News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Nobelpreis-Anwärter als Fälscher entlarvt  
  Zum ersten Mal in der 77-jährigen Geschichte der Bell Labs wurde diese Woche ein Forscher wegen der Fälschung wissenschaftlicher Daten entlassen. Der Betroffene, Jan Hendrik Schön, galt als Jungstar unter den Nano-Physikern und als Anwärter auf den Nobelpreis. Arnold Schmidt, der Präsident des Wissenschaftsfonds (FWF), hält diesen Fall für einzigartig - und das dahinter liegende Peer Review System zur Beurteilung von Forschungsergebnissen trotz möglicher Fehler für unverzichtbar.  
Die "Causa Schön" sei insofern einzigartig, als dass es bisher keinen Fall gegeben habe, bei dem ein so junger Forscher in vielen Gebieten derart viel publiziert habe, meinte Schmidt gegenüber science.ORF.at. "Weniger spektakuläre Fälle wird es mit Sicherheit geben, Wissenschaftler sind Menschen wie andere auch."
Identische Diagramme, rätselhafte Messungen
Der 32-jährige Jan Hendrik Schön hatte in den zum US-Konzern Lucent Technologies gehörenden Bell Labs das elektronische Verhalten organischer Strukturen erforscht, die als Grundlage künftiger Transistoren gelten.

In Veröffentlichungen der Fachmagazine "Nature" und "Science" war Anfang des Jahres ein identisches Diagramm mit unterschiedlicher Beschriftung entdeckt worden. Zudem konnten Forscher Ergebnisse Schöns bei eigenen Messungen nicht wiederholen. Andere Daten fehlten ganz, da sie Schön angeblich aus seinem Computer gelöscht hatte.
Manipulation in 16 Verdachtsfällen
Daraufhin wurde eine Prüfungskommission unter Leitung des Forschers Malcolm Beasley von der Stanford University eingesetzt. Nach ihren Angaben soll Schön von 1998 bis 2001 in 16 von 24 überprüften Verdachtsfällen Daten manipuliert oder falsch dargestellt haben.

"Wir sind zutiefst enttäuscht, dass ein solcher Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens in den Bell Labs passiert ist - zum ersten Mal in unserer 77-jährigen Geschichte", erklärte Bell Labs-Präsident Bill O'Shea.
->   Bell-Labs, Lucent Technologies
...
Schön räumt Fehler ein
Der mittlerweile entlassene deutsche Top-Physiker hat Fehler bei seinen Veröffentlichungen eingeräumt. "Ich muss eingestehen, bei meiner wissenschaftlichen Arbeit verschiedene Fehler gemacht zu haben, die ich zutiefst bedauere", erklärte Schön in einer Stellungnahme zum Untersuchungsbericht der Bell Labs. Er betonte aber, dass alle seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf realen experimentellen Beobachtungen basierten, und dass sämtliche seiner Resultate in der Zukunft reproduziert werden können. Für dieses Ziel, so Schön, werde er hart arbeiten - so es ihm möglich sei.
...
Peer Review System
Damit es überhaupt zu einer Publikation in einem wissenschaftlichen Journal kommt, muss sich jedes eingereichte Manuskript der Prozedur einer so genannten Peer Review unterziehen, der Begutachtung durch international anerkannte Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet.

Im Falle von Jan Hendrik Schön haben die Peer Reviewer die Fälschungen offensichtlich nicht gleich bemerkt.
Zeitliche Belastung als Problem
Das Problem, so FWF-Präsident Arnold Schmidt, sei aber nicht, dass beim Peer Review System Fehler unterlaufen, denn diese seien menschlich. Die Schwierigkeiten würden sich eher durch den steigenden Publikationsdruck und die daraus folgende zeitliche Belastung der Forscher ergeben. "Heute verbringen Wissenschaftler die Hälfte der Zeit mit ihrer eigenen Forschung und bald die gesamte andere Hälfte mit Peer Reviews."

