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Kaffeegenuss und Bluthochdruck: Freispruch für Koffein?  
  Schweizer Mediziner haben herausgefunden, dass der Zusammenhang zwischen erhöhtem Blutdruck und Kaffeegenuss zu Unrecht dem Inhaltsstoff Koffein angelastet wird. Eine vergleichende Studie hat demnach ergeben, dass auch koffeinfreier Kaffee zur Blutdrucksteigerung führt.  
Das berichtet Robert Corti vom Universitätsspital Zürich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Circulation" (Band 106: S. 2.935-40), einem Publikationsorgan der "American Heart Association". Die Ergebnisse revidieren die bisherige Annahme, dass Kaffeekonsum ein genereller Risikofaktor für Hypertonie sei.
->   Circulation
Kaffeekultur: Nordsüdgefälle?
Kaffeepuristen meinen, dass in puncto europäischer Kaffeequalität ein gewisses Nordsüdgefälle vorherrsche: Während etwa in Nordeuropa Filterkaffee dominiere, dessen Farbgebung mitunter verdächtig an jene des Schwarztees erinnert, könne man nur in Italien jenen Kaffe genießen, der diesen Namen eigentlich verdient.

Ob als ultrakurzer Espresso - "Ristretto" genannt - oder als milde Variante mit Milchhaube - "Latte Macchiato" -, südlich des Apennin sind die Rezepturen der Hohenpriester der Kaffeekunst so raffiniert, dass der simple Konsum zum Konzert der Geschmacksknospen veredelt wird.
Ungesunder Kaffeegenuss
Ob Österreich im Rahmen dieser gestrengen Unterscheidung nun als Entwicklungsland oder als Mekka der Kaffeekultur einzustufen ist, bleibt wohl eine Frage des Geschmacks oder des lukullischen Patriotismus (oder von beidem).

Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass die Ärzte (gleich Nord wie Süd) gegenüber solchen Alltagshedonismen als Spielverderber auftreten. Denn aus medizinischer Perspektive gilt Kaffeekonsum als klarer Risikofaktor für Bluthochdruck.

Den Übeltäter schien man bereits ausgemacht zu haben: Das Koffein, so die bisher einhellige Meinung, sei schuld an den negativen Wirkungen des Kaffeegenusses.
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Koffein
Der Wirkstoff Koffein hört im Rahmen der chemischen Nomenklatur auf den exotischen Namen "1,3,7-Trimethylxanthin". Koffein gehört zur Stoffklasse der Alkaloide und kommt u.a. in Kaffeebohnen (1-1,5 Prozent), im getrockneten schwarzen Tee (0,9-4,5 Prozent) sowie in getrockneten Kaffeeblättern (0,5-1 Prozent) und Kolanüssen (1,4 Prozent) vor. Koffein wirkt auf verschiedene Organsysteme wie Großhirn, Atemzentrum, Nieren und Kreislauf anregend.
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Koffeinfrei = unbedenklich?
Es liegt nahe, dass koffeinfreier Kaffee als die medizinisch unbedenkliche Variante des Bohnengetränks galt. Bisher nahm man an, dass zumindest dieser Genuss ohne Reue ermögliche. Stimmt nicht, meint der Kardiologe Robert Corti vom Universitätsspital Zürich.

Nach seinen Untersuchungen ist die Sachlage viel weniger einfach, als bisher angenommen: Nicht das Koffein ist Schuld am Ansteigen des Blutdrucks, sondern andere, bisher unbekannte Inhaltsstoffe des Kaffees - und die finden sich zudem auch in der koffeinfreien Version.
Die untersuchten Parameter
Corti und seine Mitarbeiter untersuchten im Rahmen ihrer Studie 15 Probanden, von denen neun an regelmäßigen Kaffeekonsum gewöhnt waren, während die anderen nur gelegentlich zur Kaffeetasse gegriffen hatten bzw. abstinent waren.

Geprüft wurden drei Parameter: Blutdruck, Herzfrequenz und die Aktivität des sympathischen vegetativen Nervensystems (MSA-Wert). Die Forscher untersuchten die Wirkung eines dreifachen Espressos sowie jene seines entkoffeinierten Gegenstücks und kontrollierten die Ergebnisse durch die Injektion einer entsprechenden Menge an reinem Koffein und die Durchführung von Placebo-Experimenten.
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Das vegetative Nervensystem
Das vegetative oder autonome Nervensystem setzt sich aus zwei antagonistischen Teilsystemen, dem sympathischen und dem parasympathischen System, zusammen und steuert die vom Willen weitgehend unabhängigen lebenswichtigen Funktionen wie Wärmehaushalt, Blutdruck, Atmung, Herztätigkeit u. a. Diese Funktionen werden vom sympathischen System aktiviert. Das parasympathische System wirkt hingegen durch seine dämpfende Wirkung auf die genannten Funktionen als Gegenspieler des sympathischen Systems.
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Koffeinfreier Espresso erhöht Blutdruck
Die abstinenten Probanden wiesen eine Stunde nach Konsum des Espressos eine Erhöhung des (systolischen) Blutdrucks um zwölf Millimeter Quecksilbersäule auf, während bei Kaffeetrinkern kein Effekt nachgewiesen werden konnte. Überraschenderweise zeigten die abstinenten Testpersonen aber auch nach Konsum eines koffeinfreien Espressos einen Blutdruckanstieg.
Toleranz hängt nicht vom Koffein ab
Corti und Mitarbeiter interpretieren die Resultate wie folgt: Die Stabilität des Blutdrucks in der Gruppe der Kaffee-Konsumenten sei das Ergebnis einer Toleranzbildung. Diese sei allerdings nicht auf die Gewöhnung an Koffein zurückzuführen, so die Forscher weiter.

Ihr Argument: Die Aktivierung des Nervensystems habe sich nach einer Koffein-Injektion sowohl bei abstinenten Probanden wie auch bei gewohnheitsmäßigen Kaffeetrinkern nachweisen lassen.

Zudem hätten Letztere diesen Effekt sogar nach dem Espressokonsum gezeigt. Daher könne der beobachtete Toleranzeffekt bezüglich des Blutdrucks nicht direkt mit dem Koffein zusammenhängen.
Kaffee: Schlecht fürs Herz
Studienautor Corti schließt daraus: "Bisherige epidemologische Studien wiesen darauf hin, dass Kaffeekonsum gewisse kardiovaskuläre Krankheiten fördert. Unsere Studie ist ein starker Hinweis darauf, dass diese Effekte auf andere Stoffe als auf Koffein zurückzuführen sind."
Was, wenn nicht Koffein?
Welche Substanzen nun für die epidemologischen Zusammenhänge verantwortlich sind, kann zurzeit nicht beantwortet werden. Hier muss man sich, so Corti, in Bescheidenheit üben: "Diese Ergebnisse zeigen, dass wir noch sehr wenig über eines der beliebtesten Getränke und das weltweit am häufigsten konsumierte Aufputschmittel wissen."
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01.01.2010