News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Hypnose: Die Entstehung einer anderen Wirklichkeit  
  Hypnose ist eine durch eine andere Person eingeleitete Trance, in der ein besonders intensives inneres Erleben möglich wird. Mittlerweile gibt es eine Reihe gesicherter medizinischer Belege, dass mittels Hypnose psychische Störungen und körperliche Leiden geheilt - oder zumindest gelindert werden können.  
Die Kraft der Imagination
Hypnose ist eine Art und Weise - so Dirk Revenstorf von der Arbeitsgruppe Psychotherapieforschung an der Universität Tübingen - sich mittels Imagination, mittels Vorstellungskraft eine alternative Wirklichkeit vorzustellen, aufzubauen und in dieser zu leben, zu handeln, zu denken und zu fühlen, sodass keine Symptome mehr nötig sind.

Durch Hypnose kann man Menschen mit somatischen, psychosomatischen und psychischen Leiden helfen, ohne alles - so Reventorf - auf die Ebene des verbalen Alltagsbewusstseins zerren zu müssen und dabei die Kreativität des Nichtrationalen zu nutzen.
Zustand hypnotischer Trance
Durch zahlreiche theoretische, experimentelle und klinische Untersuchungen ist heute erwiesen, dass mit Hypnose innere Spannung gelöst, psychische Störungen (Angststörungen, Depressionen etc.) geheilt und körperliche Leiden (Asthma, Migräne, Hauterkrankungen etc.) gelindert oder geheilt werden können.
...
Historische Wurzeln
Die historischen Wurzeln weisen Hypnose als rituelles Heilverfahren aus; Hypnose gehört zu jenen Heilritualen, wie sie auch im Schamanismus eingesetzt werden. Dass Hypnose schon zu Urzeiten zur Behandlung von Angst angewandt wurde, zeigen ganz frühe Höhlenzeichnungen (dargestellt sind Rituale, wie Männern - bevor sie auf die Jagd gingen - die Angst vor wilden Tieren genommen wurde). Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen stammen aus Ägypten und Mesopotamien. Im 19. Jahrhundert erfolgten die ersten Bemühungen, die Hypnose wissenschaftlich zu begründen.
...
Loslösung vom Magischen
Nachdem Hypnose sich vom Magischen emanzipiert hatte, nutzten zunächst britische Ärzte (Braid, Esdaile) Mitte des 19. Jahrhunderts die schmerzstillenede Wirkung der Hypnose und verschafften ihr erhebliche Verbreitung, bis schließlich die Entdeckung von Chloroform, Lachgas und anderen chemischen Betäubungsmitteln die Hypno-Analgesie verdrängte.

Ende des 19.Jahrhunderts erlebte die Hypnose ausgehend von den medizinischen Schulen in Nancy und Paris wieder eine Renaissance. Sigmund Freud, der die Technik in Frankreich kennen und auch ausüben lernte, sah in der Hypnose zwar einen Weg zum Unbewussten, wandte sich aber bald wieder von ihr ab.
Die andere Form der Therapie
Im Gegensatz zu anderen Psychotherapieverfahren, so Henriette Walter von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie, schaut man in der Hypnosetherapie nicht vordergründig, welche Beschwerden oder Störungen ein Klient hat, sondern vielmehr darauf, welche Fähigkeiten und Ressourcen er mitbringt; Fähigkeiten und Ressourcen, die man nützen kann, um das, was nicht so gut funktioniert, zu verbessern.
Werkzeug Suggestion: Keine Programmierung
Wenn der Therapeut mit diesen bis dahin ungenützten Ressourcen arbeitet, bedient er sich ¿Suggestionen.¿ Dass dürfe man sich aber nicht so vorstellen, so Dirk Revenstorf, dass man in einen empfänglichen Zustand der Trance versetzt und dann umprogrammiert werde, indem man Aufforderungen oder Befehle aufnimmt.

Vielmehr versuche man den Klienten in Trance mit jenen eigenen Ressourcen in Verbindung zu bringen, die er im Alltagsdenken normalerweise ausschließe bzw. ausgrenze.
Therapiebeispiel Flugangst
Ein Beispiel: Eine Frau leidet unter Flugangst, weil sie einmal in einen Sturm geraten und dabei so richtig durchgerüttelt worden ist - wie kann man ihr helfen?

