News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
"EuroCalculus": Software für die Euro-Umstellung  
  Die Euro-Bargeldeinführung stellte eine enorme logistische Herausforderung für zwölf Staaten der Europäischen Union dar. Alleine In Österreich musste Bargeld im Wert von rund 180 Milliarden Schilling ersetzt werden, dabei kam vor allem dem Einzelhandel als "Wechselstube" große Bedeutung zu. Kernproblem bei der Planung zur Euro-Umstellung war daher auch die Frage nach dem Wechselgeldbedarf der einzelnen Unternehmen. An der Wirtschaftsuniversität Wien wurde dafür die Software "EuroCalculus" entwickelt - und zur Umstellung eingesetzt. Die beiden Wissenschaftler Peter Schnedlitz und Christoph Teller von der Abteilung für Handel und Marketing der WU berichten darüber in einem Gastbeitrag für science.ORF.at.  
Schmiermitteltausch bei voller Fahrt
Von Peter Schnedlitz und Christoph Teller

Am 1. Jänner 2002 verdrängte der Euro den Schilling als offizielles Zahlungsmittel in Österreich. Mehr als 340 Millionen Euro-Banknoten sowie 1,5 Milliarden Euro- und Cent-Münzen (entspricht rund 8.000 Tonnen) galt es zu verteilen. Gleichzeitig wurde Schilling-Bargeld im Gegenwert von rund 35 Milliarden Euro 'entsorgt'.

Das Geld als 'Schmiermittel der Wirtschaftsprozesse' wurde also ausgetauscht, ohne den Motor Wirtschaft anzuhalten zu dürfen - eine "beispiellose logistische Herausforderung" (ECOFIN-Rat 1999), der sich insgesamt zwölf Europäische Staaten stellten.
EuroCalculus: Wie viel Bargeld wurde benötigt?
Im Speziellen musste der Einzelhandel unfreiwillig die Funktion der "Wechselstube" inklusive Eingewöhnungstraining für Konsumenten übernehmen. Die Beantwortung der Kernfrage, wie viel Bargeld am Ende der 'Cash Supply Chain' (Konsumenten) benötigt wird, entschied letztendlich über den Erfolg bzw. Dauer des Jahrhundert-Boxenstopps der Wirtschaft.

Der EuroCalculus, eine Software zur Berechnung des Wechselgeldbedarfs (dezentrale Distributionsbestände) zu Beginn des Jahres 2002, unterstützte die Händler bei der Lösung dieses Problems.

121.000 verteilten CDs und mehr als 5.000 registrierte Downloads quantifizieren den Erfolg dieses einzigen nationalen Lösungsansatzes in Europa. Die Berechnungsheuristik beruht auf zahlreichen empirischen Untersuchungen im Bereich Verwendungsverhalten und Ströme von Bargeld.
...
Das Bargeld, der Österreicher und seine Grundbedürfnisse
Im Rahmen einer repräsentativen Haushaltsbefragung (Stichprobe 1.000 Personen) wurden erhoben, wo die Österreicher zu Wochenbeginn in welcher Reihenfolge Bargeld zur Bezahlung verwenden. Jene Befragten, die Bargeld zur Zahlung verwendeten (53,6 Prozent), erleichterten ihre Geldbörsen zumeist im Lebensmittelhandel (24,8 Prozent), in der Gastronomie (24,7 Prozent), in Trafiken (15,1 Prozent), an Tankstellen (9,4 Prozent) sowie bei Bäckern (5,9 Prozent) zu Wochenbeginn. Dies zeigte letztendlich, dass Bargeld vor allem zur Befriedigung der kurzfristigen Grundbedürfnisse verwendet wird. Gleichzeitig stellten jene Branchen die Hauptbetroffenen der Euro-Umstellung dar.
...
Der Österreicher als Bargeldprofi
Auf Basis von mehr als 14.000 Beobachtungen von Geldtransaktionen an Kassen in den betroffenen Branchen erhob man weiters das Verwendungsverhalten der Konsumenten. Hier zeigte sich, dass rund zehn Prozent aller Beträge exakt vom Kunden beglichen werden und bei mehr als acht Prozent Münzen zusätzlich zu Banknoten begeben wurden, um den Rückgeldbetrag (anzahlmäßig) gering zu halte (=Aufzahlen).

Auf der anderen Seite gab das Kassierpersonal bei mehr als neun von zehn Zahlungen die geringste Anzahl an Banknoten und Münzen den Kunden in Form von Rückgeld zurück. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Konsumenten das 'Bargeld-Handling' professionell beherrschten, was auch für die Zeit der Umstellung vermutet werden konnte.

Von Seiten der Unternehmen zeigte sich, dass die Rechnungsbeträge von den Konsumenten um ein Vielfaches im Durchschnitt überzahlt wurden. Dies belegte die 'Distributionsfunktion' von Bargeld der Unternehmen und die Bedeutung des Wechselgeldes als Versorgungsquelle der Konsumenten mit Euro-Bargeld zur Zeit der Umstellung.
Erfolgsfaktor Unternehmen und Konsumenten
Retrospektiv betrachtet ermöglichte die umfassende Verwendung des EuroCalculus, die richtige Menge an Wechselgeld in den Unternehmen zu ermitteln, um Fehlmengen an Bargeld und die damit verbundenen Umsatzentgänge zu vermeiden. Indirekt wurde dadurch die Bestands- und Lagerplanung auf allen Stufen der 'Cash-Supply-Chain' (Bankfilialen, Poststellen, Nationalbank) erleichtert.

Eine Funktionsüberprüfung der Berechnungsheuristik in den ersten Wochen im Jänner 2002 zeigte, dass die berechneten Mengen ausreichten, um den Wechselgeldbedarf zu befriedigen und die Konsumenten sehr rasch den Euro als alleiniges Zahlungsmittel akzeptierten.

Das Forschungsprojekt EuroCalculus belegt, dass an Universitäten auch anwendungsorientierte Forschung betrieben wird, die unmittelbaren Nutzen für die Volkswirtschaft generieren können.
->   Abteilung für Handel und Marketing der WU Wien
->   Free Download des EuroCalculus
...
Gastbeitrag und WU-Jahrestagung
Peter Schnedlitz ist Vorstand der Abteilung für Handel und Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien, an der auch Christoph Teller als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist.

Die detaillierten Ergebnisse der beiden Wissenschaftler werden am 7. November im Rahmen der WU-Jahrestagung 2002 präsentiert, die am 5. November eröffnet wird und bis 7. November verschiedenste Themenbereiche behandelt. Die Tagung ist öffentlich zugänglich.
->   Informationen und Anmeldung zur WU-Jahrestagung
...
Weitere Beiträge zur WU-Jahrestagung in science.ORF.at:
->   Helmut Kasper und Jürgen Mühlbacher: Die lernende Organisation
->   Arnold Schuh: Globalisierung als Diffusionsprozess
->   Gunther Maier: Migration in Österreich
->   Helmut Kasper und Angela Schmidt: Führungskräfte zwischen Beruf und Privatleben
->   Gustav Neumann und Bernd Simon: E-Learning - Hype oder Evolution des Lernens?
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010