News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Das "Wörterbuch der Wiener Mundart"  
  Wer nicht weiß, was ein "Maknschlecka" ist und ob man "Khoibrockaln" tatsächlich essen kann, ist offenbar im "Weanerischen" nicht gut bewandert. Abhilfe schaffen kann hier das "Wörterbuch der Wiener Mundart", das nun in zweiter Auflage erschienen ist. Auf mehr als 800 Seiten bieten über 15.000 Stichwörter einen ausführlichen - und immer wieder amüsanten - Einblick in den Wortschatz der Hauptstadtbewohner.  
Wer glaubt, das echte "Weanerische" bestehe nur aus Schimpfworten, der täuscht sich - wenn auch gleich auf der ersten Seite des "Wörterbuchs der Wiener Mundart" die verschiedensten Verwendungsweisen von "Oasch" und seinen Komposita erklärt werden.
...
Warum der "Oasch" unter "A" steht
Tatsächlich findet sich der "Oasch" unter dem Buchstaben "A", denn als echtes Mundart-Lexikon folgt die Listung der Begriffe deren Aussprache, und in diesem Fall ist das "O" am Wortanfang eben kaum mehr hörbar. So sucht man auch vergeblich nach Wörtern, die mit P, T oder Z beginnen. Im Wienerischen gibt es diese nicht - stattdessen findet sich das P beim B, das T beim D und das Z unter Ds.
...
Von "a" bis "wuwu" durchs Wienerische
Zwischen "a" - wahlweise eine Interjektion wie in "a do schausd hea" oder die Konjunktion "auch" ("dea ist a do") - und "wuwu" - einem lautmalerischen Schreckensruf - finden sich mehr als 15.000 verschiedene Stichwörter aus 100 Jahren "Weanerisch".

So erfährt man etwa, dass der "Maknschlecka" ein scherzhafter Ausdruck für einen Postbeamten ist, dass man "Khoibrockaln" - nämlich Kohlsprossen - tatsächlich essen kann und "Hudriwudri" für Hast, Eile oder Oberflächlichkeit steht.
Auf der Spur fremder Sprachen

Dank der etymologischen Angaben kann man auch den verschiedenen fremdsprachlichen Einflüssen auf das Wienerische nachspüren. So finden sich ursprünglich französische Begriffe wie "Bassena" (Französich "bassin") - etwa im "Bassenadrotsch", dem Gespräch zwischen Hausbewohnern.

Und auch das Jiddische ist vertreten, beispielsweise mit den "Etsses", die man anderen erteilt - gemeint sind gute Ratschläge. Aufpassen sollte, wer "Schmondses" von sich gibt, denn er redet offenbar Unsinn.

Beim Blättern durch das Lexikon kann man sich Zeit lassen - "oiwäu sche bomali", wie der Wiener sagt: immer schon langsam, bequem und gemütlich. "Bomali" stammt aus dem Tschechischen.
...
Informationen zum Buch
Das "Wörterbuch der Wiener Mundart", von Maria Hornung und Sigmar Grüner; 2. Auflage mit rund 1.000 neuen Stichwörtern und Ergänzungen; Erschienen bei öbv & hpt zum Preis von 108 Euro; ISBN: 3-209-03474-5.
->   öbv & hpt
...
Das Werkzeug der Sprachforscher: Mündliche Befragung
Erstellt hat das "Wörterbuch der Wiener Mundart" die Germanistin Maria Hornung. Sie war lange Jahre am Institut für Dialekt und Namenslexika der Universität Wien tätig. Über ihre Arbeit, so erzählt die Sprachwissenschaftlerin gegenüber science.ORF.at, hatte sie Zugang zu diversen Sammlungen des Instituts.

Darüber hinaus hat die Dialektforscherin selbst nach Ausdrücken des "Weanerischen" geforscht. Wie sie erzählt, hat sie beispielsweise viel mit alten Menschen gesprochen. Deren Kinder und Enkel jedoch würden häufig die alten Begriffe gar nicht mehr kennen.

