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Kompensation: Verlagerung auf andere Hirnregionen  
  Ältere Menschen, die in bestimmten kognitiven Tests ähnlich gut abschneiden wie jüngere, scheinen - laut einer neuen Studie - auf einen besonderen "Trick" zurückzugreifen: Sie verlagern Gehirnaktivität auf die normalerweise weniger benutze linke Hälfte des so genannten Präfrontalen Kortex - und kompensieren so das Nachlassen der Leistungsfähigkeit ihrer rechten Gehirnhemisphäre.  
Ein Forscherteam um Roberto Cabeza vom Center for Cognitive Neuroscience der Duke University untersuchte ein aus früheren Studien bekanntes, bei älteren Menschen beobachtetes Phänomen: Die Reduktion der normalen "hemisphärischen Asymmetrie" in der Aktivität der beiden Seiten des Präfrontalen Kortex.
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"Aging Gracefully: Compensatory Brain Activity"
Der Artikel "Aging Gracefully: Compensatory Brain Activity in High-Performing Older Adults" von Roberto Cabeza, Nicole Anderson, Jill Locantore und Anthony McIntosh ist erschienen in "NeuroImage", Bd. 17, Nr. 3, Seiten 1394-1402, vom 1. November 2002 (doi:10.1006/nimg.2002.1280).
->   Abstract des Artikels
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Rechte Hemisphäre und bilaterale Aktivität
Im Präfrontale Kortex finden höhere kognitive Prozesse statt. Ältere Forschungen konnten bereits zeigen, dass bei bestimmten kognitiven Aufgaben vor allem die rechte Hemisphäre dieses Hirnteils aktiv ist - zumindest bei jüngeren Erwachsenen.

Dagegen ließ sich nachweisen, dass ältere Menschen diese Asymmetrie bei der Verarbeitung von Aufgaben im Gehirn häufig verlieren bzw. dass diese schwächer wird: Sie zeigen vielmehr eine stärker beidseitig ausgeprägte Aktivität - also in beiden Gehirnhemisphären.
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Visuelle, auditorische, somatosensorische Information
Der präfrontale Cortex empfängt hochverarbeitete visuelle, auditorische und somatosensorische Information und integriert diese laufend in Hinblick auf die aktuelle Situation, in der sich der Mensch gerade befindet. Auf Grund früherer Studien wird hier etwa auch das Arbeitsgedächtnis des Menschen vermutet.
->   Mehr Informationen zum Präfrontalen Kortex
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Zwei Theorien: "Kompensation" kontra "Dedifferenzierung"
In der Neurowissenschaft gibt es zwei divergente Theorien, um diesen mit dem Altern einhergehenden Wechsel zu erklären: Nach der "Dedifferenzierungs-Theorie" geschieht dies, da bei älteren Erwachsenen die Fähigkeit nachlässt, spezialisierte neuronale Mechanismen zu aktivieren.

Dagegen nimmt die "Kompensations-Theorie" an, dass diese Asymmetrie-Reduktion hauptsächlich dadurch verursacht wird, dass Ältere eine reduzierte Leistungsfähigkeit der einen Hemisphäre durch verstärktes Aktivieren der anderen ausgleichen.
Gehirnaktivität mit PET überprüft
In ihrer Studie unterschieden die Forscher zwei Gruppen von Versuchspersonen - gesunde ältere Erwachsenen im Alter von 60 bis 80: Während der eine Teil in einer Reihe von kognitiven Tests vergleichsweise gut abschnitt, waren die anderen Versuchsteilnehmer deutlich weniger erfolgreich.

Die Wissenschaftler legten nun den Mitgliedern der beiden Gruppen sowie einer Gruppe jüngerer Erwachsener im Alter zwischen 20 und 35 zwei weitere Tests vor. Dabei wurde die Gehirnaktivität der Versuchsteilnehmer mithilfe der Positron-Emissions-Tomografie (PET) aufgezeichnet.
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Details zu den beiden Tests
Die Probanden mussten sich zunächst Wortpaare einprägen und schließlich - nach Nennung eines Wortes - das dazugehörige zweite Wort angeben. Im anderen Test sollten sie die Quelle eines zuvor präsentierten Wortes angeben - also ob sie dieses gehört oder gelesen hatten.
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Bilaterale Aktivität: Bessere Testergebnisse
Beim Analysieren der Testergebnisse stellten die Wissenschaftler fest, dass sich bei der Gruppe der gut abschneidenden älteren Erwachsenen deutlich mehr bilaterale Aktivität zeigte, als bei den Versuchspersonen der anderen Gruppen.

Dagegen habe sich in den Versuchen gezeigt, dass bei älteren Versuchspersonen, die im Vergleich weniger gut abschneiden, eine Bevorzugung der rechten Hälfte dieser Gehirnregion vorherrsche, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal "NeuroImage".
Ein Hinweis auf die "Kompensations-Theorie"
Demnach seien ihre Ergebnisse eher ein Hinweis auf die "Kompensations-Theorie", erklärt Roberto Cabeza. Zudem meint der Wissenschaftler, die Erkenntnisse könnten dazu dienen, neuen Methoden für die Erhaltung kognitiver Fähigkeiten bei älteren Menschen zu entwickeln.
Neue Möglichkeiten der Therapie?
Man sei noch weit entfernt von praktischen Anwendungen, so Cabeza weiter. Dennoch: "Wenn wir die Unterschiede zwischen den älteren Menschen, die wenig oder keinen kognitiven Rückgang zeigen, und jenen, die deutlich beeinträchtig sind, verstehen, dann könnten wir Methoden für die Kontrolle von altersbezogenem Gedächtnisverlust finden."

Solche Methoden jedoch seien abhängig von der Ursache bzw. vom Ursprung der Kompensation, so der Experte weiter. "Eine Möglichkeit ist, dass diese beidseitige Aktivität den Gebrauch alternativer kognitiver Strategien wiederspiegelt" - dann sei es das Ziel, diese zu verstehen und mit ihrer Hilfe Gedächtnistrainingsprogramme zu entwickeln.

Doch wie Cabeza weiter erläutert, könnten auch schlicht neurobiologische Mechanismen die Ursache sein - dann gelte es herauszufinden, wie man diese unterstützen könnte. "Vielleicht unter Verwendung von Medikamenten", spekuliert der Wissenschaftler.
->   Duke University Center for Cognitive Neuroscience
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01.01.2010