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Streit um Schädelfund: Hominide oder Schimpanse?  
  Noch im Juli glaubte man, dass ein Schädelfund aus Zentralafrika den Stammbaum des Menschen revolutionieren würde. Jetzt ist um die Zuordnung der Fossilteile ein heftiger Streit entbrannt.  
Weltweit sind Anthropologen bemüht, die Abstammungslinie des Menschen lückenlos darzustellen, wobei die Grenzen zwischen Hominiden und Affen fließend sind. Fehlinterpretationen sind daher nicht ausgeschlossen - ein neuer Streit ist nun um die jüngste "Sensation" entbrannt.
Streitpunkt "Toumai"
Der auf sieben Millionen Jahre datierte Schädel mit dem Spitznamen "Toumai" galt als eine Sensation, da er einer neuen Hominidenart namens Sahelanthropus tchadensis zugerechnet wurde, die somit den frühesten Ahnen des heutigen Menschen repräsentieren würde. Sahelanthropus ist doppelt so alt wie der wohl bekannteste Hominidenfund "Lucy".
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3,2 Millionen Jahre: Australopithecus afarensis
Am 30. November 1974 gelingt Donald Johanson in Äthiopien die Ausgrabung von "Lucy", ein Teilskelett, das als letzter, gemeinsamer Vorfahre mehrerer Abstammungslinien von Hominiden gilt. "Lucy" wurde als Bezugspunkt für andere Ausgrabungsfunde und als vermeintliche "Mutter der Menschheit" berühmt.

6 Millionen Jahre: Millenium Mensch
Französische und kenianische Wissenschaftler finden am 25. Oktober 2000 in der Boringo-Region/Kenia die Reste des nach ihren Angaben ältesten Vorläufers des Menschen, den sie "Millennium-Mensch" nennen. Er zeigt deutliche Hinweise für den aufrechten Gang.
->   Mehr zum Stammbaum des Menschen in science.ORF.at
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Hominide oder Affe?
Doch ob der Fund wirklich in den Stammbaum der Hominiden einzurechnen ist oder nicht doch einen Gorilla oder Schimpansen darstellt, darüber scheiden sich momentan die Wissenschaftsgeister.

Forschern aus Frankreich und Amerika zufolge, darunter auch Milford Wolpoff der University of Michigan, weisen die Schädelmerkmale eindeutig auf ein Affenfossil hin, wie der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature" zu entnehmen ist.
"Toumai": Gut erhaltener Schädel
Bild: dpa/Nature/Mission paleoanthropologique Franco-Tschadienne
Im Juli 2001 machten der französische Forscher Michel Brunet und sein Team von der Universite de Poitiers eine Forschungsreise, die "Mission paleoanthropologique Franco-Tschadienne", in die Djurab-Wüste im Norden des Tschads.

Ihre Ergebnisse - ein gut erhaltener Schädel (siehe Bild), zwei Bruchstücke eines Unterkiefers und drei Zähne - präsentierten sie in der Fachzeitschrift "Nature" im Juli dieses Jahres.

Der flache Gesichtsschädel, die markanten Augenwülste und die kleinen Eckzähne waren für Brunet Beweis genug, seinen Fund den Hominiden zuzuordnen. Brunet stützte sich nämlich nicht nur - was er seinen Gegnern vorwirft - auf primitive, sondern auch auf neu entwickelte Merkmale.
->   science.ORF.at: Ältester "Menschenvorfahre" gefunden
Kritik: Eckzähne wie Schimpansen
Die Wissenschaftler rund um Wolpoff dagegen führen andere Charakteristika ins Treffen. Sie hätten entgegen der Ergebnisse von Brunet Schleifspuren auf den Eckzähnen gefunden, die denen von Schimpansen gleichen.
Kein aufrechter Gang
Weiters fanden die Forscher Spuren am hinteren Teil des Schädels, die als Ansatzstellen für Nackenmuskulatur gedeutet wurden und laut den Kritikern auf ein vierbeiniges Tier hinweisen. Brunet habe die Schädeldeformation nicht beachtet und hätte daher fälschlich auf einen aufrecht getragenen Schädel geschlossen.

Zudem sei ein aufrechter Gang nicht nachweisbar, so die Kritiker weiter, da der "Toumai" getaufte Fund sich offenbar wie die Menschenaffen auf die Vorderbeine stützte - die Lage des so genannten Hinterhauptslochs sei ähnlich der von Schimpansen und von weiblichen Gorillas.
Rekonstruktionen sollen Aufschluss geben
Die Forscher hoffen, dass nun Rekonstruktionen des Schädels Klarheit im Streit um die Zuordnung bringen werden. Auseinandersetzungen wie diese haben ihren Ursprung einerseits im großen Konkurrenzkampf bei der Suche unserer Abstammung und andererseits in den verschwimmenden Grenzen zwischen Hominiden und Affen, die wohl noch lange nicht restlos geklärt sein werden.
->   Die frei zugängliche "Nature"-Website zu "Toumai"
Mehr über Anthropologie in science.ORF.at:
->   Homo erectus: Gehirn kleiner als angenommen
->   Schon Neandertaler griffen bei Konflikten zur Waffe
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01.01.2010