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Wie grün waren die Nazis?  
  Dass die Umweltschutzbewegung manche Wurzeln im Nationalsozialismus hat, wird seit den 1980er Jahren diskutiert. Bis heute sorgen diese ideologischen Affinitäten nicht nur unter Historikern für Unruhe. Ein Österreich-Aspekt der Frage "Wie grün waren die Nazis?": Bereits 1940 war der Neusiedler See vom NS-Regime zum Naturschutzgebiet erklärt worden - ein halbes Jahrhundert bevor sich auch die Republik Österreich zu diesem Schritt entschloss.  
"Der größte Naturschützer" ...
"Wir sprachen von Natur- und Heimatschutz und waren uns einig, dass der geniale Führer der deutschen Technik schließlich doch der größte Naturschützer geworden ist. Ihm ist die Synthese von Natur und Technik gelungen, die ein Wunschtraum zu sein schien und heute das Wesen unserer Kultur darstellt. Deutschland ist der Garten Europas geworden."

So stand es 1941 in der deutschen Zeitschrift "Die Straße". Der Autor dieser Zeilen berichtete freilich nicht über das damalige Deutschland, sondern imaginierte das ideale Deutschland des Jahres 1966, in dem alle gewaltigen Bauvorhaben und zugleich alle Naturschutzmaßnahmen verwirklicht waren.
... mit wenig Verständnis für Natur
Adolf Hitler, der "geniale Führer der deutschen Technik", war zwar Vegetarier und Nichtraucher. Aber für den Schutz der Natur, die er in "Mein Kampf" als die "grausame Königin aller Weisheit" bezeichnete, schien er eher wenig Verständnis zu haben.

So ließ der "Narr der Technik" (Hitler über Hitler) an anderer Stelle verlauten, dass "kein Quadratmeter deutschen Bodens unbebaut bleiben" sollte. Im kleinen Kreis indes zeigte er immerhin Sympathie für die dezentrale Nutzung erneuerbarer Energiequellen und erging sich gelegentlich sogar in Gaia-Gedanken vom Gesamtzusammenhang der Erde.
Braune Wurzeln der Umweltschutzbewegung
Dass einige führende Braune ziemlich "grün" gewesen sein könnten, ist eine Behauptung, die seit Mitte der Achtzigerjahre zur Diskussion steht: Die britische Historikerin Anna Bramwell veröffentlichte damals ein provokantes Buch mit dem Titel "Blood and Soil.

Walther Darre and Hitler¿s 'Green Party'", in dem sie nicht nur die grünen Vorstellungen von führenden NS-Exponenten darstellte, sondern zugleich auch die braunen Wurzeln der Umweltschutzbewegung der Siebzigerjahre freilegen wollte.
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Moderne Bauern: Biologisch, dynamisch, autark
Ihre Kernthese: Walther Darre, einer der führenden Blut-und-Boden-Theoretiker des Nationalsozialismus und bis 1942 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, stehe in direkter Traditionslinie zum grünen Denken der Gegenwart. So sollten nach Darres "modernen" Vorstellungen die Bauern möglichst kleine, autarke Höfe mit biologisch-dynamischen Methoden bewirtschaften, auf Düngemittel und Insektizide verzichten und Methangas zur Energieversorgung benützen.
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Grünen-Kongress ging Verstrickungen nach
Auch wenn Bramwells Buch, das vor allem ideologische Affinitäten zwischen Darre und Rudolf Steiner aufzeigte, von Fachkollegen zum Teil heftig kritisiert wurde, führte es gleichwohl dazu, dass sich gerade in jüngster Zeit zahlreiche Historiker mit der Umweltgeschichte in der NS-Zeit zu beschäftigen begannen.

Ein Ende dieser Forschungen über personelle und ideologische Verbindungen zwischen "Braun" und "Grün" ist noch lange nicht absehbar. So fand in diesem Juli auch eine große internationale Konferenz zum irritierenden Themenkreis statt, die vom deutschen Bundesumweltminister Jürgen Trittin persönlich eröffnet wurde.

Und zwar mit einer Rede, in der der Grün-Politiker die Notwendigkeit betonte, "die Verstrickung des Naturschutzes und seiner Akteure in das nationalsozialistische System, in seine Ideologie und auch in seine Verbrechen aufzuarbeiten".
"Epochales" Reichsnaturschutzgesetz von 1935
Welche Rolle spielte der Naturschutz im NS-Staat aber tatsächlich? Weitgehende Übereinstimmung unter den Umwelthistorikern gibt es darüber, dass sich in den ersten Jahren des NS-Regimes zumindest auf gesetzlicher Ebene einiges zugunsten des Natur- und Tierschutzes tat.

Durch die Zentralisierung zum "Führerstaat" kam es zur Erstellung von Gesetzen, die zum ersten Mal in der deutschen Geschichte den Schutz der Natur reichsweit regelten. Dazu gehörte neben dem Reichstierschutzgesetz aus dem Jahr 1933 vor allem das von Fachhistorikern als "epochal" bezeichnete Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahr 1935, das Regelungen aus der Weimarer Zeit aufgriff.

