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Krebs heilen durch "positives Denken"?  
  Carl Simonton zählt zu den Pionieren der Psychoonkologie. Seit über 20 Jahren arbeitet er mit Krebspatienten, die ihren Genesungsprozess aktiv unterstützen wollen. Ziel seiner Trainingsmethode ist es, die Selbstheilungskräfte zu stärken und die Lebensqualität zu erhöhen. Am vergangenen Wochenende hat Carl Simonton erstmals einen Workshop in Wien geleitet. Während er auf die Kraft des positiven Denkens setzt, zeigen sich viele seiner Fachkollegen skeptisch.  
Streit der Fachwelt
Seit mehr als 25 Jahren sorgen diese Ansätze für Auseinandersetzungen zwischen Schulmedizinern, Anhängern dieser (und ähnlicher) Methoden und Patienten.

Dass eine positive Einstellung zu sich selbst und zur Krankheit verbunden mit dem Prinzip Hoffnung die Lebensqualität von Schwerkranken erhöht, bestreitet niemand.

Im Hintergrund geht es aber auch um die Hoffnung auf Heilung der Krebserkrankung. Während die Anhänger von Entspannungs-, Visualisierungstechniken etc. davon ausgehen, dass diese Bemühungen in einem beträchtlichen Prozentsatz die Überlebensdauer erhöhen oder auch zu wundersamen Heilungserfolgen führen können, meinen Kritiker, dass dies leider nicht der Fall ist.
Grundlagen der Simonton-Methode
Carl Simonton im ORF-Radio: "Meine Methode hat Ihren Platz neben der besten medizinischen, vom Patienten erwünschten Betreuung und nicht stattdessen. Sie soll Krebspatienten helfen, sagen zu können: 'Ich will leben, aber ich bin auch bereit zu sterben.'"

1990 hat Simonton sein standardisiertes Modell für die Behandlung von Krebspatienten vorgestellt.
Die wesentlichen Prinzipien: "Die Natur ist freundlich" ...
Erstens: Simonton geht von der Annahme aus, dass Menschen von Natur aus gesund sind. Daher geht es seiner Methode vorrangig um die Annäherung an die eigene Natur, vor der er annimmt, dass sie freundlich ist.

Zweitens: Wie können die körpereigenen Kräfte zur Gesundung am effektivsten angeregt werden? Simonton rät, sich auf jene Dinge zu konzentrieren, die die tiefste Bedeutung im Leben haben. Also jene Dinge, die am stärksten Glück und tiefe Erfüllung in sich bergen.
... "Hoffnung regiert"
Drittens: Emotionaler Stress wird effektiv aufgelöst, also es wird versucht, Gefühlen wie Schuld, Angst, Zorn, Hoffnungslosigkeit ihre Zerstörungskraft zu nehmen. Gleichzeitig soll die Aufmerksamkeit dafür geschärft werden, wie Einstellungen Gefühle beeinflussen und wie Gefühle das körperliche Selbstheilungssystem in Richtung Gesundheit oder auch Krankheit treiben können.

Viertens: Die Verwendung von Visualisierungstechniken im Gesundungsprozess. Hauptprinzip ist dabei, sich den gewünschten Erfolg vorzustellen.

Fünftens: Das Prinzip Hoffnung und dessen Wert in einem Heilungsprozess wird jeweils individuell definiert. Hoffnung soll Hoffnungslosigkeit ersetzen.
->   Mehr zur Simonton Methode
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Die fünf Fragen des Verhaltenstherapeuten Maultsby
Ein wichtiges Instrument, um es Menschen zu ermöglichen, gesundheitsfördernde Einstellungen und Gedanken von negativen zu unterscheiden, sind die fünf Fragen, die von dem Verhaltenstherapeuten Maxie Maultsby entwickelten wurden:

Basiert diese Überzeugung auf Tatsachen?
Schützt sie mein Leben und meine Gesundheit?
Hilft sie mir, meine Kurzzeit- und meine Langzeit-Ziele zu verwirklichen?
Hilft sie mir, meine unerwünschten Konflikte zu vermeiden?
Hilft sie mir, mich so zu fühlen, wie ich mich fühlen möchte?

Der Patient soll ständig einen Zettel mit diesen Fragen bei sich tragen, bis sie fester Bestandteil seines Denkens geworden sind. Wenn er zu einem bestimmten Thema mindestens dreimal mit ja antworten kann, ist es "genehmigt".
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Heilungserfolge durch die Simonton Methode?
Nach Auskunft von Carl Simonton hat ungefähr jeder fünfte Krebspatient, mit dem er arbeitet, "ungewöhnlich lange Überlebensaussichten".

In etwa jedem 20. Fall geschehen Dinge, die "man als fast 'wundersam' bezeichnen könnte", die also "nicht durch die medizinische Behandlung alleine erklärt werden können".
"Wunderheilungen" aus naturwissenschaftlicher Sicht
Heinz Ludwig, Vorstand der ersten Medizinischen Abeilung mit Onkologie am Wilhelminenspital Wien, ist aufgrund seiner Erfahrungen wesentlich weniger optimistisch als Carl Simonton.

