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Gentech-Kennzeichnung: Was heißt das für Verbraucher?  
  Der Fachministerrat der EU hat sich am Donnerstag in Brüssel geeinigt: Ab einem Anteil von 0,9 Prozent an gentechnisch veränderten Organismen - kurz GVO - sollen Nahrungsmittel in den Regalen der Supermärkte zukünftig speziell gekennzeichnet werden. Das ist allerdings noch nicht der letzte Schritt im rechtlichen Procedere um die Verabschiedung der "Kennzeichnungs-Verordnung" - und was bedeutet diese Kennzeichnung für die Verbraucher?  
Die Intention ist aus Verbrauchersicht äußerst begrüßenswert: Konsumenten in den EU-Mitgliedstaaten sollen zukünftig durch einen Blick auf das Etikett unterscheiden können, ob es sich um "gentechnikfreie" oder gentechnisch veränderte Produkte handelt.

Grundlage hierfür wäre die noch endgültig zu verabschiedende Verordnung zur Kennzeichnungspflicht von "Gentech-Lebensmitteln".
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Fachministerrat einigt sich auf Grenzwert: 0,9 Prozent
Einen weiteren Schritt in Richtung gültiges EU-Recht hat diese Kennzeichnungs-Verordnung für so genannte GVO-Lebensmittel nun am Donnerstag getan: Der Fachministerrat der EU hat nach monatelangem Ringen eine Einigung beim Kennzeichnungs-Grenzwert erzielt: Demnach müssten alle in den Supermarktregalen stehenden Lebensmittel ein GVO-Etikett tragen, wenn sie zu mindestens 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bestehen.
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Kennzeichnungs-Verordnung: Einer von vielen Rechtsakten
Noch ist die Verordnung einer von vielen "Rechtsakten", die behandelt werden - und das Procedere auf rechtlicher Ebene ist äußerst komplex: Im Unterschied zu einer Richtlinie gilt eine Verordnung allerdings - sobald sie denn endgültig in Kraft tritt - ohne weitere parlamentarische Behandlungen in allen EU-Staaten.

Wie Alois Haslinger vom Wissenschaftsministerium, Experte für rechtliche Fragen aus dem Bereich der Gentechnik, gegenüber science.ORF.at erläutert, tritt eine Verordnung etwa sechs Monate nach Veröffentlichung im so genannten "Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften" offiziell in Kraft.

Vor ihrer dortigen Publikation muss die Kennzeichnungs-Verordnung jedoch von zwei Instanzen - dem Parlament sowie dem jeweiligen Fachministerrat - angenommen werden, wie Haslinger weiter erklärt. Der ursprüngliche Entwurf komme von der EU-Kommission.
Nachverhandlungen unwahrscheinlich
Die Kennzeichnungs-Verordnung für Gentech-Lebensmittel hat das Schlimmste mittlerweile hinter sich - nachdem sich nun die Minister auf den Kompromis 0,9 Prozent einigen konnten, geht der Entwurf in zweiter Lesung zurück ans Parlament.

Mitunter könne es dann noch zu sehr intensiven Nachverhandlungen kommen, so der Experte vom Wissenschaftsministerium. Dies gilt allerdings bei der Kennzeichnungs-Verordnung als eher unwahrscheinlich, nach der Abstimmung im Parlament käme dann die Veröffentlichung im Amtsblatt.

Nur wenn überhaupt keine Einigung erzielt werden könne, dann gehe das gesamte Procedere von vorne los, erklärt Haslinger - angefangen bei einem Vorschlag durch die EU-Kommission.
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Kennzeichnungspflicht als Schlüsselentscheidung
Nach Einschätzung des Experten vom Wissenschaftsministerium gilt der Verordnungsentwurf über die Kennzeichnungspflicht vor allem auch als Schlüsselentscheidung für weitere so genannte Rechtsakte, die derzeit in Behandlung sind. Wie er meint, werden die nun vereinbarten Grenzwerte wohl auch als "Muster" für weitere Verordnungen oder Richtlinien im Bereich der Gentechnik übernommen werden.
->   bm:bwk - Übersicht zu rechtlichen Fragen im Bereich Gentechnik
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0,0 Prozent als Grenzwert sind nicht machbar
Für den Verbraucher mag auf den ersten Blick allerdings uneinsichtig erscheinen, warum - wenn es schon eine Kennzeichnungspflicht für "Gentech-Lebensmittel" gibt - diese nicht gleich auf den Wert "alles über 0,0 Prozent" festgelegt wird.

