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Wie die Nase lernt, Gerüche wahrzunehmen  
  Weinkenner, die in der Lage sind Hunderte von Gerüchen zu unterscheiden, liefern ein besonders eindrucksvolles Beispiel für unser Riechvermögen. Welcher Teil des Geruchssystems für das Erlernen neuer Eindrücke verantwortlich ist, war bisher nicht restlos geklärt. Eine aktuelle Studie legt den Schluss nahe, dass es nicht die neuronalen Rezeptoren der Nase sind, sondern bestimmte Regionen des Gehirns.  
Die Studie eines Teams von Neurowissenschaftlern um Joel Mainland und Noam Sobel von der University of California, Berkeley hält fest, dass die Gehirne von Erwachsenen neue Geruchsempfindungen viel besser unterscheiden können als bislang angenommen.

Sie könnte auch zu neuen Einsichten über die Regenerationsfähigkeit des Gehirns nach Verletzungen führen. Zuletzt haben einige Studien - etwa bei Schlaganfall-Patienten - darauf hingewiesen, dass gezielte körperliche Aktivität verletzter Körperteile auch zur Regeneration von Teilen des Gehirns beiträgt.
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Die Studie ist unter dem Titel "Olfactory plasticity: One nostril knows what the other learns" in der aktuellen Ausgabe von Nature (Bd. 419 S. 802) erschienen.
->   Zur Studie (kostenpflichtig)
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Untersuchung von Androstenon-Wahrnehmung
Im Mittelpunkt der Untersuchung stand das männliche Pheromon "Androstenon". Diese chemische Substanz kann von etwa 30 Prozent aller Menschen nicht wahrgenommen werden.

Sie können diese Fähigkeit nach Angaben der Studienautoren aber entwickeln, wenn sie der Substanz über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt werden. Bei jenen, die Androstenon wahrnemen können, löst der Geruch eine Reihe von unangenehmen Empfindungen aus. Sie beschreiben ihn als "verfault und übel stinkend".
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Androstenon
Androstenon zählt zu den männlichen Pheromonen, also zu Stoffen, die von einem Individuum in die Luft abgegeben werden und das Verhalten, die Physiologie (z.B. den Hormonspiegel) oder die emotionale Stimmung eines anderen Individuums der selben Art verändern.

Etwa 30 Prozent aller Menschen sind spezifisch für Androstenon anosmisch, können diesen Stoff also nicht wahrnehmen. Wie das Ludwig Boltzmann Institut für Stadtethologie (LBI) in Wien festhält, ist es davon zehn Prozent möglich, die Wahrnehmung zu erlernen.
->   LBI-FAQs zu Pheromonen
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Ein Nasenloch verstopft, ein Nasenloch frei ...
Sobel und seine Kollegen untersuchten das Geruchsverhalten von zwölf Personen, die Androstenon nicht wahrnehmen konnten. Ihnen wurde ein Nasenloch komplett zugestopft, das andere Nasenloch war dem Geruch von Androstenon 21 Tage lang hintereinander ausgesetzt.
... Verdoppelung der Geruchsfähigkeit
Danach wurde die Empfindungsfähigkeit beider Nasenlöcher verglichen. Das Ergebnis: Beide Nasenlöcher konnten ihre Geruchsfähigkeit verdoppeln - und zwar im genau gleichen Ausmaß.
Keine neuronale Verknüpfung der Nasenlöcher
Da es nach Auskunft der Wissenschaftler keine neuronale Verknüpfung der beiden Nasenlöcher im Organ selbst gibt, schlossen sie darauf, dass der gemeinsame Lerneffekt im Riechzentrum des Gehirns vor sich gegangen sein muss.
Zentrale Komponente im Gehirn
"Das Gehirn ist mit Sicherheit daran beteiligt, weil das verstopfte Nasenloch genauso gut gelernt hat. Das widerspricht einer bisher vertretenen These, wonach das Erlernen und Unterscheiden von Gerüchen ausschließlich in der Nase geschieht", so Sobel. Deshalb müsse sich eine zentrale Komponente für den Lernvorgang im Gehirn befinden.

Allerdings sei damit nicht ausgeschlossen, dass es bei dem Vorgang auch zu neuronalen Veränderungen in der Peripherie - also in der Nase - kommen kann. Weitere Forschung soll klären, inwiefern deren Plastizität für den festgestellten Lerneffekt mit verantwortlich ist.
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Olfaktorisches System
Die Riechzellen in der Nasenschleimhaut wandeln Gerüche - chemische Informationen in elektrische Signale um. Dort werden sie durch die Geruchsnerven in die Schädelhöhle weitergeleitet, wo die Informationen im Riechkolben (Bulbus Olfactorius) primär verarbeitet werden. Die Information gelangt dann direkt in einen der ältesten Bereiche des Gehirns: in das limbische System, genauer gesagt in die Mandelkerne und in den Hippocampus, wo die sekundäre Verarbeitung stattfindet. Als emotionale und soziale Entscheidungszentrale hat dieses entwicklungsgeschichtlich alte System die Aufgabe, die Gerüche je nach Wertigkeit an die passende "Schublade" im Gehirn weiterzuleiten. In der Großhirnrinde entsteht die bewusste Wahrnehmung.
->   Mehr zur Anatomie der Nase
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Weitere Studien angekündigt
Bei Kindern unterliege das Nervensystem einem stetigen Wandel und einer stetigen Entwicklung, bei Erwachsenen sei der Grad der Veränderbarkeit jedoch unklar, so Sobel. "Die beste Weg, um ein zerstörtes Nervensystem zu reparieren, ist herauszufinden, wie die Regeneration auf natürlichem Weg abläuft." Weitere Untersuchungen mit Hilfe von Magnetresonanztomographie seien dafür vonnöten.
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Dem Geheimnis des Riechens auf der Spur
->   Die unterschätzten Sinne: Schmecken und Riechen
->   Stiefkind der Sinne: Die Nase
 
 
 
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01.01.2010