Gegenüber dem ORF-Radio sprach er von "genauso vielen Studien, die seine Annahmen stützen, wie solchen, die das Gegenteil aussagen". Der schlüssige Wirknachweis der Simonton-Methode steht nach Ansicht von Ludwig noch aus.

Die "Wunderheilungen" aus naturwissenschaftlicher Sicht: "Bei einigen wenigen Krebsarten wie z.B. dem Neuroblastom (maligne Erkrankung des sympathischen Nervensystems) im Kindesalter und gelegentlich beim Melanom sind Spontanheilungen bekannt. Dies geschieht aber nach unseren Erfahrungen nur in einem von 500.000 Fällen", so Ludwig.
Häufige Fehler beim Gespräch Arzt-Patient
Heinz Ludwig hält das erste Gespräch, in dem ein Arzt dem Patienten die Diagnose Krebs mitteilt, für enorm wichtig. Dabei werden aber noch immer zum Teil schwere Fehler gemacht.

"Ein Kardinalfehler ist, wenn ein Arzt bei diesem Gespräch dem Patienten mitteilt, dass dieser wahrscheinlich noch ein halbes Jahr zu leben hätte, also das Sterbedatum bestimmt. Das ist meiner Meinung nach ein Kunstfehler! Denn ich behandle immer wieder Patienten, die ungewöhnliche Krankheitsverläufe aufweisen: Manche Menschen leben mit einem Lungenkrebs, der statistisch nach wenigen Monaten zum Tode führt, durchaus viele Jahre. Daher: Es gibt immer auch das Fenster der Hoffnung. Ganz wenige Menschen mit einem meist tödlichen Krebs werden auch geheilt," so Ludwig gegenüber dem ORF-Radio.
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Britische Studie gibt Skeptikern Recht
Zu einem noch skeptischeren Schluss kam eine Metastudie, die kürzlich vom British Medical Journey (BMJ) vorgestellt wurde. Unter dem Titel "Influence of psychological coping on survival and recurrence in people with cancer: systematic review" wurden dabei 26 Studien ausgewertet, die den Zusammenhang von der Einstellung der Patienten und ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit bei Krebs untersucht hatten. Die Autoren fanden keinen Zusammenhang bei positiv denkenden Menschen - allerdings auch keine höhere Todesrate bei jenen, die sich einem gewissen Fatalismus ergeben hatten.
->   Der Original-Abstract (BMJ)
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Simonton-Hauptbotschaft
O. Carl Simonton ist naturgemäß viel optimistischer. Seine zentrale Botschaft lautet: "Achten Sie auf die Dinge, die ihnen Freude und tiefe Erfüllung bringen, und verbringen Sie mehr Zeit damit, diese Dinge zu tun, ganz egal, wie Ihr Gesundheitszustand ist."

Ebenso wichtig sei es, Menschen zu vermeiden, "die Ihnen weismachen wollen: mein Weg ist der einzig richtige und den müssen Sie gehen, wenn Sie gesund werden wollen. Vergegenwärtigen Sie sich: Der richtige Weg ist für jeden von uns ein individuell einzigartiger. Hören Sie sich jeden Ansatz und Vorschlag an und dann hören Sie auf ihr Herz und treffen Sie ihre Entscheidung mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf," erklärte Simonton dem ORF-Radio.
"Wege ins Licht"-Seminare in Wien
Der Psychoonkologe Thomas Schmitt und die Gesundheitspsychologin Sabine Standenat bieten seit fünf Jahren Simonton-Seminare an der 1. Med. Abteilung des Wilhelminenspitals in Wien an.

Laut Thomas Schmitt zeigen die Erfahrungen, dass "eine Behandlung, die nur den Körper betrifft, die Patienten nicht befriedigt. Die Diagnose 'Krebs' stellt für viele Patienten eine Wende in ihrem bisherigen Leben dar. Sie stehen vor einer Vielzahl von Entscheidungen und haben ein Bedürfnis nach Verständnis für Zusammenhänge zwischen Psyche und Körper."

Patienten, die an einer schweren Erkrankung wie Krebs leiden, hätten daher oft den Wunsch, eine Therapieform zu finden, die auch auf die Seele eingeht.

Neben der optimalen medizinischen Betreuung seien Hoffnung, Vertrauen, Zuversicht und ein neues Umgehen mit sich selbst die wichtigsten Voraussetzungen für jeden Heilungsprozess, so Schmitt gegenüber dem ORF-Radio.

Christoph Leprich, Ö1-Radiodoktor
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Mehr zum Thema "Heilsamer Umgang mit Krebs?" im Ö1-Radiodoktor, Montag, 2.12.2002 um 14.05 Uhr.
->   Österreich1
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->   Wilhelminenspital
->   Wiener Krebshilfe
->   krebszentrum.at
->   Sabine Standenat
->   Informationszentrum für Krebspatienten
->   Mehr über Krebs in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010