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Ältester "Menschenvorfahre" gefunden  
  Als "Homo sapiens" ist der Mensch die einzige heute lebende Art aus der Familie der Hominiden. Forscher sind damit beschäftig, den "Familienstammbaum" dieser Art möglichst lückenlos zu dokumentieren. Nun sorgt ein neuer Fund für Aufregung: Das älteste Mitglied der Menschenfamilie lebte möglicherweise schon vor sechs bis sieben Millionen Jahren - und wäre damit doppelt so alt wie die berühmte "Lucy" aus Ostafrika.  
Wissenschaftler aus Frankreich und dem Tschad berichten in der britischen Fachzeitschrift "Nature" vom Fund eines Schädels in Zentralafrika, der aus der Zeit der Trennung der Affen- und Menschenartigen stammen könnte.
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Artikel und weitere Informationen frei zugänglich
Der Bericht der Forscher sowie weitere Artikel zu diesem Thema erscheinen in der aktuellen Ausgabe von "Nature", Bd. 418, Nr. 6894, Seiten 145 - , vom 11. Juli 2002. Das britische Fachmagazin stellt in diesem Fall alle Texte frei zur Verfügung - auf einer speziellen Website, die auch eine Auswahl klassischer Arbeiten der Palaeoontologie enthält, beginnend mit der Entdeckung des Australopithecus africanus im Jahr 1925.
->   Die frei zugängliche "Nature"-Website
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Doppelt so alt wie "Lucy"
Damit wäre der neue Fund rund doppelt so alt wie die berühmte "Lucy", ein Teilskelett, das 1974 in Äthiopien gefunden wurde und lange Zeit - mit einem Alter von 3,2 Millionen Jahren - als letzter, gemeinsamer Vorfahre mehrerer Abstammungslinien von Hominiden galt.

Die meisten bekannten Hominiden-Funde sind aber tatsächlich keine direkten Vorfahren des Menschen, sondern starben - wie etwa der Neandertaler - aus.
Neue Theorien zur Abstammung des Menschen?
Der neue Fund könnte die Vorstellungen über die Abstammung des Menschen ebenso revolutionieren wie der des "Taung-Schädels" in Südafrika vor 77 Jahren, glauben Experten.

Bereits im Juli 2001 fand die Expedition der "Mission paleoanthropologique Franco-Tchadienne" in der Djurab-Wüste im Norden des Tschad einen gut erhaltenen Schädel, zwei Bruchstücke von Unterkiefern und drei Zähne, berichtet Projektleiter Michel Brunet von der französischen Universität Poitiers.
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Die Spuren des Menschen (I)
Sieben bis sechs Millionen Jahre - "Sahelanthropus tchadensis".
Sechs Millionen Jahre - "Orrorin tugenensis": Wissenschaftler finden im Oktober 2000 in Kenia die Reste des nach ihren Angaben ältesten Vorläufers des Menschen, den sie "Millennium-Mensch" nennen. Er zeigt deutliche Hinweise für den aufrechten Gang. In der Fachwelt ist jedoch umstritten, ob er ein direkter Vorfahr des Menschen war.
5,8 bis 5,2 Millionen Jahre - "Ardipithecus ramidus kadabba": Ein internationales Forscherteam präsentiert im Juli 2001 Knochen aus Äthiopien, die mit großer Sicherheit zu einem Vorfahr des heutigen Menschen gehören.
4,1 Millionen Jahre - "Australopithecus anamensis": Im September 1994 wird in Kanapoi (Kenia) der Unterkieferknochen des "Australopithecus anamensis" gefunden, einer Art, die noch eine ungewöhnliche Kombination affen- und menschenähnlicher Eigenschaften aufweist. Er ging mit großer Sicherheit aufrecht.
3,2 Millionen Jahre - "Australopithecus afarensis", Spitzname "Lucy".
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Mischung aus primitiv und modern
Bild: dpa/Nature/Mission Paleoanthropologique Franco-Tchadienne
Alle Überreste deuten auf ein Wesen mit einer Mischung von primitiven und moderneren Merkmalen, das keiner der bisher bekannten Arten zugeordnet werden kann.

