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Eduard Benes - die Person hinter den Dekreten  
  Wer war Eduard Benes? Die augenblickliche Debatte um die Benes-Dekrete verstellt oft den Blick auf die historischen Hintergründe zu den Benes-Dekreten. Auch der Blick auf die Person Benes selbst unterliegt zahlreichen Verzerrungen. Der deutschsprachige Prager Wissenschaftler Peter Demetz skizziert die Problematik des Mannes hinter den Dekreten.  
"Benes war ein Rationalist und Analytiker", schreibt Demetz in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Transit - Europäische Revue" (Heft 23) und versucht das Bild zu korrigieren, Benes sei ein leidenschaftlicher Chauvinist gewesen. Benes sei vielmehr vom Gedanken bessesen gewesen, die Kontinuität der Republik zu erhalten.
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Peter Demetz - von Prag nach Yale
Peter Demetz, 1922 in Prag geboren, Emeritus der Yale University und Autor viel beachteter Studien zur deutschen Literatur, hat 1997 in New York ein umfangreiches Werk zur Kulturgeschichte Prags publiziert. Auf Deutsch trägt das im Piper-Verlag erschienene Buch den Titel "Prag in Schwarz und Gold. Sieben Monate im Leben einer europäischen Stadt". Vor kurzem hat der Zsolnay-Verlag das letzte Buch von Demetz, Die Flugschau von Brescia. Kafka, d'Annunzio und die Männer, die vom Himmel fielen, veröffentlicht.

Demetz hat zahlreiche Aufsätze und Vorträge zum Sprachen- und Nationalitätenstreit im Prag des 19. Jahrhunderts verfasst. Die Frage, ob Menschen unterschiedlicher Nationalität und Sprache in einem Land leben können, beschäftigt Demetz bis heute.
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"Kein geifernder Deutschenhasser"
Benes war "weder ein romantischer Panslawist noch ein geifernder Deutschenhasse", so Demetz:

"In den Jahren 1939-1940, sprach er noch wie selbstverständlich über ein zwiefaches Deutschland (das Hitlers und jenes Thomas Manns, dem ja die CSR die Staatsbürgerschaft verliehen hatte), rühmte den Beitrag der 'freien Sudetendeutschen' zum Kampfe gegen den Nationalsozialismus (Chicago, 8. Juni 1939), und selbst als er die Sitzungen des exilierten Staatsrates in London eröffnete, erklärte er, dass man 'die inhumane Institution der Massenaussiedlungen nicht von Hitler übernehmen' wolle."
Änderung in der Haltung von Benes
Der zunehmende Nazi-Terror im Protektorat und die Nachrichten des Widerstandes, die von einer starken antideutschen Stimmung sprachen, hätten Benes dazu gedrängt, an die Möglichkeiten eines "inneren Transfers" deutscher und tschechischer Bevölkerungsgruppen zu denken, "an drei deutsche 'Gaue', oder gar an Grenzkorrekturen, welche die Zahl der Deutschen verringern könnten (nicht eben dem Fortbestand der alten CSR entsprechend): Glatz zu Böhmen, aber Asch, Eger, Rumburg, Friedland und Warnsdorf an ein zukünftiges Deutschland."

Diesen Plan habe Benes noch im Februar 1944 im Gespräch mit dem englischen Gesandten Nichols hervorgeholt. "Nach dem 22. Juni 1941, dem Tag des Angriffs Deutschlands gegen die Sowjetunion, begann Benes dann den nationalistischen Legenden, die ihn umgaben (auf deutscher wie auf tschechischer Seite), genauer zu entsprechen, allerdings nur schrittweise und im unglückseligen Wettkampf mit dem plötzlich rabiaten Nationalismus der Sowjetunion und der KP, die er manipulieren wollte, ohne zu begreifen, wie sie ihn manipulierte", so Demetz.
Kritik an Debatte in Tschechien
In der tschechischen Republik habe die wünschenswerte Diskussion der Dekrete (deren Legitimität selbst Benes im "Metajuristischen" begründet sehen wollte) das Denken der professionellen Politiker eher paralysiert als gefördert, zieht Demetz kritisch Zwischenbilanz über die Debatte in Tschechien. In einer Zeit, wo man von der Fiktionalität der Nation spreche, spielten die Politiker die alten mythischen Karten aus.
->   Der gesamte Texte von Peter Demetz in "Transit"
->   Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM)
->   Mehr über die Benes-Dekrete in science.ORF.at
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Im Juni 2002 veranstaltete das Demokratiezentrum Wien eine vielbeachtete internationale Tagung zum Thema "Sudentenfrage/Benes-Dekrete". Eine aktualisierte Dokumentation der Tagung, weiterführende Artikel, ein Lexikon und und Links sind auf der Website des Demokratiezentrums abrufbar:
->   Demokratiezentrum: Dokumentation "Benes-Dekrete"
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01.01.2010