensbedrohlich  
  Laut einer Studie der ILO, der International Labour Organization, sind im Jahr 2001 bei der Arbeit täglich ungefähr 5.000 Menschen verletzt worden oder zu Tode gekommen. Das sind drei Mal so viele Menschen wie in Kriegshandlungen. Die Ursachen liegen in erster Linie in Kommunikationsproblemen. Genau deswegen erforschen weltweit Linguisten, Psychologen und Pädagogen, was gruppendynamisch unter Druck vor sich geht und wie sich die menschliche Kommunikation unter Stress verändert.  
Viel reden, wenig verstehen
Sprachwissenschaftler haben herausgefunden, dass bei Menschen in Gefahrensituationen das Verarbeitungssystem für Sprache schnell ausfällt, während das Sprachproduktionssystem bis zuletzt funktioniert. Menschen reden in Risikosituationen viel, verstehen aber kaum mehr etwas.
W-Fragen können nicht verarbeitet werden
Der Berliner Psycholinguist Rainer Dietrich, der Mitte Mai in Berlin ein internationales Symposion über Gruppeninteraktionen in Hochrisiko-Situationen leitete, hat Sprachanalysen aus den voice recordern abgestürzter Flugzeuge gemacht.

Seine wichtigste Erkenntnis: "W-Fragen" (wie zum Beispiel: Wieviel Treibstoff haben wir noch? Wann erreichen wir den nächsten Flughafen) kann das Gehirn in Extremlagen nicht verarbeiten, Ja/nein Fragen hingegen schon. Ein verbessertes Sprachverständnis in Stress-Situationen kann nicht trainiert werden.
Klare knappe Anweisungen vonnöten
Der Bremer Psychologe und Sicherheitswissenschaftler Dietrich Ungerer analysiert, wie Führungskräfte bei der Polizei und beim Militär in Risikolagen reden, und mit welcher Sprache in einer Katastrophensituation das Chaos am ehesten in den Griff zu bekommen ist.

Klar, kurz und knapp müssen die Anweisungen sein, um noch in den "Gehirnspalt" der unter Stress stehenden Adressaten hineinzukommen. Im Normalfall kann ein Mensch 15 Wörter bzw. eine fünf Sekunden lange Information aufnehmen und speichern. In Gefahrenlagen reduziert sich diese Fähigkeit bis auf eine Sekunde oder bricht sogar ganz zusammen.
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Notfall-Phraseologie
Dietrich Ungerer arbeitet daher an einem Konzept einer "Notfall-Phraseologie". Eine normierte Notfallsprache sei im Katastropheneinsatz unerlässlich, um gefährliche Missverständnisse zu vermeiden und um die wichtigsten Informationen - auch unter größtem Druck - noch an den Adressaten zu bringen.
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Autoritärer Führungsstil, doch ...
Die Erfahrung, dass ein autoritärer Führungsstil in Katastrophenlagen von Vorteil ist, bestätigen auch einige Studien von Sozialpsychologen. Untersuchungen der amerikanischen Psychologin Judith Orasanu vom NASA Ames Research Center belegen, dass auch in der Luftfahrt eine klare Führungsstruktur von Vorteil ist.

Die ideale Führungsstruktur ist allerdings dann gegeben, wen der Pilot seine Kopiloten in Entscheidungen mit einbindet.
... Teamwork statt Einzelkämpfer-Heldentum
Teamwork statt Einzelkämpfer-Heldentum - darin sieht auch der Astronaut Reinhold Ewald von der ESA (European Space Agency) die Zukunft. Reinhold Ewald erlebte im Jahr 1997 auf der russischen Raumstation MIR den Ausbruch eines Brandes.

Nur dank besonnenen kooperativen Handelns konnte die Besatzung die lebensgefährliche Situation unter Kontrolle bringen.
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Gefährlicher Arbeitsplatz: Großbaustellen
Ein weit weniger spektakulärer, aber trotzdem gefährlicher Arbeitsplatz sind Großbaustellen. Die Unfallrate ist hier ungefähr drei Mal so hoch wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Eine Ursache dafür liegt darin, dass Menschen auf einer Baustelle gewohnt sind, mit Provisorien und dem Unvorhersehbaren zu leben. Das prägt: Baustellenarbeiter gehen oft mit einer gewissen Sorglosigkeit um.

Die Hauptgründe für das erhöhte Unfallrisiko auf Großbaustellen sind aber der finanzielle Druck, unter dem das Baugewerbe steht, und die fehlende Lobby für die Bauarbeiter. Dazu kommen häufig interkulturelle Schwierigkeiten, Sprachprobleme und eine schlechte Ausbildung. Erst langsam beginnt sich auch auf Baustellen die Idee der Risikovorsorge durchzusetzen.
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Psychologische Schulung für Piloten
Einer der Väter der Kommunikationsschulung in riskanten Arbeitsbereichen ist der amerikanische Sozialpsychologe Robert Helmreich von der University of Texas in Austin .Er hat sich vor allem mit der Luftfahrt beschäftigt. Auf ihn geht eine - heute für alle Piloten verpflichtende - psychologische Schulung zurück, das so genannte Crew Ressource Management.
70 Prozent der Flugzeugabstürze: Menschliches Versagen
Anlass für die Forschungen Robert Helmreichs war vor ungefähr 20 Jahren ein Bericht der NASA, der besagte, dass etwa 70 Prozent der Flugzeugabstürze auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Robert Helmreich fand heraus, dass es sich bei menschlichem Versagen in erster Linie um Führungsfehler, Entscheidungsfehler und Kommunikationsfehler handelt, höchst selten um Fehler im Umgang mit der Technik.
Gefahren in der Medizin
Inzwischen hat sich Robert Helmreich dem medizinischen Bereich zugewandt. Er analysiert die häufigsten Fehler und Gefahrenquellen im Operationssaal und in der Intensivmedizin. Anlass dazu war ein Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 1999, aus dem hervorging, dass in den USA bis zu 98.000 Menschen jährlich aufgrund ärztlicher Fehler sterben.
"Betrunkene" Ärzte
Durch Fragebögen, Fallanalysen und direkte Beobachtungen im Operationssaal und auf den Intensivstationen hat Robert Helmreich herausgefunden, dass die größte Gefahr im medizinischen Bereich die Übermüdung ist. Krankenhausärzte arbeiten bis zu 100 Wochenstunden.

Studien des australischen Wissenschaftlers Drew Dawson über die Wirkung von Schlafentzug auf die kognitiven Leistungen haben gezeigt, dass 24 Stunden ohne Schlaf einem Blutalkoholspiegel von einem Promill entsprechen. Das bedeutet, dass viele Ärzte, rechtlich gesehen, betrunken sind.

Ein Beitrag von Maria Mayer für das Salzburger Nachtstudio auf Ö1 vom 22. Mai 2002, 21.01 Uhr.
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01.01.2010