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Denunziation: Instrument sozialer Kontrolle  
  "Der größte Lump im ganzen Land ist immer noch der Denunziant". Dieses Zitat von Hoffmann von Fallersleben gilt bis heute. Doch die historische Realität lässt sich nicht so leicht auf eine einfache Formel bringen. Eine aktuelle Studie aus Deutschland zeigt Denunziation - auf gut Österreichisch auch: Vernaderung - als individuelles Verhalten, eingebunden in die Kontexte von sozialer Kontrolle und staatlicher Herrschaftssicherung.  
Nicht selten spielen auch Neid und Rachegefühle als Motive für Denunziation eine Rolle, die dann als gesellschaftspolitisches Anliegen bezeichnet werden.
Untersuchung von 3. Reich, BRD und DDR
Mit "Denunziation in Deutschland 1933 bis 1955. Verhalten, rechtliche Normen und staatliche Regulierung im Vergleich" beschäftigte sich in den vergangenen vier Jahren ein Wissenschaftlerteam um Inge Marszolek vom Institut für Regional- und Sozialgeschichte der Universität Bremen.

Dabei wurden drei unterschiedliche Gesellschaftsformen - Nationalsozialismus, Deutsche Demokratische Republik, Bundesrepublik Deutschland - untersucht. Das Projekt wurde von der VolkswagenStiftung mit rund 260.000 Euro gefördert.
Mittel der sozialen Kontrolle ...
Klatsch und Denunziation sind eng miteinander verwobene Kommunikationsformen, die häufig der Ausgrenzung Einzelner dienen. Die Denunziation zeichnet dabei die Besonderheit aus, dass sie an eine übergeordnete Instanz (Vorgesetzte, staatliche Stellen) ergeht, von der Sanktionen gegen die Betroffenen erwartet werden.

Insofern ist sie ein Mittel der sozialen Kontrolle, das die "höhere Instanz" zu instrumentalisieren versucht.
... und der staatlichen Informationsbeschaffung
Im Gegenzug kann Denunziation aber auch ganz gezielt zur staatlichen Informationsbeschaffung benutzt werden und dabei so unterschiedlichen Zwecken dienen wie der Entnazifizierung in den Ost- und Westzonen Nachkriegsdeutschlands oder der "Volkskontrolle" beim Aufbau einer neuen Gesellschaft in der DDR.

So kann Denunziation je nach Sichtweise als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und als Straftatbestand gewertet werden.
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Unterschiedliche Strategien der drei deutschen Staaten
Die Analysen der Bremer Wissenschaftler ergaben, dass sowohl das nationalsozialistische Regime als auch die beiden Nachfolgegesellschaften unterschiedliche Strategien verfolgten: Im Nationalsozialismus wurde das Gesetz zur Bestrafung falscher Anschuldigung verschärft, zugleich aber eine Fülle von Denunziationsmöglichkeiten geboten.

In der SBZ/DDR wurde gar eine Bringschuld der Bevölkerung für "gute Denunziation" proklamiert. Im Westen hingegen wurde - sieht man von den Aufforderungen der Militärregierung zur aktiven Mithilfe bei der Entnazifizierung ab - auf informeller Ebene über Denunziation als Mittel zur Konfliktlösung in der neuen demokratischen Ordnung verhandelt.
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Herstellung der Ordnung als gemeinsames Ziel
"Denunziation dient, gleich in welchen Systemen, der Herstellung von Ordnung. Insofern erhöht sich in Umbruchzeiten die Bereitschaft zur Denunziation. Der historische Vergleich verdeutlicht die Vielfalt menschlicher Strategien, sich in den politischen Kräftefeldern zu behaupten, diese in eigenem Interesse zu nutzen und zu verändern," erklärt Inge Marszolek.

"Dieser Vergleich gibt uns auch einen Einblick, wie sich Rechts- und Unrechtsbewusstsein des Einzelnen auf Grund der Interventionen von Staat und Justiz verändern und verhaltensanleitend werden können", ergänzt Professorin Inge Marszolek.
Denunziatorisches Potenzial: Abweichendes Sexualverhalten
Spannend für die Bremer Forscher war herauszufinden, wie sich diesbezüglich der Übergang von einer Diktatur in die nächste gestaltet. Die kommunistische Führung in der DDR tat sich zunächst schwer, eine Verpflichtung zur Informationsweitergabe vorzusehen:

Zu frisch waren noch die Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus, dass Kommunisten vielfältig Opfer von Denunziation geworden waren. Ein die Gesellschaftsformen übergreifendes Reservoir denunziatorischen Potenzials scheint von den tradierten Vorstellungen abweichendes Sexualverhalten gewesen zu sein.
Motive: Neid- und Rachegefühle
Nicht selten treten in den Quellen auch Neid und Rachegefühle als Motive für Denunziation zu Tage, die dann als gesellschaftspolitisches oder gar staatserhaltendes Anliegen verbrämt wird.

"Die Ergebnisse des Projektes stellen erste Bausteine für eine Kulturgeschichte von Denunziation im zwanzigsten Jahrhundert dar", meint Inge Marszolek.
->   Fachbereich Sozialwissenschaft der Universität Bremen
->   VolkswagenStiftung
 
 
 
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01.01.2010