Der Hirnschädel (siehe Bild rechts) ähnelt dem eines Schimpansen, der relativ flache Gesichtsschädel, die markanten Wülste über den Augenhöhlen und die kleinen Eckzähne deuten dagegen deutlich auf eine Menschenverwandtschaft.

Die genaue Datierung ist noch nicht abgeschlossen, berichtete Brunet. Tierfossilien der selben Fundstelle aus 44 verschiedenen Gruppen weisen jedoch auf ein Alter zwischen sechs und sieben Millionen Jahre hin. Damit wäre das Fossil der älteste bekannte Vorfahre des Menschen.
Spitzname "Toumai"
Der Fund erhielt den wissenschaftlichen Namen "Sahelanthropus tchadensis" (wegen seines Fundes im Tschad und der Sahel-Zone). Wie viele andere bedeutende Menschenfunde, etwa "Taung" und "Lucy" erhielt er aber auch einen Spitznamen: Toumai.

In der Sprache der Bewohner der Djurab-Wüste wird dieser Name, "Hoffnung auf Leben", häufig Kindern gegeben, die kurz vor der Trockenzeit geboren werden.
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Die Spuren des Menschen (II)
3,5 - 3,2 Millionen Jahre - "Kenyanthropus platyops": Im März 2001 berichten Forscher nach Knochenfunden in Kenia, dass es bereits vor 3,5 Millionen Jahren zwei Linien in der Entwicklung der menschlichen Vorfahren gab.
2,5 Millionen Jahre - "Australopithecus africanus": Schädelfund von 1947.
2,5 - 2,3 Millionen Jahre - "Homo rudolfensis": Dieser Mensch hat ein größeres Gehirn als die Australopithecinen und nutzte auch schon Werkzeuge. Er ist möglicherweise einer der direkten Vorgänger des modernen Menschen.
1,8 Millionen Jahre - "Homo habilis": Einige Forscher zählen ihn noch zum Australopithecus.
1,8 Millionen Jahre - 300.000 Jahre: "Homo erectus" - Javamensch
500.000/780.000 Jahre - "Homo heidelbergensis": Sie zählen zu den frühesten Menschen Europas, starben wahrscheinlich aber aus.
100.000 Jahre - "Homo sapiens"
40.000 Jahre - "Homo neanderthaliensis": Ein Fund von 1856 in der Feldhofer-Grotte im Neandertal stellt den Beginn der Forschung zur Evolution des Menschen dar. Heute gilt der Neandertaler als ausgestorbene Seitenlinie des modernen Menschen.
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Wo liegt die "Wiege der Menschheit"?
Der Fund von Toumai könne nicht nur Licht auf die bisher kaum bekannte frühe Entwicklung des Menschen werfen, er zwinge auch dazu, die bisherige Ansicht zu überdenken, dass Ost- und Südafrika die Wiege des Menschen seien, schreibt Brunet.
Früher differenziert, weiter verbreitet ...
Die Tatsache, dass menschenähnliche Wesen im Gebiet des heutigen Tschad lebten, also 2.500 Kilometer von den bekannten ostafrikanischen Fundstellen entfernt, bedeute, dass diese sich schon früh in sehr viel differenzierteren Formen entwickelten und weiter verbreitet waren als bisher angenommen.

"Dies könnte ein ebenso wichtiger Wendepunkt der Forschung sein wie der Fund des ersten "Affenmenschen" (Australopithecus africanus) durch Raymond Dart im Jahre 1925", kommentiert Berard Wood von der Universität Washington (USA) in "Nature".
Experte: Erst "Spitze eines Eisbergs"
"Ich denke, dass Sahelanthropus erst die Spitze eines Eisbergs bisher unbekannter Entwicklungsstufen des Menschen zwischen fünf und sieben Millionen Jahren darstellt", so Experte Wood.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Neandertaler: Keine Vorfahren des Menschen
->   Atapuerca - Die ersten Europäer (Ein Bericht in drei Teilen)
->   Homo Erectus: Weltweiter Urahne des Menschen
->   Streit um Abstammung des Menschen beendet?
 
 
 
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01.01.2010