Es enthielt so wenig NS-Jargon, dass es in Deutschland nahezu unverändert bis zum Jahr 1976 und auch in Österreich - wo es im Jahr 1939 in Kraft trat - zum Teil bis in die Sechziger- und Siebzigerjahre hinein galt.
Schutz von Natur und Kulturlandschaften
Das Reichsnaturschutzgesetz kam nicht zuletzt auf Betreiben des damaligen Reichsforstmeisters Hermann Göring zustande, der sich kurz zuvor den Naturschutz zusammen mit der Denkmalpflege - die in die Kompetenz des Kultusministeriums gefallen war - seinem eigenen Machtbereich einverleibt hatte.

Entsprechend umfasste das Gesetz nicht nur den Schutz von Pflanzen, Tieren und "Naturdenkmälern", sondern auch der von Menschen geschaffenen Kulturlandschaften. Fortan wurde verlangt, dass an sämtlichen landschaftsverändernden Planungen auch der Naturschutz beteiligt wird.
Gemeinnutz oder Jagdleidenschaft Görings?
Schließlich sah das Gesetz gemäß dem NS-Motto "Gemeinnutz vor Eigennutz" die Möglichkeit vor, Grundstücksbesitzer zur Durchsetzung von Naturschutzinteressen entschädigungslos zu enteignen - der einzige Passus, der nach 1945 umgehend entfernt wurde.

Auch daran war wohl vor allem Göring beteiligt, der in den zahlreichen neu eingerichteten Naturschutzgebieten seiner Jagdleidenschaft frönen wollte, so wohl auch im 1940 kurzfristig eingerichteten Nationalpark Neusiedler See.
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NS-Naturschutzgebiet Neusiedler See
Erste konkrete Ideen zur Errichtung eines Nationalparks am Neusiedler See bestanden nachweislich seit 1935. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 wurden die Naturschutzbestrebungen vor allem von Wissenschaftlern wie Otto Koenig und vom Ethnologen Hugo A. Bernatzik (1897-1953) getragen. Am 30. Mai 1940 trat gegen den Willen der Bauernschaft des Seewinkels die Verordnung des Reichsstatthalters zur Errichtung von Naturschutzgebieten in Kraft. Bernatzik hielt in seinem Buch "Vogelparadies" 1941 fest: "Auf Einschreiten des Reichsmarschalls Göring, dem ich Bilder aus den Kolonien am Neusiedler See vorlegen lassen konnte, wurde ein großzügiges Naturschutzgebiet gegründet."

Die ökologischen Bemühungen wurden allerdings bald darauf von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges überrollt: Das Gebiet wurde als "Artillerieübungsplatz und Bombenabwurfgelände" genutzt. Unmittelbar nach dem Krieg gab es Versuche, an die Bestrebungen vor 1945 anzuschließen. Doch es sollte noch ein halbes Jahrhundert dauern, ehe der Nationalpark 1993 Wirklichkeit wurde.
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Naturschutz hinter anderen Zielen
Bleibt die Frage, wie sich das Gesetz tatsächlich auswirkte: Zumindest für die Kriegsjahre ist es nach den bisherigen Forschungen offensichtlich, dass der Naturschutz hinter den Bedürfnissen der Wehrmacht, der Siedlungsflächenbeschaffung oder der Energiewirtschaft hat zurückstehen müssen.
Fatale Verbindungen von Kriegszielen ...
Auch wenn kaum ein Zweifel daran besteht, dass während der NS-Zeit und insbesondere nach dem Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 Natur und Umwelt in erheblichem Maße belastet wurden, so ist damit nur wenig über die ursprünglichen Motive und Zielsetzungen ausgesagt.

Und insbesondere im Zusammenhang mit dem "Generalplan Ost", an dem ab Oktober 1939 gearbeitet wurde, gingen kriegerische Expansion, Rassismus, ökologische Überlegungen sowie der Natur- und Heimatschutz fatale Verbindungen ein.
... Naturschützern und Landschaftsplanern
Der "Generalplan" bestand aus einer ganzen Abfolge von Plänen für die eroberten Länder im Osten und umfasste Maßnahmen der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik ebenso wie die Gestaltung der neuen Siedlungsgebiete und Entwürfe für die Nachkriegszeit.

Und spätestens im Rahmen des "Generalplans" kam es bei etlichen Landschaftsplanern zu einer "eindeutigen Kumpanei mit den NS-Verbrechen", wie Joachim Radkau klarstellt, der den Fachkongress im Juli mitveranstaltete.
Riesige Garten- und Parklandschaft im Osten
War die Bevölkerung der Ostgebiete erst einmal vertrieben oder vernichtet und der Krieg gewonnen, sollte eine riesige Garten- und Parklandschaft entstehen. Bei deren Umsetzung sollten - gemäß der "Allgemeinen Anordnung über die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten vom 21. Dezember 1942" - neueste Erkenntnisse der Ökologie, Raumplanung, Biologie und der Pflanzenkunde berücksichtigt werden.

Durch eine "besonders sorgfältige Landschaftsgestaltung" sollten die eroberten Ostgebiete ein der deutschen Wesensart entsprechendes "Gepräge erhalten, damit der germanisch-deutsche Mensch sich heimisch fühlt, dort sesshaft wird und bereit ist, diese seine neue Heimat zu lieben und zu verteidigen."

Klaus Taschwer, heureka
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u.v.m.
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01.01.2010