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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Dritte Welt als Öko-Ruhepolster für die Industrienationen?  
  In der Frage der Reduktion der Treibhausgase in der Atmosphäre wird der Handel mit den so genannten Emissionsrechten immer wichtiger. Damit können sich Industrienationen von einem Teil ihrer Pflichten zur Reduktion von z.B. Kohlendioxid-Emissionen freikaufen. Wie eine aktuelle Studie schlussfolgert, könnte sich dies sehr positiv auf die Wirtschaft von Entwicklungsländern auswirken - wenn sie sich zu umfangreichen Aufforstungsprogrammen ihrer Wälder entschließen, die als Kohlenstoff-Speicher dienen. Ob sich die "dritten Welt" aber zu diesem ökologischen Ruhepolster machen lassen will, auf dem sich die Industrienationen ausruhen können, ist zu bezweifeln.  
Waldbestand versus CO2-Emissionen
Im Kyoto-Protokoll, das bis 2008/2012 eine Reduktion der Treibhausgase um 5,2 Prozent im Vergleich zu 1990 vorsieht, ist die Anrechnung von Wäldern als so genannte Kohlenstoffsenken auf die Emissionsbilanz vorgesehen - denn Pflanzen nehmen beim Wachsen CO2, das wichtigste Treibhausgas, aus der Luft auf. Im Gegenzug zu Aufforstungen werden Rodungen als Emissionen in Rechnung gestellt.

Die heikle Frage von Plus und Minus (Waldbestand versus CO2-Emissionen), die schon die Kyoto-Nachfolgekonferenz im Jahr 2002 in Den Haag scheitern ließ, soll durch wissenschaftlich fundierte Ergebnisse beantwortet werden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge könnte das in sieben oder acht Jahren der Fall sein.
->   Kyoto-Protokoll
Zehn bis 30 Prozent CO2-Emissionen absorbiert
Fest steht bisher, dass zehn bis 30 Prozent der "hausgemachten" verursachten CO2-Emissionen von der europäischen Biosphäre absorbiert werden, dass aber nicht jeder Wald als Staubsauger im Treibhaus gleich viel taugt.

Die größte Speicherkapazität an Kohlenstoff haben 30 bis 60 Jahre alte Bäume, während "junge Bäume" mehr Kohlenstoff emittieren als aufnehmen, wie Riccardo Valentini von der Tusca-Universität in Viterbo (Italien) berichtete. Am günstigsten seien Mischwälder.
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CarboEurope
Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts "CarboEurope" wird der Speicherkapazität von Wäldern und Böden auf den Grund gegangen. Nach dem vorläufigen Forschungsstand dürften Wälder in einem höheren Maß als bisher angenommen in der Lage sein, Kohlenstoff zu absorbieren und damit zu einer Reduktion des Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre beizutragen.
->   CarboEurope
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Industrienationen kaufen Emissionsrechte ...
Die Frage nach der "Kohlenstoffsenke Wald" ist nicht nur ökologisch bedeutsam, sondern hat auch eine Reihe ökonomischer Konsequenzen. Die Industrienationen können sich nämlich von einem Teil ihrer Verpflichtungen zur Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen freikaufen.

Das ganze geschieht über den so genannten "Emissionshandel", genauer gesagt den Handel mit Emissionsrechten. Das bedeutet, dass ein Land von einem anderen Emissionsrechte kauft, da dieses z.B. weniger CO2 produziert, als ihm laut Kyoto-Protokoll zugestanden wurde.
... von Entwicklungsländern
Eine nun vorgestellte Studie geht der Rolle von Aufforstungsprogrammen im wachsenden Markt dieses Handels nach. Ihr Schluss: Zwar wirke er sich nicht negativ aus für die Umwelt, weit stärker profitieren würden aber die lokalen Wirtschaften.

Durch die Ausdehnung des Handels mit Emissionsrechten würden laut der Studie "Forest Carbon and Local Livelihoods: Assessment and Policy Recommendation" aus den Entwicklungsländern globale "Player" bei den Klimaverhandlungen.
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Die Studie
"Forest Carbon and Local Livelihoods: Assessment and Policy Recommendations" ist die nach eigenen Angaben erste Studie, die der Rolle von Aufforstungsprogrammen im wachsenden Markt des Handels mit Emissionsrechten nachgeht. Sie vereint die Resultate von mehr als 20 vorangegangen Untersuchungen und wurde von drei Waldforschungsinstitutionen - darunter das indonesische Center for International Forestry Research (CIFOR) - präsentiert.
->   Die Studie (pdf-Datei)
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300 Millionen US-Dollar pro Jahr
Die Studie spricht von einem potenziellen Kapitalfluss von 300 Millionen US-Dollar (308 Mio. Euro) pro Jahr, die der Wirtschaft der ärmsten Ländern der Erde zugute kommen könnte.