Dieser "0-Prozent-Grenzwert" sei ursprünglich tatsächlich von einigen angestrebt worden, erklärt Karl Kuchler, Molekularbiologe und einer der Gründer sowie derzeitig geschäftsführender Vorstand der österreichischen Informationsstelle "Dialog Gentechnik", gegenüber science.ORF.at.

Das habe sich aber als schlicht unrealistisch herausgestellt, so Kuchler und erläutert dies am Beispiel der Nutzpflanze Soja: Weltweit seien bereits 60 bis 65 Prozent der Produktion transgene Sojapflanzen - es gebe aber keine getrennten Waren- und Verarbeitungsströme, Kontaminationen seien daher unvermeidbar.
Verunreinigungen lassen sich nicht vermeiden
In anderen Worten: Gentechnisch verändertes Soja wird beispielsweise von den gleichen Betrieben weiterverarbeitet wie nicht veränderte Sojapflanzen - doch auch wenn diese Betriebe ihre Maschinen reinigen, lassen sich Verunreinigungen nicht vermeiden.

Ein weiteres Beispiel, das der Molekularbiologe nennt: Die weltweite Baumwoll-Produktion besteht bereits zu 70 Prozent aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Auch hier lassen sich Anbau und Verarbeitung nicht 100-prozentig trennen.
0,9 Prozent als "eine pragmatische Lösung"
Die nun vereinbarten 0,9 Prozent hält Kuchler für eine "pragmatische Lösung": Demnach haben Studien gezeigt, dass ein Grenzwert von 0,9 Prozent machbar sein sollte - unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen bei Anbau und Verarbeitung können also für Lebensmittel ohne GVO Werte unter 0,9 Prozent erreicht werden.
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Wie werden GVOs nachgewiesen?
Für den Nachweis von genetisch modifizierten Organismen gibt es mehrere Methoden: Am gängigsten ist es, gezielt nach der DNA von transgenen Pflanzen zu suchen - dabei müssen die Experten allerdings bereits wissen, wonach sie suchen. Wie der Molekularbiologe Karl Kuchler erklärt, kennen die Experten jedoch beispielsweise die transgenen Soja-, Mais- oder Rapssorten und auch deren Erbsubstanz, die sie dann aufzuspüren versuchen. Je nach dem Grad der Kontamination sei diese DNA dann relativ leicht nachweisbar.
->   Ausführliche Informationen über den Nachweis von GVO
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Beispiel Gen-Soja: Betrifft fast jedes Lebensmittel
Auch wenn die Kennzeichnungspflicht frühestens in einigen Monaten in Kraft treten wird, die Nahrungsmittel, um deren Etikettierung es geht, befinden sich natürlich schon heute in den Regalen der österreichischen Supermärkte. Genaue Zahlen zu nennen ist schwierig, doch erneut ist Soja ein gutes Beispiel:

Wie Experte Karl Kuchler erklärt, ist Soja das weltweit am meisten verwendete Lebensmittel - Bestandteile der Pflanze finden sich etwa in Margarinen, Öl, Brot und Schokolade.

Da aber, wie bereits erklärt, etwa 60 bis 65 Prozent der weltweiten Produktion mittlerweile aus transgenem Soja bestehen, befinden sich Spuren davon in sehr vielen Nahrungsmitteln.
Kennzeichnung für mehr Transparenz
Für Kuchler ist die Kennzeichnung vor allem eine Möglichkeit, bislang nicht vorhandene Transparenz für den Verbraucher zu schaffen. Die Öffentlichkeit sei in vielen Bereichen zu schlecht informiert - das erzeuge Ängste, die ernst zu nehmen seien und denen eine Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln entgegenwirken könne.
Eine völlige Umkehr ist unwahrscheinlich
Tatsächlich wollen laut Umfragen der Umweltorganisation Greenpeace 70 Prozent der Europäer keine Gentechnik in ihrem Essen - die genannten Zahlen lassen eine Abkehr von gentechnisch veränderten Organismen allerdings mehr als unwahrscheinlich erscheinen.

Ebenso sprachen sich laut Greenpeace 94 Prozent der Befragten für eine Kennzeichnung von Gen-Nahrungsmitteln aus. Zumindest dies dürfte sich in absehbarer Zeit machen lassen, sofern das Parlament die Verordnung annimmt - dann kann ein jeder beim Einkaufen selbst entscheiden.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Dialog Gentechnik: Informationsstelle zur Gentechnik
->   Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
->   Gentechnikinformation (Ministerium für soziale Sicherheit und Generationen)
->   www.genfood.at
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01.01.2010