Das führe unter Umständen dazu, dass die Studien immer schneller und vielleicht auch ungenauer gelesen werden, so Schmidt gegenüber science.ORF.at. Der Grund dafür liege in der an und für sich begrüßenswerten Praxis, wonach Peer Review im gesamten Wissenschaftsbetrieb immer mehr angewandt wird: bei Veröffentlichungen, Postenbesetzungen und bei der Bewilligung von Fördermitteln.
...
Schön, ein "Opfer der Vielveröffentlichungen"?
In ein ähnliches Horn stieß der Leiter des deutschen Fraunhofer-Instituts "Systeme der Kommunikationstechnik", Ingolf Ruge, der in einer Stellungnahme die "Verwahrlosung der Sitten" im Wissenschaftsbereich kritisierte. Das früher "hochkompetente, scharfe Begutachtungssystem" funktioniere bei den Vielveröffentlichungen offenbar nicht mehr. Das in den USA früher sehr scharfe Referee-Wesen für eingereichte Arbeiten zur Publikation sei "verschlampt". Im jetzigen Fall glaube er, dass Schön gar nicht vorsätzlich gehandelt habe, sondern zum Opfer dieses Systems der Vielveröffentlichungen geworden sei, ganz nach der Methode, "traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast".
->   Systeme der Kommunikationstechnik, Fraunhofer
...
"Es gibt kein besseres System"
In Österreich sind nach Auskunft von Schmidt keine derartigen Fälle bekannt. Das Risiko dafür sei hierzulande wie überall gleich, denn "auch bei uns gibt es das Peer Review System". Und zwar "Gottseidank" fügte der FWF-Präsident hinzu, denn" bei aller Fehlerhaftigkeit gibt es kein besseres System".

Eine Reihe einst für revolutionär erachteter Forschungserfolge - gerade in der Physik, etwa die umstrittene "Kalte Fusion" - habe sich durch dieses System als falsch herausgestellt.
Persönlicher Ehrgeiz der Wissenschaftler
An ökonomische Interessen der beteiligten Institutionen im "Falle Schön" glaubt Schmidt nicht. Die Dinge, mit denen sich Schön beschäftigt hat, seien noch sehr weit entfernt von möglichen Anwendungen gelegen.

"Üblicherweise liegt es eher am persönlichen Ehrgeiz der Wissenschaftler, in den bedeutsamen Journals zu publizieren," so Schmidt.
Karriereende? Deutsche Forschungsgemeinschaft ...
Dieser Ehrgeiz könnte in nächster Zeit nicht ausreichen, zumindest in Deutschland dürfte es für den Physiker Schön schwierig werden. Einen Ausschuss zur Überprüfung der Vorwürfe will die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) initiieren. Es gebe einen "hinreichenden Verdacht", sagte die DFG-Sprecherin Eva-Maria Streier am Freitag in Bonn.

Sollte der DFG-Ausschuss zu dem Ergebnis kommen, dass sich Schön eines "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" schuldig gemacht habe, drohen ihm Sanktionen. Schön war 1998 mit einem Post- Doktoranden-Stipendium der DFG in die USA gegangen. Zuvor hatte er an der Universität Konstanz geforscht.
... und Max-Planck-Gesellschaft kritisch
Ein Forscher der Max-Planck-Gesellschaft, die Schön vor dem Skandal in die eigenen Reihen abwerben wollte, räumt ihm nun keine Chance mehr ein. "Das ist für den Mann tödlich, der kann sich nicht mal mehr vor eine Schulklasse stellen", sagte Klaus Irslinger, Leiter der Geschäftsstelle des Max-Planck-Instituts für Festkörperphysik am Freitag in Stuttgart.

Ursprünglich sollte der in Expertenkreisen als Nobelpreis-Anwärter geltende Physiker einer der acht Direktoren des Stuttgarter Instituts werden. "Wir hatten ihn anvisiert - jetzt haben wir kein Interesse mehr", erklärte Irslinger.
->   Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
->   Deutsche Forschungsgemeinschaft
->   Max-Planck-Institut für Festkörperphysik
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Kann wissenschaftliche Qualität gemessen werden?
->   Zur Politik des wissenschaftlichen Publizierens
->   Fälschungen in der Wissenschaft
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010