Vor allem aber die modernen Bezüge im "Wörterbuch der Wiener Mundart" mussten allesamt erst erhoben werden - hauptsächlich durch mündliche Befragung. So hat etwa das Handy längst Eingang gefunden in die Mundart, als "Gwidschal" oder "Guakn".
Wo spricht man "Weanerisch"?
Die regionale Begrenzung ist ein Charakteristikum zur Definition von Mundart. Das "Weanerische" - so die naheliegende Erklärung - wird also nur in Wien bzw. im Großraum Wien gesprochen. Hier jedoch lässt sich zunehmend eine Angleichung zwischen den großen Städten beobachten.

In ihrer Jugend etwa habe man in Linz noch ganz anders gesprochen als in Wien, erinnert sich Maria Hornung. Heute jedoch überspringe die Stadtsprache das Land, als Ursache gelte beispielsweise die größere Mobilität der Menschen.
Dialekt: Eine Variante der Sprache
"Dialekt bzw. Mundart gilt als eine Variante der Sprache mit regionaler oder lokaler Geltung", erklärt auch der Sprachwissenschaftler Norbert Richard Wolf - der gebürtige Österreicher lehrt an der Universität Würzburg - gegenüber science.ORF.at.

Diese Variante existiere nur mündlich und werde in erster Linie von Inhabern manueller Berufe im primären Lebensbereich gesprochen. "Eine Stadtmundart - das ist ja der Wiener Dialekt - wird dann vor allem von Arbeitern gesprochen", so Norbert Wolf.
Mundart ist nicht gleich Umgangssprache
Dabei gibt es zwar Überschneidungen mit der Umgangssprache, identisch ist beides aber keinesfalls. Umgangssprache sei standardnäher und habe größerräumliche Geltung, erklärt der Sprachwissenschaftler.

Dabei ist die Umgangssprache variabler: "Manchmal ist sie näher an der Mundart, manchmal näher an der Standardsprache. Sie wird auch von den 'höheren' Schichten, dem so genannten Stadtbürgertum verwendet", so Wolf.
...
Der Beginn der Mundartforschung
"Mundartforschung im engeren Sinn gibt es seit dem Oberpfälzer Johann Andreas Schmeller, der eine wichtige Arbeit zu den Mundarten Bayerns und das erste Bayerische Wörterbuch geschrieben hat", erzählt der Sprachwissenschaftler. Schmeller war ein Zeitgenosse der Gebrüder Grimm, geboren im selben Jahr wie der Jacob Grimm. "In Vielem war Schmeller, ein wissenschaftlicher Autodidakt, viel moderner als Grimm", so Wolf.
->   Weitere Informationen zu Johann Andreas Schmeller
...
Sprachform und Identifikationsmerkmal
Für Sprachwissenschaftler ist die Mundartforschung eine Fundgrube an. "Sie ist eine Sprachform, und wenn die Sprachwissenschaft Sprache(n) beschreibt, dann muss sie sich auch mit Dialekten befassen", wie der Linguist Wolf erklärt.

In den Dialekten finde man einerseits oft alte Formen, andererseits aber auch Neuerungen, die von allgemein linguistischem Interesse seien. Zudem sei der Dialekt ein wesentliches Identifikationsmerkmal der Menschen und auch als solches interessant.
->   Weitere Informationen zu Dialekten und Mundartforschung
Ein Wörterbuch zum Wienerisch lernen
"Das Erscheinungsbild der Wiener Mundart ist von unglaublicher Vielfalt und ständig in Veränderung begriffen. Noch keinem Forscher ist es gelungen, eine vollendete Darstellung dieser in unzähligen Nuancen schillernden Stadtsprache zu bieten", schreibt Maria Hornung im Vorwort.

Ihr "Wörterbuch der Wiener Mundart" ist aber sicherlich der gelungenste Versuch, diese Vielfalt darzustellen. Und dabei ist das Lexikon nicht nur für Sprachwissenschaftler interessant - wer einmal anfängt zu blättern, der hört so schnell nicht mehr damit auf. Schließlich meint die Linguistin, man könne auch ein "gelernter" Wiener sein.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Institut für österreichische Dialekt- und Namenlexika
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Die Dialektdatenbank Österreich
->   Kein "Zwutschkerl": Bairische Mundarten in Österreich
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010