In der vom Therapeuten herbeigeführten Altersregression in Trance erinnert die Frau sich daran, dass sie einmal als Siebenjährige auf der Lenkstange ihres Vaters mitgefahren ist, dabei furchtbar durchgerüttelt worden war, dies aber in der Situation mit dem Vater als angenehm empfunden hat.

Die Hypnosetherapie sieht dann so aus, dass man die Klientin anleitet, sich vorzustellen, sie sitze im Flugzeug und sich dann ebenfalls vorzustellen, sie sitze auf der Lenkstange vom Fahrrad des Vaters - um so das Wohlbefinden auf die aktuelle Situation zu übertragen.
...
Hypnose-Strategien
- Die Altersregression, bei der Probleme durch Rückführung in die Entstehungsgeschichte bewältigt werden;
- die Dissoziation, bei der kontrolliert und selektiv mentale Prozesse wie Wahrnehmung, Emotion und Gedächtnis abgetrennt werden;
- die Assoziation, bei der kritische Episoden emotional und kognitiv durch fiktive oder reale Ressourcen-Erfahrung korrigiert werden;
- die Progression, bei der zukünftige oder sich wiederholende Konfliktsituationen imaginiert werden, wobei Entwicklungsschritte vorwegnehmend visualisiert oder aus der Zukunft rückblickend rekonstruiert werden und
- die Transformation, bei der ein Symptom, das für das Individuum noch Funktion hat, in seinem ökologischen Nutzen abgeklärt und dann durch andere Verhaltensweisen, die weniger schädlich sind, ersetzt wird.

Durch diese Strategien eignet sich Hypnose und Hypnotherapie auch zur Behandlung unterschiedlichster Angstzustände und Phobien bei Kindern - von Tierphobien bis zu Schulangst, aber auch bei Bettnässen und Nägelkauen.
...
Medizinische Anwendungsgebiete
Rein medizinisch angewandt wird Hypnose in Form von Trance und Suggestion, um unangenehme Untersuchungen wie Magen-, Bronchusspiegelungen oder Zahnbehandlungen erträglicher zu machen.

Ziel dabei ist, den Klienten oder Patienten ¿woanders hin zu orientieren¿, sagt Henriette Walter. Man hilft dem Patienten, an einen schönen Urlaubsort zu denken oder sich auf das Danach zu konzentrieren, wie schön es danach sein werde.

Wenn jemand abnehmen oder mit dem Rauchen aufhören will - die Betonung muss aber auf dem "will", bzw. "wollen" liegen, so Charlotte Wirl von der Milton-Erickson-Gesellschaft Austria ( u.a. für die Fortbildung der Hypnotherapeuten zständig ), bewährt sich Hypnose bzw. Hypnotherapie ebenso wie bei Suchterkrankungen.
...
Milton Erickson: Vater der Hypnotherapie
Auf den amerikanischen Psychiater Milton H. Erickson geht die heute praktizierte Hypnotherapie zurück, die großes Gewicht darauf legt, die dem Klienten innewohnenden Fähigkeiten des Klienten zu erkennen und zu nutzen.

Worauf es dabei ankommt, hat Milton H. Erickson am eigenen Leib verspürt. Er hatte zweimal in seinem Leben mit den Folgen einer Kinderlähmung zu kämpfen und gelernt, sich anhand von Selbsthypnose an früher reale Lebenserfahrungen zu erinnern und dadurch Nervenbahnen zu stimulieren und Körperfunktionen wieder zu aktivieren.

Konkret stellte er sich vor, wie er vor seiner Krankheit auf Bäume geklettert war oder auch, wie er sich einmal mit kochendem Wasser verbrüht hatte. Halluzinatorisches Eintauchen in früheres Erleben stimuliert offenbar Nervenbahnen und beschleunigt die Rehabilitation von Körperfunktionen.
...
Jeder besitzt die Fähigkeit zur Selbsthypnose
Altersregressives Wiedererinnern kindlicher Findigkeit und Unbekümmertheit kann in vielen Lebenssituationen die Grundlage für kreative Problemlösungen sein. Diese Fähigkeit zur Selbsthypnose hat - so der Schweizer Psycho- und Hypnotherapeut Peter Hain - jeder von uns in sich.

Eveline Schütz, in einem Beitrag für das Ö1-Radiokolleg vom 12.-14.8.2002, jeweils um 9.30 Uhr.
Links zum Thema
->   Milton-Erickson-Gesellschaft Austria
->   Arbeitsgruppe Psychotherapieforschung an der Universität Tübingen
->   Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010