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Schrödingers Katze im "Spiegel" der Quantentheorie  
  Im Jahr 1935 ersann der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ein Gedankenexperiment, das zu absurden Schlussfolgerungen führte: Laut den Gesetzen der Quantentheorie sollte eine Katze, die einer bestimmten Versuchsanordnung ausgesetzt wird, gleichzeitig tot und lebendig sein. Englische und amerikanische Physiker haben nun eine technische Realisierung dieses Gedankenexperiments vorgeschlagen. Tierschützer können allerdings aufatmen: Die quantentheoretischen Effekte werden nur an einem Spiegel überprüft.  
Ein Team von Physikern um William Marshall und Roger Penrose von der Universität Oxford hat in einer aktuellen Publikation gezeigt, dass es technisch möglich ist, Quanteneffekte an makroskopischen Gegenständen nachzuweisen.

Damit ist man nicht mehr weit von der Realisierung eines Gedankenexperiments entfernt, das unter dem Namen "Schrödingers Katze" bekannt ist.
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"Towards quantum superpositions of a mirror"
Die Publikation "Towards quantum superpositions of a mirror" von William Marshall, Christoph Simon, Roger Penrose und Dik Bouwmeester erscheint in der Zeitschrift "Physical Review Letters".
->   Physical Review Letters
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Die wundersame Welt der Quanten
In der Welt der Quanten kennt man wundersame Effekte: Nach dem quantenmechanischen Überlagerungsprinzip (auch "Superpositionsprinzip" genannt) kann sich ein Teilchen sowohl an einem Ort A als auch an einem Ort B aufhalten.

Auf unsere Alltagswelt übertragen ist dieser Zustand absurd: Eine Person kann sich in einem Raum aufhalten oder nicht - aber sicher nicht beides zugleich. Wie kommt es, dass die Quantenmechanik einerseits für alle Objekte dieser Welt gelten soll, aber andererseits solche Effekte an Alltagsobjekten (z.B. Autos, Menschen oder Katzen) niemals beobachtet werden?
Paradoxe Welt
Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger veröffentlichte im Jahr 1935 eine Arbeit mit dem Titel "Die gegenwärtige Situation der Quantenmechanik", die einen kritischen Überblick über den damaligen Stand des Wissens gab.

Hierin ersann er ein Gedankenexperiment, das zeigte, zu welchen paradoxen Folgerungen die Quantenmechanik führt, wenn man sie auf die Objekte unserer Lebenswelt anwendet.
Schrödingers Katze
Schrödingers Idee: Man sperre eine Katze in eine Kiste zusammen mit einer radioaktiven Substanz, deren Zerfall mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftritt.

Gemäß der damaligen Interpretation der Quantenmechanik (der so genannten "Kopenhagener Deutung") kann die Frage nach dem Zerfall erst dann beantwortet werden, wenn man eine Messung vornimmt.

Das Besondere an der "Kopenhagener Deutung": Erst die Messung bestimmt, ob der Zustand "Zerfallen" oder "Nicht zerfallen" gilt. Davor nimmt das System beide Zustände ein.
Die Katze: Tot oder lebendig - oder beides?
Dass also erst die Messung den endgültigen Zustand eines Mikrosystems herstellen soll, bereitete den Physikern dieser Zeit durchaus Kopfzerbrechen. Noch absurder wird die Sachlage allerdings, wenn man dem Gedankenexperiment von Schrödinger weiter folgt:

Er schlug (rein theoretisch) vor, dass der Zerfall der radioaktiven Substanz Blausäure freisetzen könnte - was wiederum den Tod der Katze nach sich zöge.

Gemäß der "Kopenhagener Deutung" der Quantentheorie ergäbe sich dann folgende Aussage: Bevor niemand in die Kiste sieht, um den Gesundheitszustand der Katze zu überprüfen, befindet sich diese in einem "Mischzustand" aus tot und lebendig.
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Erwin Schrödinger im Wortlaut
In der Arbeit "Die gegenwärtige Situation der Quantenmechanik" (Naturwissenschaften 23, S. 807ff., 1935) schrieb Schrödinger: "Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine: In einem geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines der Atome zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert.

Hat man das System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Zerfall würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind."
->   Naturwissenschaften
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Die Lösung: "Kohärenz"
Katzenkenner bestreiten allerdings vehement, dass sich ihre pelzigen Hausgenossen jemals in diesem "Mischzustand" befunden hätten. Die Lösung dieses Rätsels verbirgt sich hinter dem physikalischen Konzept der "Kohärenz".

Laut diesem Konzept tritt jedes Objekt mit seiner Umwelt in Wechselwirkung - und "verliert" deswegen seine Fähigkeit, Überlagerungszustände zu bilden. Genau deswegen verhalten sich Katzen und Äpfel wie die "klassischen" physikalischen Gegenstände des Isaac Newton - auch wenn für sie, streng genommen, die quantentheoretische Beschreibung gilt.

Im Prinzip wäre es allerdings möglich, auch makroskopische Objekte so weit von der Umwelt zu isolieren, dass an diesen die wundersamen Effekten der Quantenwelt zu beobachten wären.
Die Realisierung eines Gedankenexperiments
Wie ein solches Vorhaben zu realisieren wäre, haben nun William Marshall, Roger Penrose und ihre Mitarbeiter in ihrer Publikation gezeigt.

Die Grundidee: In einem so genannten Interferometer (ein Gerät zur Messung von Lichtwellen-Überlagerungen) wird ein einzelnes Photon ausgesendet und an einer teildurchlässigen verspiegelten Platte in zwei "Lichtstrahlen" geteilt, die zu zwei Detektoren führen.
Der Versuchsaufbau
 
Bild: Science Express

Der Trick mit dem Spiegel
Der Clou an der Sache: Einer der "Lichtstrahlen" führt zu einem Spiegel. Dort übt das Photon einen so genannten Strahlungsdruck auf den Spiegel aus, der dadurch in Bewegung versetzt wird. Da sich aber das Photon nach den Prinzipien der Quantentheorie an beiden Orten gleichzeitig aufhält, muss der Spiegel sowohl in Bewegung sein - als auch ruhen.
Neuer Weltrekord?
Sollte dieses Experiment realisiert werden, was - wie die Autoren betonen - im Bereich des technisch Möglichen ist, dann wäre dies ein neuer Weltrekord. Die bisherigen Bestleistung hält ein Team um den österreichischen Physiker Anton Zeilinger, das ähnliche Effekte an so genannten Fulleren-Molekülen realisieren konnte.

Das von Penrose und Mitarbeitern vorgeschlagene Experiment wäre hingegen ein echter Schritt in Richtung Makrokosmos: Der Spiegel bestünde immerhin aus 10 hoch 14 Atomen - nicht sehr weit von Katzendimensionen entfernt.
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01.01.2010