News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Leben 
 
"Tierische Globalisierung" in Europas Flüssen  
  Der Bau von Kanälen, der Schiffsverkehr und das Aussetzen etwa von Fischen haben die "Globalisierung der Tierwelt" auch in Europas Flüssen vorangetrieben. Bestes Beispiel: der Rhein und seine Bewohner.  
Als blinder Passagier kam der Räuber aus dem Schwarzen Meer nach Deutschland: In etlichen Flüssen frisst der Große Höckerflohkrebs inzwischen andere Kleinlebewesen und verringert so ihren Bestand.

Erst der vor zehn Jahren eröffnete Rhein-Main-Donau- Kanal ermöglichte seine Reise über die Europäische Wasserscheide zwischen Donau und Rhein: Der Krebs setzt sich in Kühlwasserfiltern der Binnenschiffe fest.
Globalisierung durch Bau von Kanälen ...
Der Bau von Kanälen, der Schiffsverkehr und das Aussetzen oder Ansiedeln von Fischen und Krebsen haben die Globalisierung der Tierwelt in Deutschlands Flüssen vorangetrieben.

"Der Mensch hat hier für Multikulti gesorgt", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) in Koblenz, Anne Schulte-Wülwer-Leidig.

Für den verstärkten Schub in der jüngeren Vergangenheit sei vor allem der Rhein-Main-Donau-Kanal verantwortlich, der erstmals eine direkte Verbindung zwischen Nordsee und Schwarzem Meer bildete.
...
Neozoen: Invasoren im Tier- und Pflanzenreich
Die anpassungsfähigen "Neubürger", so genannte Neozoen, stammen aus Europa, Asien und Amerika. Manche gehören inzwischen zu den häufigsten Tierarten in den deutschen Flüssen. Seit dem 19. Jahrhundert breiteten sich mehrere Dutzend neue wirbellose Tierarten wie Muscheln, Schnecken und Krebse sowie gut 20 neue Fischarten aus. Allein seit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals 1992 gelangten mindestens acht Kleinlebewesen-Arten wie der Große Höckerflohkrebs und die Donauassel sowie mehrere Fischarten wie Zobel, Weißflossengründling und Marmorgrundel von der Donau in den Rhein.
...
Andere Wege anderer Einwanderer
Bild: HYDRA-Instituts fuer angewandte Hydrobiologie
Schlickkrebs (Corophium curvispinum)
Manche Einwanderer der jüngeren Vergangenheit nahmen indes auch andere weite Wege. So kam der Schlickkrebs aus dem osteuropäischen Fluss Dnjepr über die Kanäle zwischen Weichsel, Oder, Elbe und Rhein bis Ende der achtziger Jahre in den Westen Deutschlands.

In seiner neuen Heimat vermehrte er sich "explosionsartig", wie der Biologe Franz Schöll von der Koblenzer Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) berichtet.
Beispiel Körbchenmuschel: Von Ostasien bis nach Basel
Bild: HYDRA-Instituts fuer angewandte Hydrobiologie
Körbchenmuschel (Corbicula fluminea/fluminalis)
Die Körbchenmuschel aus Ostasien wiederum gelangte von 1990 bis 1995 im Rhein von der Mündung bis nach Basel. Heutzutage ist sie stellenweise die häufigste Muschelart in dem Strom.

Denn der Rhein hat sich im 20. Jahrhundert wegen des eingeleiteten Wassers der vielen Städte, Fabriken und Kraftwerke an seinen Ufern um mehrere Grad erwärmt. Kältere Flüsse wie die Oder hingegen behagen der Körbchenmuschel nicht.
...
Zuwanderungen vor mehr als 100 Jahren
Andere "Neubürger" tummeln sich schon viel länger in deutschen Gewässern. Der Amerikanische Flusskrebs zum Beispiel wurde vor rund 120 Jahren in deutschen Gewässern ausgesetzt, weil der einheimische Edelkrebs auszusterben drohte.

Auch der Zander schwimmt bereits seit etwa einem Jahrhundert im Rhein. Beide Tiere sollten die Mahlzeiten der Menschen bereichern. "Heute setzen auch oft Leute ihre Fische aus, wenn sie ihnen im Aquarium zu groß werden", erläutert Schulte- Wülwer-Leidig. Als Beispiel nennt sie den Sterlet, eine kleine Störart.
...
Einwanderungen - schwierig zu bewerten
Nach Schölls Einschätzung ist die Einwanderung und Einschleppung von Tieren in deutsche Flüsse "schwierig zu bewerten". Die möglichen Vor- und Nachteile sind in Wissenschaft und Naturschutz stark umstritten.

"Das ist ein interessantes Forschungsgebiet", sagt der Biologe. Wie auch immer: In "umweltverträglicher Weise" rückgängig machen lasse sich diese Art der Globalisierungohnehin nicht mehr. Die Kernfrage bei Neozoen lautet: Verdrängung anderer Arten oder Bereicherung der Tierwelt?
Rhein: Immer wieder neues Gleichgewicht
Nicht nur der räuberische Große Höckerflohkrebs drängt andere Tiere zurück. Auch beispielsweise der Schlickkrebs schien zeitweilig der viel früher ebenfalls eingeschleppten Dreikantmuschel im Rhein den Garaus zu machen, weil er denselben Lebensraum wie sie beansprucht.

"Ausgestorben ist aber bisher noch keine Art im Rhein. Es stellt sich immer wieder ein neues Gleichgewicht her", erklärt Schöll.

"Neozoen können aber auch eine Nahrungsgrundlage für heimische Arten sein. Das ist dann positiv zu bewerten." Als Beispiel nennt der Biologe die im 19. Jahrhundert in deutsche Flüsse eingeschleppte Wandermuschel, die am Bodensee von der Tafelente und der Reiherente gefressen wird.

(Von Jens Albes, dpa)
->   Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR)
->   Deutsche Bundesanstalt für Gewässerkunde
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Invasoren im Tier- und Pflanzenreich
->   Global-Strategie gegen fremde Tier- und Pflanzenarten
->   Artenvielfalt kontra Invasion
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010