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Hirnforschung versucht Intelligenz zu erklären  
  Die unterschiedliche Intelligenz der Menschen ist durch Tests messbar. Erst seit kurzem untersuchen die Forscher jedoch, wie sich die Gehirne mehr oder weniger intelligenter Menschen unterscheiden. Also welche Mechanismen dem zu Grunde liegen, dass Menschen Informationen unterschiedlich schnell verarbeiten und mehr oder weniger fähig sind zu logischen Schlüssen.  
Die Psychologen und Neurobiologen verfolgen neuerdings zwei "heiße Spuren" zu biologischen Markern der Intelligenz. Der Psychologe Aljoscha Neubauer von der Universität Graz berichtet über ihre Erkenntnisse in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "Psychologie heute".
Bildgebende Verfahren "zeigen" Intelligenz im Gehirn
Bildgebende Elektroenzephalogramm (EEG)-Verfahren haben demnach gezeigt, dass intelligente Menschen die Aktivierung des Gehirns auf kleinere Areale der Großhirnrinde beschränken können.

Vor allem auf solche, die für die Bearbeitung der jeweiligen Aufgabe wirklich nötig sind. Weniger begabte hingegen müssen größere Teile aktivieren und verbrauchen so für dieselbe Aufgabe mehr Energieressourcen.
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Andere Studien - ähnliche Ergebnisse
Ähnliche Unterschiede - wie die vom Grazer Institut für Psychologie festgestellten - haben Studien mittels der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) an der Universität Irvine (USA) ergeben. Dieses bildgebende Verfahren dient der Untersuchung von Stoffwechselaktivität im Gehirn. Die Methode eignet sich besonders zum Aufspüren von Hirntumoren, aber auch um beispielsweise den Ausgangspunkt epileptischer Aktivitäten im Gehirn zu lokalisieren.
->   science.ORF.at: Radiologische High-Tech-Diagnoseverfahren
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Suche nach den Ursachen
Die Frage ist nun, welche die Ursachen für das Mehr und Weniger an "neuraler Effizienz" sind. Hierzu gibt es bisher nur Hypothesen, denn die präsentierten Erklärungen können mit den derzeit verfügbaren Methoden der Neurowissenschaft nicht überprüft werden.

Zwei sind jedenfalls plausibel. Die eine ist die Myelin-Hypothese. Die "Output"-Leitungen (Axone) der Nervenzellen, die über die Kontaktstellen Verbindungen mit anderen Zellen herstellen, sind häufig von einer Art Isolierschicht umgeben, dem Myelin.
Mehr Myelin - bessere Leitung
So wie ein besser isoliertes elektrisches Kabel Signale schneller und mit geringeren Leitungsverlusten transportiert, lässt sich in Laborversuchen auch nachweisen, dass stärker myelisierte Axone die elektrische Erregung entsprechend besser weiterleiten. Gehirne mit solchen Axonen dürften auch eher in der Lage sein, die Aktivität auf kleinere Areale zu begrenzen.
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Parallelen zur Entwicklungspsychologie
Dem Begründer der Myelin-Hypothese, Edward M. Miller (New Orleans, USA), zufolge sprechen auch Parallelen zur Entwicklungspsychologie für diese Erklärung. Da Myelin erst in der Kindheit aufgebaut und im Alter wieder abgebaut wird, könnte auch die Altersentwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit die Qualität der Myelin-Ummantelung widerspiegeln.
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Abbau überflüssiger Synapsen
Bei der anderen Hypothese geht es um die Kontaktstellen der Nerven, die Synapsen. Nach dem Aufbau der synaptischen Verbindungen in den ersten fünf Lebensjahren werden offenbar in den folgenden Jahren nicht genutzte, "überflüssige" Verbindungen wieder abgebaut.

Richard Haier von der Universität Irvine in den USA verweist hierzu auf Studien, die zeigen, dass geistig behinderte und autistische Menschen einen überdurchschnittlich starken Energieverbrauch im Gehirn haben. Als man Gehirne solcher Personen nach dem Tode sezierte, fand man ungewöhnlich viele Synapsen.
Unvollständige Bereinigung - weniger Effizienz?
Die Befunde lassen Haier vermuten, dass unterdurchschnittliche Intelligenz mit einem uneffizienten oder unvollständigen "neural pruning" (neurale Bereinigung) erklärbar sein könnte.

In diesen Gehirnen wäre demnach zu vieles mit zu vielem verknüpft, während "Genies" vielleicht Menschen mit besonders effizient bereinigten Gehirnen sind, also nur die wirklich nötigen Synapsen haben.
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Komplexes Zusammenspiel: Die mentalen Fähigkeiten
Die Datenverarbeitung im menschlichen Gehirn wird durch ein Netzwerk von 100 Milliarden Nervenzellen garantiert. Für die Übertragung von Informationen sind spezialisierte Kontaktstellen, so genannte Synapsen, verantwortlich.

Elektrische Impulse in einer sendenden Nervenzelle setzten Botenstoffe frei, die von anderen Nervenzellen empfangen würden. Die Effektivität dieses Übertragungsprozesses könne von den beteiligten Zellen genau reguliert werden.

Die moderne Hirnforschung geht nach wie vor davon aus, dass bestimmte Hirnregionen bestimmte Funktionen haben. Allerdings weiß man mittlerweile, dass das gesunde Gehirn netzwerkartig arbeitet und sich kognitive Leistungen nicht einfach auf bestimmte, fest umrissene Gehirnareale beschränken lassen.
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Hirnforschung und Kreativität
Auch zur Kreativität hat die Hirnforschung Neues herausgefunden, wie der Grazer Professor in dem Magazin "Gehirn & Geist" (Nr. 2/Heidelberg) berichtet.

Zu einer auch neurowissenschaftlichen Unterscheidung von Intelligenz und Kreativität zitiert Neubauer eine Idee des Psychologen Colin Martindale (University of Maine Orono, USA).
Konvergentes und divergentes Denken
Starke Aktivität kleinerer Gebiete der Großhirnrinde bewirken wie bekannt gute Leistungen bei Aufgaben, die eine logisch ableitbare Lösung verlangen, also Intelligenzaufgaben. Hier spricht man von konvergentem Denken.

Im Unterschied davon geht es beim divergenten Denken darum, zu einer Problemstellung möglichst vielfältige oder sogar ungewöhnliche, also kreative Lösungen zu finden.

Eine schwache, aber gleichmäßige Aktivität weiter Teile des Gehirns würde es nach Martindales Überlegung erleichtern, dafür nützliche entfernte Assoziationen zu entdecken.
Die Kommunikation zwischen Gehirnarealen
Mittels so genannter EEG-Kohärenzen lässt sich überprüfen, wenn zwei verschiedene Gehirnareale miteinander "im Gespräch" sind. Der Psychologe Norbert Jansovec (Marbor, Slowenien) vermochte in jüngster Zeit mit dieser Methode Martindales Idee zu stützen.

Als er die Gehirnaktivierung zwischen Intelligenz- und Kreativitäts-Aufgaben verglich, waren bei letzteren tatsächlich entfernte Gehirnareale stärker gekoppelt.

(Rudolf Grimm, dpa/ red)
->   "Psychologie heute"
->   Institut für Psychologie der Universität Graz
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01.01.2010