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Ein biochemisches Fossil aus der "RNA-Welt"  
  Nukleinsäuren gelten als jene Moleküle, die genetische Information speichern. Die "kleine Schwester der DNA", die so genannte RNA, kann nicht nur das: Sie wirkt auch als Enzym. Eine Studie amerikanischer Wissenschaftler bestätigt nun das Image der RNA als "Alleskönner". Das Spannende daran: Die Wissenschaftler haben möglicherweise ein biochemisches Fossil entdeckt, das aus jenen Urzeiten stammt, als das Leben noch ganz anders funktionierte.  
Wade Winkler von der Yale University und seine Mitarbeiter fanden einen molekularen Schalter, der Hinweise auf die genetische Architektur des Lebens in seinen Urzeiten gibt.
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"Thiamine derivates bind messenger RNAs"
Die Arbeit "Thiamine derivates bind messenger RNAs directly to regulate bacterial gene expression" von Wade Winkler und Mitarbeitern erschien auf der Website des Wissenschaftsmagazins im Rahmen des "ahead of print programme" (DOI: 10.1038/nature01145) und wird in einer der nächsten Printausgaben abgedruckt.
->   Nature
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Die Zelle: Legislative und Exekutive
Aus biochemischer Sicht verdankt das Phänomen "Leben" seine Existenz zwei besonderen Molekülen. Den Nukleinsäuren (zu denen etwa die DNA zu rechnen ist) sowie den Proteinen (auch Eiweiße genannt).

Erstere bezeichnet man gerne als "Legislative" der Zellen, weil in ihnen die Erbinformation zum Aufbau des jeweiligen Organismus gespeichert wird.

Letztere werden gemäß ihrer Funktion als zelluläre "Exekutive" bezeichnet: Proteine sind sehr vielgestaltige bzw. aktive Moleküle - sie katalysieren chemische Reaktionen und bilden Rezeptoren, Ionenkanäle sowie viele andere zelluläre Strukturen aus.
Langweilige DNA
Die Zuordnung scheint durchaus Sinn zu machen, denn die DNA ist ein relativ langweiliges Molekül. Auch wenn mittlerweile eine Reihe verschiedener Typen ihrer "Wendeltreppen-Architektur" bekannt sind, ihre Funktion bleibt doch immer die gleiche: Die Speicherung von (Erb-)Information.

Für diese Funktion ist es sogar von Vorteil, dass die DNA eine geringe chemische Reaktivität bei hoher Stabilität aufweist. Daher vergleichen Informatiker die DNA nicht zu Unrecht mit einer so genannten "Backup Copy" - sie ist die "Sicherungskopie" lebendiger Systeme.
Aktive Proteine
Demgegenüber die Proteine: Vielgestaltig und reaktiv, die ausführenden Organe des zellulären Geschehens. Lange Zeit war man der Meinung, dass diese Unterscheidung von "Exekutive" und "Legislative" ein gutes Bild der tatsächlichen Verhältnisse in der lebenden Zelle abgeben würde.
Die RNA passt nicht ins Bild
Erst im Jahr 1981 entdeckte der amerikanische Biochemiker Thomas Robert Cech, dass es auch Nukleinsäuren gibt, die nicht in dieses Bild passen.

Cech konnte zeigen, dass die "kleine Schwester der DNA", die RNA, ebenfalls imstande ist, chemische Reaktionen zu katalysieren. Mit anderen Worten, die passive Rolle, die man damals den Nukleinsäuren zugedacht hatte, erwies sich für die RNA als falsch, denn diese kann sehr wohl enzymatisch aktiv sein.

Cech bekam für seine Entdeckung im Jahr 1989 mit seinem Fachkollegen Sidney Altman den Nobelpreis für Chemie.
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RNA, Enzyme und RNA-Enzyme
"RNA" ist die Kurzschreibweise für die "Ribonukleinsäure", die sich durch ein kleines, aber wichtiges chemisches Detail von der DNA unterscheidet und daher auch keine Doppelhelix ausbildet: Satt dessen bildet sie relativ variable räumliche Strukturen, was wiederum mit ihrer enzymatischen Aktivität einhergeht. "Enzymatische Aktivität" bedeutet, dass ein Molekül chemische Umsetzungen ermöglicht, indem es die erforderliche Aktivierungsenergie so herabsetzt, dass diese Reaktion bei physiologischen Bedingungen (Körpertemperatur, normaler Druck etc.) abläuft. Man spricht dann von so genannten RNA-Enzymen (bzw. Ribozymen).
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Die Entstehung des Lebens - ein Problem
Diese wissenschaftliche Erkenntnis hatte auch in anderer Hinsicht Konsequenzen. Im Rahmen der Frage nach dem Ursprung des Lebens erwies sich ein besonderer Umstand als unüberwindbares Problem: In heute lebenden Organismen sind DNA und Proteine gleichsam aneinander gekettet.

Die DNA enthält jenen Code, aus dem Proteine hergestellt werden. Und Proteine sind wiederum dafür verantwortlich, dass sich die chemisch träge DNA replizieren kann. Wie sollte also jemals Leben entstanden sein, wenn die beiden wichtigsten Molekültypen nicht alleine existieren können?
Die Lösung: "RNA-Welt"
Hier bot die Entdeckung von Thomas Cech einen Ausweg an: Enzymatisch aktive RNA-Moleküle könnten in Urzeiten beide Lebensfunktionen auf sich vereinigt haben. Die RNA könnte das erste Molekül gewesen ein, das sich selbst herstellte - und damit "Exekutive" und "Legislative" gewissermaßen in Personalunion war.

Im Jahr 1986 prägte der Harvard-Biologe Walter Gilbert für dieses Konzept den Begriff "RNA-Welt", der heute allgemein verbreitet ist.
->   Renee Schroeder: Die RNA-Welt
Boten-RNA transportiert Information ...
Wade Winkler und seine Mitarbeiter von der amerikanischen Yale-University machten nun eine Entdeckung, die sowohl für die Biochemie, als auch für die Frage nach der Lebensentstehung von Bedeutung ist.

Sie fanden heraus, dass es so genannte "Boten-RNAs" (Moleküle, die eine DNA-Abschrift zu den Orten der Proteinherstellung transportieren) gibt, deren Funktion einem äußerst urtümlichen Regulations-Mechanismus unterworfen ist.
... und reguliert sich selbst
Winkler und seine Mitarbeiter untersuchten Boten-RNAs des Darmbakteriums E. coli, die den Code für Enzyme beinhalten, die wiederum an der Herstellung des Vitamins B1 beteiligt sind.

Dabei stellten sie fest, dass das Produkt dieser Reaktionskette (nämlich das Vitamin B1) seine eigene Herstellung reguliert, indem es an die betreffende Boten-RNA bindet. Das Besondere daran: Für die Bindung sind keinerlei Proteine (so genannte Cofaktoren) notwendig.
Ein biochemisches Fossil
Die amerikanischen Forscher interpretieren diesen Befund dahingehend, dass dieser molekulare Schalter ("Riboswitch") eine Urform der genetischen Kontrolle darstelle. Und: Dieses biochemische Fossil stamme aus der Periode der "RNA-Welt" - jene Frühphase des Lebens, als die Proteine noch auf ihre große Zeit warteten.

Robert Czepel, science.ORF.at
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01.01.2010