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IWM: West-östlicher Wissenschaftlertreff auf Weltniveau  
  Das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) ist eine Erfolgsgeschichte im Wissenschaftsbetrieb: Drei junge Wissenschaftler beschließen, in eine fremde Stadt zu gehen und dort ein Institut zu gründen. Sie werden zuerst belächelt, doch bald gelingt es ihnen, hochkarätige Unterstützer zu gewinnen. Der Plan geht auf, das Institut spielt eine maßgebliche Rolle als Forum für den Ideenaustausch zwischen West und Ost und wird bald weltweit anerkannt. Mehr als zehn Mitarbeiter werden Minister oder Regierungschefs, einer wird sogar Literaturnobelpreisträger.  
Zwanzigster Geburtstag
In den USA wird ein Ableger des Instituts gegründet, eine renommierte Zeitschrift wird herausgegeben, der Papst beauftragt den Institutsleiter mit der Organisation von wissenschaftlichen Veranstaltungen, und zum zwanzigsten Geburtstag im heurigen Jahr gratulieren Kapazitäten aus aller Welt.
Der Gründungsgedanke
Im Westen Europas eine Forschungsstätte zu gründen, wo Ideen und Menschen aus dem Osten Europas willkommen sind - das war der Gründungsgedanke des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, kurz IWM. Es war das Jahr 1982, noch mitten im Kalten Krieg, der Zeit der Spaltung Europas in zwei politisch-gesellschaftliche Blöcke.

Der Pole Krzysztof Michalski, heute der Direktor des IWM, entwickelte gemeinsam mit Klaus Nellen und Cornelia Klinger, die beide aus Köln gekommen waren, die Vorstellung eines Zentrums, das dazu beitragen sollte, die Debatten der west- und der osteuropäischen Wissenschaftler und Intellektuellen einander anzunähern.
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Prominente Unterstützer der Gründerzeit
Das Vorhaben der drei Wissenschaftler, die alle um die 30 waren, ist damals von vielen als nett und extrem ambitioniert, aber doch als eher unrealistisch belächelt worden. Doch das ziemlich ambitionierte Projekt wurde von der Stadt Wien und vom damaligen Vizebürgermeister Erhard Busek unterstützt.

Noch andere Namen mit internationaler Reputation stehen für die Gründerzeit des IWM: Der Philosoph Hans-Georg Gadamer, der Soziologe Ralf Dahrendorf, Karl von Schwarzenberg, der Verleger George Weidenfeld und die Brüder Carl Friedrich und Richard von Weizsäcker - der eine Physiker und Philosoph, der andere der spätere deutsche Bundespräsident.Unterstützung kam auch von diversen Wissenschaftsstiftungen: der Robert-Bosch-, der Ford-, der Körber- und der Volkswagen-Stiftung, und auch von der Stiftung des ungarisch-amerikanischen Finanzmillionärs George Soros, der Open-Society-Foundation.
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Gelehrtengemeinschaft
Heute wird die Grundfinanzierung des Instituts durch österreichische Stellen gesichert, die Forschungsprojekte werden meist von den ausländischen Stiftungen gefördert. Organisiert ist das IWM nach dem Modell der Gelehrtengemeinschaft: Ein kleines fixes Team lädt andere Wissenschaftler für eine gewisse Zeit ein, gemeinsam zu arbeiten.
Internationale Vorbilder
Als Vorbild fungierte dabei das Institute for Advanced Studies an der Universität von Princeton in New Jersey. Auch das Wissenschaftskolleg in Berlin ist ähnlich strukturiert. Am IWM gibt es neben Krysztof Michalski nur noch drei so genannte "permanent fellows", also ständige wissenschaftliche Mitglieder: Cornelia Klinger, Klaus Nellen und Janos Matyas Kovacs.

Daneben werden Wissenschaftler aus aller Welt für ein Monat oder ein Semester nach Wien eingeladen. An die 500 sind das in den zwanzig Jahren des Bestehens des Instituts bisher gewesen.
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"Dienstagsvorträge"
Bei den so genannten "Dienstagsvorträgen" in der Bibliothek des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in der Spittelauer Lände im 9. Wiener Bezirk berichten die Gäste und Fellows des Instituts aus ihren Forschungsergebnissen - bekannte Persönlichkeiten wie Timothy Garton Ash, Claus Leggewie, Seyla Benhabib, Shlomo Avineri, Alain Touraine, Claus Offe, Barbara Duden oder Charles Taylor sind da genauso zu Gast wie jüngere Wissenschaftler, von denen man möglicherweise in den nächsten Jahren einiges hören wird.
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Konferenz "Polen in Europa"
Immer wieder werden große Konferenzen zu den Themen der Zeit veranstaltet: "Was blieb von 1989", zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, oder: "Das Gedächtnis des Jahrhunderts" über die verschiedenen Formen der Vergangenheitsbewältigung bei uns, in Osteuropa, aber auch in Südafrika. Zur neuen Rolle von Gewerkschaften oder, am vergangenen Wochenende: "Polen in Europa".
"Produktive Auseinandersetzung"
Einer der Referenten bei dieser Tagung war Marcin Król, der frühere Dekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Warschau. Er kenne keinen anderen Ort der Forschung und der höheren Studien, wo sich Ostmitteleuropäer mit amerikanischen und europäischen Wissenschaftern von derart hohem Niveau treffen können:

