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Top-Physiker zieht acht "Science"-Fachartikel zurück  
  Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön sorgt für den bisher größten Rückzieher wissenschaftlicher Fachartikel im renommierten US-Forschungsjournal "Science". Insgesamt acht Aufsätze ziehen Schön und andere beteiligte Forscher in der aktuellen Ausgabe zurück, nachdem eine Prüfungskommission dem deutschen Nachwuchswissenschaftler Datenfälschungen nachweisen konnte.  
Wie science.ORF.at berichtete, war Jan Hendrik Schön im September dieses Jahres aufgrund von belastenden Untersuchungsergebnissen einer Kommission der Bell Labs in Murray Hill (US-Bundesstaat New Jersey) entlassen worden.
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->   Nobelpreis-Anwärter als Fälscher entlarvt
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Aufstieg und Fall
Ganze vier Jahre dauerte der Traum. Frisch promoviert war der Physiker Jan Hendrik Schön von der Universität Konstanz 1998 in die USA gerufen worden. Einer der weltweit führenden Experten für Hochtemperatur-Supraleiter, Bertram Batlogg, holte ihn in sein Labor bei den Bell Labs in Murray Hill (US-Bundesstaat New Jersey).

Dort kam Nachwuchsforscher Schön (32) zu "bahnbrechenden" Ergebnissen, die ihm nach Einschätzung mancher Kollegen bereits den Nobelpreis in Aussicht stellten.

Diese vermeintlich sensationellen Erfolge sorgen jetzt für den bislang größten Rückzieher wissenschaftlicher Fachartikel im renommierten US-Forschungsjournal "Science".

Die Ergebnisse der Bell-Untersuchungskommission
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Fälschung als historisches Phänomen
Ein schwacher Trost ist für Schön wohl der Hinweis, dass er sich als Datenmanipulator bzw. -fälscher in illustrer Gesellschaft befindet. Wie etwa der italienische Historiker Federico Di Trocchio hinweist, sei Fälschung so alt wie die Wissenschaft selbst. Die Liste jener, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nahmen, liest sich wie das "Who is who" der Wissenschaft. So haben etwa schon Ptolemäus, Galilei oder Gregor Mendel Daten veröffentlicht, deren Validität aus heutiger Sicht angezweifelt wird.
->   Siehe hierzu: Forschungsfälschungen: So alt wie die Wissenschaft
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Acht Artikel zurückgezogen
Insgesamt acht Aufsätze ziehen Schön und seine Kollegen in der aktuellen Ausgabe zurück, nachdem eine Prüfungskommission der Bell Labs die Resultate des deutschen Nachwuchsforschers vor einem Monat als teilweise gefälscht entlarvt und seine Entlassung veranlasst hatte.

Nach Auskunft der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AAAS), Herausgeberin von "Science", wurden noch nie so viele Artikel auf einmal aus dem Journal zurückgezogen.
Manipulation in 16 von 24 Fällen
"Obwohl die fraglichen Arbeiten möglicherweise auch einige seriöse Ideen und Beiträge enthalten, halten wir es für das beste, sie komplett zurückzuziehen", schreiben die insgesamt neun Forscher in "Science".

Kein anderer Physiker konnte Schöns Experimente zum elektronischen Verhalten natürlicher Kristalle wiederholen, die große Fortschritte in der Elektronik versprachen.

Nach Angaben der Bell-Labs-Prüfungskommission unter Leitung des Forschers Malcolm Beasley von der Stanford University soll Schön von 1998 bis 2001 in 16 von 24 überprüften Fällen Daten manipuliert oder falsch dargestellt haben.
Auch "Nature" plant Rückzug
Auch das britische Konkurrenzblatt "Nature" plant nach eigener Auskunft den Rückzug von fünf Fachartikeln, die Schöns Namen tragen.

Batlogg, Schön und ihr Bell-Labs-Kollege Christian Kloc wollen außerdem den angesehenen Braunschweig-Preis und das Preisgeld in Höhe von 50.000 Dollar (51.000 Euro) zurückgeben, mit dem sie vergangenes Jahr ausgezeichnet worden waren.

An der Universität Konstanz prüft eine Kommission alle Arbeiten, die Schön an der Hochschule gemacht hat, darunter auch seine Promotion.
Rätseln um Ursachen
Seitdem sich Schöns Daten als fingiert herausstellten, rätseln Experten in den USA und Deutschland, warum sie nicht rechtzeitig aufmerksam geworden waren. Ein ausschlaggebender Punkt war Batloggs Ruf als überaus gewissenhafter Forscher.

Batlogg "hatte zuvor ausgezeichnete und sehr angesehene Studien veröffentlicht", sagt der Nobelpreisträger und Physik-Professor von der Stanford-Universität in Kalifornien, Robert Laughlin: "Deshalb zweifelte auch niemand an den Ergebnissen."
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Bericht: "Messdaten wurden mathematisch generiert"
Hinzu kam, dass Schöns Mentor Batlogg vor zwei Jahren einen Lehrstuhl an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich annahm und nicht mehr direkten Einblick in die Experimente hatte. Die von den Bell Labs eingesetzte Kommission fand schließlich, dass vielleicht 4 von 117 Punkten auf seiner Tabelle zum Nachweis der Supraleitfähigkeit so genannter Buckyballs "auf echten Daten beruhen könnten". Die übrigen Punkte seien keine "echten (Mess-) Daten, sondern wurden mathematisch generiert", heißt es in dem Abschlussbericht des Ausschusses vom September.
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Mentor Batlogg unter Beschuss
Ein ehemaliger Mitarbeiter, Arthur Ramirez vom Los Alamos National Laboratory, wirft Batlogg mangelnde Sorgfalt vor. "Er sonnte sich im Erfolg (seines Schützlings Schön), ohne die Ergebnisse zuvor einer kritischen Überprüfung zu unterziehen".
Verantwortung für Co-Autoren?
Auch der Chefredakteur von "Science", Donald Kennedy, wirft in einem Kommentar die Frage nach der "professionellen Verantwortung" von Forschern auf.

"Sollte nicht jeder Autor einzeln und alle gemeinsam (für eine wissenschaftliche Veröffentlichung) haften, jeder einzelne und alle zusammen ihre Vorteile genießen", fragt Kennedy. Schön hatte an 25 Veröffentlichungen mitgearbeitet. An diesen Studien waren außer ihm insgesamt 20 andere Autoren beteiligt.
Batlogg gesteht Schuld ein
Nachdem sich Batlogg anfangs damit entschuldigte, dass er "als Beifahrer in einem Auto, das durch ein rotes Ampellicht fährt, keine Schuld" trage, übernahm er inzwischen die Verantwortung. "Ich habe mit größtem Bedauern feststellen müssen, dass meine Kontrolle ... nicht ausreichend war", sagte er. "Ich habe meinem Mitarbeiter zu sehr vertraut".
->   Science
->   Nature
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01.01.2010