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Der Spion, der aus der Erbse kam  
  Der Kampf zwischen Pflanzen und ihren Schädlingen gleicht in mancher Hinsicht der Welt der Spione und Agenten: Angriff, Abwehrmaßnahmen und deren Unterwanderung wechseln einander im ewigen Spiel der Selektion ab. Der Baumwollkapselbohrer etwa hat eine besonders perfide Strategie entwickelt, um die Verteidigung seiner Wirte zu neutralisieren. Produziert eine Pflanze giftige Abwehrsubstanzen, um sich zu schützen, so hat der Parasit sofort das Gegenmittel parat - und frisst munter weiter. Wie? Das Insekt hat einen weitverbreiteten Alarmcode in Pflanzen "geknackt" und verwendet die molekularen "Alarmglocken" für seinen eigenen Schutz.  
Weitverbreiteter Parasit
Der Baumwollkapselbohrer ist ein weitverbreiteter Parasit an Nutzpflanzen, der enorme Schäden verursacht. Amerikanische Forscher haben nun herausgefunden, warum:

Der Schädling umgeht die chemischen Abwehrringe der Pflanzen, indem er deren Alarmsignale gleich für sich selbst benützt. Auf diese Weise ist er den Pflanzen immer einen Schritt voraus.
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Die Arbeit "Jasmonate and Salicylate induce expression of herbivore cytochrome P450 genes" von Xianchun Li, Mary A. Schuler und Mary R. Berenbaum erschien in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature" (Band 419, auf den Seiten 712-715.)
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Namen wie der Speiseplan
Die verschiedenen Namen des Baumwollkapselbohrers geben Aufschluss über dessen abwechslungsreichen Speiseplan. Neben dem Wirt, den der deutsche Name andeutet, weisen die englischen Bezeichnungen "Corn Earworm" und "Tomato Fruitworm" auf Mais und Tomaten als bevorzugte Mahlzeiten hin.

Im Lateinischen heißt das Insekt Helicoverpa zea: Auch hier steckt der Name der Maispflanze ("Zea mais") in der Artbezeichnung, wenn auch nicht ganz so offensichtlich. Mehr als 100 Pflanzenarten schmücken den vielfältigen Speiseplan des kleinen Schädlings.

Darunter befinden sich nebst anderen Bohnen, Auberginen, Erbsen, Sojabohnen und Erdbeeren - sehr zur Unfreude von Bauern und Agrarbetrieben.
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Bild: l'Institut national de la recherche agronomique

Helicoverpa zea im Falter-Stadium
Helicoverpa zea
Helicoverpa zea gehört zu den Schmetterlingen, einer der größten Ordnungen der Insekten. Innerhalb der Schmetterlinge ist H. zea wiederum der Familie der Eulenfalter zuzurechnen, die weltweit ca. 50.000 Arten aufweisen. Der Lebenszyklus von H. zea durchläuft, wie bei allen Schmetterlingen, vier Stadien: Ei, Raupe, Puppe und Falter. Die äußerst abwechslungsreiche Ernährungsweise im Larvenstasium wird im biologischen Fachjargon als "polyphag" bezeichnet (von griechisch "polyphagos", d.h. "vielessend".)
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Die Ausgangssituation
Als besonders gefräßiger Schädling erweist sich die Raupe des Schmetterlings. Diese wurde nun von Xianchum Li und seinen Mitarbeitern von der Abteilung für Entomologie an der Universität Illinois genauer untersucht.

Die Ausgangssituation: Normalerweise agieren Pflanzen nicht als passive, leidende Wesen gegenüber Parasiten, sondern können auf ein ganzes Arsenal an chemischen Kampfstoffen zurückgreifen.
Die Fragestellung
Daher stellte sich die Frage, wie es die Raupe des Baumwollkapselbohrers schafft, diesen Angriffen zu entgehen. Dieses Problem stellt sich umso eindringlicher, als die Raupe an sehr vielen verschiedenen Pflanzenarten parasitiert - und es daher mit einer Reihe unterschiedlicher Abwehrstrategien zu tun hat.
Die Natur der Abwehrstrategien
Ein Schlüssel zur Antwort auf dieses Problem liegt in der Natur der pflanzlichen Verteidigungsmechanismen. Nachdem es unökonomisch ist, ganze Arsenale an "scharfen" Waffen zu lagern, wird die Herstellung vieler chemischer Abwehrsubstanzen erst durch Signalkaskaden induziert.

Eine Schlüsselrolle in diesen Signalketten bilden die Jasmonin- und Salicylsäure. Letztere ist als Wirkstoff in Fieber- und Schmerz-Tabletten bekannt.
Molekulare Alarmglocken ...
Beide Substanzen sind gewissermaßen molekulare "Alarmglocken", die aktiviert werden, wenn sich ein Fraßfeind oder Parasit am Pflanzengewebe gütlich tut. Dadurch wird die Synthese der unterschiedlichsten toxischen Chemikalien und Abwehrproteine eingeleitet.

Und: Beide Substanzen üben diese Funktion in vielen verschiedenen Pflanzenarten aus, sie sind verbreitete Bauteile in diversen Alarmsystemen.
... wirken auch im Parasiten
Das Team um Xianchum Li untersuchte nun, welche Wirkung die beiden Säuren auf den Stoffwechsel des Schädlings ausüben. Zu diesem Zweck fütterten sie Raupen mit Nahrung, die beiden Säuren enthielt.

Das Resultat: Beide Stoffe wirken nicht nur in vielen pflanzlichen Verteidigungssystemen, sondern lösen auch im Körper der Schädlinge eine ganz spezifische Reaktion aus. Konkret bewirken die Jasmonin- und Salicylsäure, dass im Erbgut der Raupen so genannte Cytochrom P450-Gene aktiviert werden.
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Cytochrome
Cytochrome sind so genannte Hämproteine, die bei der Zellatmung, Energiekonservierung und Photosynthese und einigen anderen zellulären Vorgängen eine wichtige Rolle spielen. In chemischer Hinsicht sind sie am Transport von Elektronen beteiligt.
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Entgiftungs-Substanz freigesetzt
Das Produkt der betreffenden Gene, das Cytochrom P450, ist insofern ein besonderer Stoff, als es Stoffen in der menschlichen Leber ähnelt, die der Entgiftung dienen. Und genau das tun diese Proteine auch im Körper der Raupe - sie neutralisieren die chemischen Abwehrstoffe der Pflanzen.
Pflanzlicher Alarmcode entziffert
Dies ist insofern bemerkenswert, als diese Unterwanderung der pflanzlichen Verteidigungsstrategie einen enormen Zeitvorsprung bietet. In nachrichtendienstlicher Sprache: Nachdem die Raupe den molekularen Alarmcode der Pflanze "geknackt" hat, trägt sie ihre chemische Schutzweste bereits, wenn die Pflanze gerade ihre Waffen entsichert.
Neue Schädlingsbekämpfung?
Diese Ergebnis ist auch deshalb bemerkenswert, als von anderen Forschern vorgeschlagen wurde, z.B. Jasmoninsäure auf Nutzpflanzen zu sprühen, um deren chemische Abwehrsysteme zu aktivieren. Wie Xianchum Li und seine Mitarbeiter nun zeigen konnten, dürfte eine solche Strategie wohl kaum zur Verminderung der Schädlinge beitragen.
 
 
 
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01.01.2010