"Wenn ich nach Yale oder Princeton komme, dann bin ich einer von vielen Gästen, aber hier sind wir nur zehn, da ist wirkliche Auseinandersetzung möglich, da ist das Treffen von Ost und West sehr produktiv.¿
Keine Mitteleuropa-Nostalgie
Das IWM ist, darauf wird Wert gelegt, kein Institut zur Pflege der Mitteleuropa-Nostalgie, sondern ein Ort, wo Wissenschafter aus Ost und West zusammen arbeiten. Die gegenseitige Annäherung soll durch die gemeinsame wissenschaftliche Forschung zu den Fragen der Zeit entstehen.

Diese Zielsetzung spiegelt sich auch im Namen wider, der die Trennung zwischen Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften überwinden möchte: "Institute for Human Sciences" - auf Deutsch klingt das etwas sperriger: Institut für die Wissenschaften vom Menschen.
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Funktionen des IWM und intellektuelle Effekte
Marcin Król aus Warschau über die Rolle des IWM nach 1989: "Bis 1992/93 war es der Haupttreffpunkt intellektueller Art in Mitteleuropa - inklusive Österreich, ich habe hier auch viele österreichischen Kollegen getroffen. Das war damals extrem wichtig, wir haben hier zum ersten Mal von Leuten wie Jan Patoèka oder Slavoj ¿i¿ek und von ihren wichtigen Schriften gehört. Die zweite Funktion des Instituts lag darin, den intellektuellen Hintergrund für die Lösung praktischer politischer Probleme zu liefern. Wenn ich an das polnische Beispiel denke, dann hat die Sozialreform, die vom früheren Premierminister eingeführt worden ist, auf Untersuchungen beruht, die von Leuten hier gemacht worden sind. Drittens liegt die Bedeutung des Instituts auch in einer gewissen Kontrollfunktion, was den wissenschaftlichen Level betrifft. An manchen Orten in Rumänien und der Slowakei ist das Niveau der Wissenschafter sehr niedrig - aus naheliegenden Gründen: sie hatten wenig Kontakte in den Westen. Und indem das Institut Leute von dort einlädt, zeigt es denen die Standards.¿
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Hanna-Ahrendt-Preis
Und um solche Standards zu unterstreichen, wird der Hanna Arendt-Preis an herausragende Forschungsinstitutionen in Mittel- und Osteuropa vergeben. Es gibt Stipendienprogramme für osteuropäische Wissenschaftler, und im Rahmen des Paul-Celan-Programms werden Übersetzungen von wissenschaftlichen Büchern gefördert:

Unter anderem wurden Werke von Niklas Luhmann, Eric Hobsbawm, Norbert Elias, Jürgen Habermas und Michel Foucault in osteuropäische Sprachen übersetzt. Denn für das intellektuelle Leben eines Landes ist es nicht unwichtig, welche Bücher in der eigenen Sprache gelesen werden können.
Gastwissenschaftler
Viele der Gastwissenschaftler am IWM in den 80er Jahren wurden zu den führenden politischen Exponenten der postkommunistischen Ära: der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, Finanzminister Leszek Balczerowicz, der tschechischen Premierminister Petr Pithart und Vaclav Klaus, der derzeitige serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic - sie alle haben am IWM gearbeitet.
Wiederaufbau und Reform
Und auch der frischgebackene Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz aus Ungarn. In der Folge war die Unterstützung beim Wiederaufbau der civil society, der Bürgergesellschaft in den Ländern Osteuropas, für das IWM nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Es war in diesen Ländern beim Aufbau der wissenschaftlichen Institutionen sowie bei der Reform der Hochschulen beteiligt.
Ein intellektuelles Zentrum
Das Institut ist heute zu einem der intellektuellen Zentren Wiens geworden und residiert auf vier Etagen in einem repräsentativen Haus am Donaukanal. Jährlich werden rund 20 Seminare und bis zu zehn internationale Workshops und Konferenzen veranstaltet.

Die Zeitschrift "Transit - Europäische Revue" wird vom Institut herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr. Als Brückenkopf des IWM auf der anderen Seite des Atlantik wurde im Vorjahr das "Institute for Human sciences" in Boston eröffnet.

Ein Beitrag von Peter Lachnit für die "Dimensionen" am 15. 10. um 19.05 Uhr im Programm Österreich 1
->   Radio Österreich 1
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IWM - Veranstaltungshinweise
Die nächsten Veranstaltungen des IWM: Am 28. Oktober referiert der polnische Notenbankpräsident Leszek Balcerowicz über "Einige Wahrheiten und Missverständnisse zur Globalisierung", am 29. Oktober im Palais Schwarzenberg der frühere italienische Ministerpräsident Giuliano Amato über: "United Europe - What should it be?"
->   IWM-Homepage und Programminformationen
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Die Zeitschrift "Transit" erscheint im Verlag "Neue Kritik", die aktuelle Nummer behandelt die Themen Avantgarde sowie Gewalt und Vertreibung.
->   Transit
 
 
 
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01.01.2010