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Gentests und psychosoziale Betreuung  
  Gendiagnostik kann zur Früherkennung genetisch bedingter Erkrankungen wie Brust- und Eierstockkrebs dienen. Neben der Angst vor Krankheit und Tod sind nach einer solchen Diagnose auch Probleme des Selbstbildes und Entscheidungen über die künftige Behandlung zu bewältigen. Eine gute psychosoziale Betreuung ist auch für Angehörige entscheidend. Die Zuverlässigkeit des Gentests ist deshalb von größter Wichtigkeit für alle Betroffenen, betonen Teresa Wagner und Verena Korn in einem Gastbeitrag für science.ORF.at anlässlich des "Diskurstages Gendiagnostik".  
Prädiktive Gendiagnostik: Psychosoziale Bedürfnisse und Betreuung von Familien mit erblichem Brust- und Eierstockkrebs
Von Teresa Wagner und Verena Korn

Seit 1994 haben Frauen und Männer aus Risikofamilien die Möglichkeit, sich in der Beratungsstelle für familiären Brust- und Eierstockkrebs an der Abteilung für Spezielle Gynäkologie (AKH Wien) genetisch beraten und untersuchen zu lassen.

Mutationen in den sogenannten Brustkrebsgenen BRCA1 und BRCA2 haben bei Frauen ein dramatisch erhöhtes Risiko für Mamma- und Ovarialkarzinome zur Folge: Bis zum 70. Lebensjahr erkranken von 10 österreichischen Trägerinnen einer BRCA1-Mutation etwa 8 Frauen an Brustkrebs und rund 5 Frauen an Eierstockkrebs. Gleichzeitig ist das Erkrankungsalter stark herabgesetzt.
Risiken im höheren Lebensalter
Männer mit einer BRCA-Mutation tragen ein leicht erhöhtes Risiko für Prostatakrebs im höheren Lebensalter. Bei BRCA2-Mutationen besteht weiters ein 7%iges Risiko für männlichen Brustkrebs. Die Vererbung einer Mutation an die nächste Generation kann allerdings nicht nur über die Mutter, sondern ebenso über den Vater erfolgen (autosomal dominanter Erbgang; Wahrscheinlichkeit für Weitergabe 50%).
Psychosoziale Belastung
Das Ausmaß der psychosozialen Belastung durch das Wissen um die genetische Veranlagung kann von Person zu Person stark variieren. In der Beratung und Betreuung von betroffenen Familien sollten auf jeden Fall verschiedene potentielle Belastungen und Probleme berücksichtigt werden.
Angst und Schuldgefühle
Zentrale Belastungen für viele Trägerinnen einer genetischen Veränderung sind die Angst, (wieder) zu erkranken, und die Angst zu sterben. Weitere wesentliche Ebenen stellen das Selbstbild ("krank" oder "gesund"?) bzw. der Selbstwert ("minderwertige" genetische Ausstattung) sowie die Themen Sexualität und Fortpflanzung dar.

Wie in anderen Anwendungsbereichen der Gendiagnostik betreffen die Auswirkungen des Tests jedoch in den seltensten Fällen die untersuchte Person allein. Der Partner oder die Partnerin, die eigenen Kinder sowie in hohem Maß die Herkunftsfamilie werden mittelbar oder unmittelbar davon berührt.
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Familiäre Konstellationen
Einen besonders bedeutsamen Aspekt stellen Schuldgefühle dar. Beispielhaft seien zwei häufige familiäre Konstellationen genannt: eine Mutter oder ein Vater, der/die eine genetische Disposition für Brustkrebs an ein Kind "weitervererbt" hat; oder ein Paar von Schwestern, von denen eine die Mutation geerbt hat und die andere nicht.
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Eine drastische Entscheidung
Trägerinnen einer BRCA-Mutation sind damit konfrontiert, über die weitere medizinische Vorgehensweise entscheiden zu müssen. Sie können einerseits engmaschige Untersuchungen zur Früherkennung durchführen lassen; diese Strategie stellt jedoch keine Präventionsmaßnahme im eigentlichen Sinn dar, sondern bedeutet letztlich ein "Warten auf den Krebs".