Nach Ansicht von David Kaimowitz, Generaldirektor des Center for International Forestry Research (CIFOR), haben diese "Kohlendioxid-Projekte" positive soziale, ökonomische und umweltschützende Auswirkungen für Hunderttausende Menschen. Durch Aufforstungen könnten Millionen Hektar Lebensraum in den Entwicklungsländern wiederhergestellt werden.
Durch Aufforstung zu Kohlenstoffspeicher-Verdoppelung
Die Vorteile für die Umwelt seien maßgeblich: Nach Angaben der Studie existieren 126 Millionen Hektar Acker und Weidefläche, die nur geringe Erträge erwirtschaften. Würden nur einige von ihnen in ökonomisch rentableres Forstwesen umgewandelt, könnten pro Hektar und Jahr zwischen fünf und fünfzig Tonnen Kohlendioxid gespeichert werden.

Beispielsweise wäre die trockenen Wälder Indiens durch entsprechende Verbesserungen in der Lage ihre Kohlenstoffspeicher zu verdoppeln - von 27 auf 55 Tonnen pro Hektar.
Gut fürs Business, gut für die Entwicklungsländer?
"Unsere Studie zeigt, dass der Handel zwischen der Industrie und den Aufforstern eine der billigsten Möglichkeiten für Unternehmen ist, ihre Kohlendioxidemissionen gegenzurechnen", so Sara Scherr von der Non Profit-Organisation "Forest Trends".

"Wenn sie in derartige Geschäfte investieren, bedeutet das einen großen Fluss privaten Kapitals in arme ländliche Gegenden", meinte die Ko-Autorin der Studie.
300.000 US-Dollar für 10.000 Hektar Wald
Ein Beispiel: In der indischen Region Madhya Pradesch könnten 95 ärmliche Landdörfer zumindest 300.000 US-Dollar (308.500 Euro) pro Jahr aus diesen "Kohlendioxid-Zahlungen" beziehen, wenn sie 10.000 Hektar an vernachlässigtem Wald wieder herstellen.

Diese gesunden Wälder böten eine Reihe von Vorteilen: "Als Habitat für gefährdete Leoparden oder Affen ebenso wie zur Verbesserung der lokalen Wasserversorgung. Zugleich könnten die Dorfbewohner, die sehr oft über kein Ackerland verfügen, Geld durch den Verkauf von hochwertigem Bauholz oder Blättern für Zigarren verdienen," meinte Scharr in einer Aussendung.
Etwa 20 US-Dollar pro Tonne gespeichertes CO2
"Gemeinnützige Aufforstungsprojekte wurden immer als zu teuer betrachtet", so Joyotee Smith, eine weitere Ko-Autorin der Studie. "Wir glauben hingegen, dass derartige Projekte CO2-Kredite um einen - geschätzten - globalen Marktpreis von etwa 15 bis 20 US-Dollar pro Tonne gespeichertes Kohlendioxid verkaufen können."
Keine Monokulturen
Die Befürchtung, wonach in Folge des Emissionhandels riesige Waldflächen mit Monokulturen von ortsfremden Bäumen entstehen, wollen die Studienautoren nicht teilen. "Forest Carbon and Local Livelihoods: Assessment and Policy Recommendations" behauptet, dass gemeinnützige Aufforstungsprojekte die gleichen Vorteile bietet wie industrielle. Solange die Kosten annähernd gleich sind, würden die Betriebe "sozial verantwortliche" Kohlendioxid-Geschäfte bevorzugen.

Aber: "Alle diese Chancen sind vertan, solange die Bemühungen dieser Aufforstungsprojekte von den internationalen Regeln des Emissionshandels nicht offiziell unterstützt werden", so Scherr. Deshalb schlagen sie vor, dass sie in die Verträge des Kyoto-Protokolls aufgenommen werden - diese Woche wird in Neu Delhi darüber diskutiert.
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Konferenz in Neu Delhi
Auf der 8. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimakonvention in Neu Delhi (COP 8) wird über konkrete Wege zur CO2-Reduzierung verhandelt. Dazu zählen der Handel mit den Emissionsrechten oder die Anrechnung von klimaverträglichen Projekten in Entwicklungsländern. Die Kyoto-Nachfolgekonferenz findet vom 23. 10 bis 1. November in Indien statt.
->   Mehr über die COP 8
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Ökonomische Begleiteffekte
Probleme mit dem 'Kohlenstoffspeicher Wald' gebe es nur da, wo die Bäume einzig aus diesem Grund gepflanzt werden würden. "Wenn es zusätzlich auch noch andere ökonomische Verwertungen gibt wie z.B. die Produktion von Gummi oder die Ernte von Früchten, dann sind die Kosten geringer. Gemeinschaften könnten die CO2-Zahlungen benutzen, um diese nachhaltigen Aufforstungen zu finanzieren", so Scherr.

Ob die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer dadurch an Nachhaltigkeit gewinnt, dass sie wieder einmal als Rohstofflager für die Industrienationen dienen - diesmal als Speicher von Treibhausgasen - muss in Frage gestellt werden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Mehr über den Handel mit den Treibhausgasen
->   Center for International Forestry Research
->   Forest Trends
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Science-Event "Das Klima ändert sich - auch in Österreich"
"Alle reden über das Wetter, aber keiner tut etwas dafür". Dieser Meinung von Mark Twain widersprechen die Veranstalter des Science Events "Das Klima ändert sich - auch in Österreich", das am Donnerstag, dem 7. November, ab 14 Uhr im Großen Sendesaal des RadioKulturhauses in Wien ablaufen wird.
->   Mehr darüber
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01.01.2010