Die einzige derzeit verfügbare Alternative ist ein außerordentlich drastischer Schritt: die Entscheidung zu einer prophylaktischen Operation, das heißt, zur vorbeugenden Entfernung der (noch) nicht erkrankten Brüste bzw. Eierstöcke.
Interdisziplinäre Beratung
Die Vielzahl von Problemen und Belastungen, die in Folge einer genetischen Untersuchung zwar nicht auftreten müssen, aber können, ist für die PatientInnen im Vorhinein kaum absehbar. Eine ausführliche interdisziplinäre Beratung vor dem Gentest ist daher unverzichtbar.
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"Diskurstag Gendiagnostik"
Am 24. 10. findet im Rahmen des Österreichischen Genomforschungsprogramms GEN-AU der Diskurstag "Gendiagnostik - was geht mich das an?" statt.
Ort: Kinosaal des Naturhistorischen Museums Wien;
Beginn: 9.00 Uhr; Veranstalter: bm:bwk und Plattform Gentechnik&Wir.

science.ORF.at ist Medienpartner dieser Veranstaltung und bringt dazu Diskussionsbeiträge, die bereits im Vorfeld zu der Thematik Stellung nehmen.
->   GEN-AU/Diskurstag
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Betreuung nach der Aufklärung
Ebenso ist es aber notwendig, auf Basis empirischer Forschungsergebnisse und klinischer Erfahrung psychosoziale Betreuungskonzepte für die Zeit nach der Aufklärung zu entwickeln. Diese Betreuungsangebote müssen auf die ganz spezielle Situation der jeweiligen PatientInnen zugeschnitten werden.
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Ist Gentest gleich Gentest? Ein Methodenvergleich
Bisher wurde als der Gold Standard der Genanalysemethoden das direkte Sequenzieren angesehen. Da es jedoch teuer, personalintensiv und aufwendig ist, werden weltweit zumeist billigere und weniger aufwendige Methoden zur Genanalyse verwendet. Um die verschiedenen gebräuchlichsten Methoden der Genanalytik zu vergleichen, wurde Anfang 2000 vom National Institute of Health (NIH) gemeinsam mit der Firma Myriad Genetics eine Studie organisiert, die direktes Sequenzieren mit vier anderen Methoden verglich.

In dieser Studie wurde die DNA von 65 Patienten, die mittels direktem Sequenzieren komplett auf Veränderungen im BRCA1 Gen bereits analysiert waren, jeweils an 4 Laboratorien weltweit zur erneuten DNA-Analyse, ohne Kenntnis des BRCA1 Sequenzierergebnisses, verschickt. Nach 6 Monaten mussten die Ergebnisse der jeweiligen Laboratorien zur Auswertung dem NIH übermittelt werden.
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Unterschiedliche Detektionsraten
Die Genanalyse mittels direktem Sequenzieren konnte in den 65 Patienten 58 Mutationen identifizieren. Als einzige Methode wurden alle 58 Mutationen durch die in Wien verwendete DHPLC-Methodik korrekt identifiziert und konnte so eine Detektionsrate von 100% erreichen.

Die Detektionsraten der anderen Genanalysemethoden variierten zwischen 60% für CSGE, 65% für SSCP und 91% für TDSG. Diese verschiedenen Detektionsraten inkludierten auch falsch positive Ergebnisse sowie Laborfehler (Probenverwechslungen).
Gentest ist nicht gleich Gentest
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Gentest nicht gleich Gentest ist. Laboratorien welche andere Methoden als direktes Sequenzieren oder DHPLC für die molekulargenetische Diagnostik benutzen, müssen sich bewusst sein, dass sie bis zu 40% von funktionell relevanten Mutationen übersehen und somit falsch negative Testergebnisse ihren Patienten übermitteln können.
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Die Autorinnen des Gastbeitrages
Univ.Prof.Dr.Teresa Wagner ist Oberärztin an der Abteilung für spezielle Gynäkologie, Universitätsklinik für Frauenheilkunde (AKH, Wien) mit dem Schwerpunkt Brustkrebs/Brustrekonstruktionen. Sie ist Leiterin des molekulargenetischen Labors für Brustkrebsgen 1 und 2 (BRCA1 + 2) Analysen an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, welches zentral die BRCA1 und 2 Analysen für ganz Österreich durchführt. Ebenfalls leitet sie die genetische Beratungsstelle bei erblichen Brust- und Eierstockkrebs an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde. Sie ist ebenfalls Koordinatorin der Österreichischen Arbeitsgruppe "Erblicher Brust- und Eierstockkrebs". In dieser Arbeitsgruppe sind alle genetischen Beratungsstellen, welche erblichen Brust- und Eierstockkrebs beraten, Österreichs zusammengefasst.

Mag. Verena Korn arbeitet als Klinische und Gesundheitspsychologin an der Abteilung für Spezielle Gynäkologie (AKH Wien).
->   AKH - Abteilung für spezielle Gynäkologie
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Weitere Beiträge zum "Diskurstag Gendiagnostik" in science.ORF.at:
->   Brigitte Ratzer: Gendiagnostik: Chance oder Risiko?
->   Lisbeth N. Trallori: Biotechnologien als Motor gesellschaftlicher Transformation
->   Marianne Ringler: Gendiagnose und psychologische Beratung
->   GEN-AU
->   bm:bwk
->   Plattform Gentechnik&Wir
 
 
 
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01.01.2010