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Poesie der Physik, Philosophie der Technik  
  Der Philosoph Ludwig Wittgenstein war Maschinenbauer, der Dichter Adalbert Stifter studierte Astronomie und der Dramatiker Heinrich Kleist beschäftigte sich mit der "ästhetischen Theorie der Bewegung". Allen drei Persönlichkeiten gemein ist die Auseinandersetzung mit den dominanten Wissenschaftsdisziplinen ihrer Zeit und der Verarbeitung in ihren Werken. Ein Forschungsteam vom Brenner-Archiv der Uni Innsbruck erstellt nun gefördert vom Wissenschaftsfonds (FWF) ein übersichtliches Panorama über Zusammenhänge zwischen Literatur, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert.  
Wittgenstein: Talentierter Techniker
Eigentlich wollte Ludwig Wittgenstein (1889-1951) Physiker werden. Immerhin: Das Talent für das Technische war bei dem österreichischen Philosophen vorhanden. Mit zehn Jahren konstruierte er eine Nähmaschine, nach seinem Maschinenbaustudium entwickelte er "Verbesserungsvorschläge für Flugzeugpropeller" - und ließ die vorliegende Planskizze sogar 1911 patentieren.

Während des Ersten Weltkriegs nutzten ihm seine Fähigkeiten als Flug- und Labortechniker. Zu guter letzte interessierte sich Wittgenstein noch für die "Physiologie von Schockwirkungen" und leistete als Techniker wesentliche Arbeit bei der Erforschung des "paradoxen Pulses".
Werkzeug-Metaphern in der Philosophie

Wittgensteins "Verbesserungsvorschläge für Flugzeugpropeller". Die Planskizzen ließ der österreichische Philosoph im Jahr 1911 sogar patentieren.
Seine technische Laufbahn spiegelt sich schließlich in seinem philosophischen Werk wider, wenn er beispielsweise das Funktionieren von Sprache mit einer Darstellung aus der Technik veranschaulicht: "Die Sprache ist eben eine Sammlung sehr verschiedener Werkzeuge. In diesem Werkzeugkasten ist ein Hammer, eine Säge, ein Maßstab, ein Winkel, ein Lot, ein Leimtopf und der Leim.

Viele der Werkzeuge sind miteinander durch Form und Gebrauch verwandt, man kann die Werkzeuge auch beiläufig in Gruppen nach ihrer Verwandtschaft einteilen aber die Grenzen dieser Gruppen werden oft, mehr oder weniger, willkürlich sein; und es gibt verschiedenerlei Verwandtschaften, die sich durchkreuzen."
->   Ludwig Wittgenstein zum 50. Todestag (29. April 2001)
->   Digitalisierung von Wittgensteins Nachlass
Technik-fasziniert: Von Musil bis Kleist
Ludwig Wittgenstein ist ein herausragendes Beispiel für jene Philosophen und Literaten des 19. und 20. Jahrhunderts, die von den naturwissenschaftlichen und technischen Leitbildern ihrer Zeit nicht nur fasziniert, sondern vor allem in ihren Werken wesentlich beeinflusst worden sind beziehungsweise sogar Teil des Alltags der Persönlichkeiten waren: Ludwig Wittgenstein und Robert Musil waren beispielsweise beide gelernte Maschinenbauer, Adalbert Stifter studierte vier Jahre lang Astronomie in Wien und Heinrich Kleist interessierte sich für die Physik von Bewegung beziehungsweise die wissenschaftlichen Konzepte von Bewegungsbildern.
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Forschungsprojekt am Brenner-Archiv
Jenen Wechselwirkungen zwischen Literatur, Philosophie und Naturwissenschaften widmet sich ein Forschungsprojekt am Brenner-Archiv der Universität Innsbruck. Unter der Leitung von Walter Methlagl analysieren die Literaturwissenschaftler Monika Seekircher und Christian-Paul Berger seit einigen Jahren anhand ausgewählter Texte die Zusammenhänge zwischen Literatur und Naturwissenschaft.
->   Brenner-Archiv, Uni Innsbruck
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"Breites Panorama an Autoren"
"Ziel unserer Arbeit ist es, ein breites Panorama an Autoren zu präsentieren, bei denen die Auseinandersetzung mit den jeweils vorherrschenden naturwissenschaftlichen Modellen und Konzepten ihrer Epoche in ihren Texten und Werken zum Ausdruck kommt", umschreibt die Herta-Firnberg-Stipendiatin Monika Seekircher das vom FWF mehrfach unterstützte Projekt.

"Mein Kollege Christian-Paul Berger - der Initiator der Forschungsarbeit - hat sich auf die Dichter des 19.Jahrhunderts also Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Kleist und Adalbert Stifter konzentriert. Ich widme mich vor allem den Vertretern des 20.Jahrhunderts wie Ludwig Wittgenstein, Robert Musil und Ernst Mach."
Kulturgeschichtlicher Ansatz
Methodisch haben sich die beiden Forscher am "kulturgeschichtlichen Ansatz" des Brenner-Archivs orientiert: "Dieser Ansatz, der großen Wert auf die genaue Erforschung (auto)biografischer Quellen legt, bietet eine optimale Ausgangslage", so Seekircher.

"Dabei beziehen wir das gesamte Umfeld der Persönlichkeiten mit ein - also auch die politische Situation, die Wirtschaftslage oder eben das wissenschaftliche Bild der jeweiligen Zeit. Das ermöglicht uns eine breite, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk des Menschen ebenso wie mit den Wechselwirkungen zwischen seinen Reflexionen und den vorherrschenden kulturellen Leitgedanken."
Übernahme von Strukturelementen
Eine erste Erkenntnis aus den Analysen: "Alle großen Literaten und Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts waren bemüht, die jeweils dominierende Technologie oder Leitwissenschaft ihrer Zeit zu beschreiben, zu bewerten bzw. in ihren Werken aufzuarbeiten", fasst Christan-Paul Berger zusammen.

"Viele übernehmen sogar Strukturelemente aus den vier wesentlichen Bereichen Natur, Kultur, Wissenschaft und Technik in ihre literarischen Texte. Daraus sind zum Teil extreme Wechselbeziehungen entstanden: von der einfachen Beschreibung und Analyse derartiger Elemente bis zur kompletten Beeinflussung von Struktur und Inhalt des Textes."
Wissenschaftliche Karriere von Goethe ...
Christian-Paul Berger widmet sich derzeit dem Natur- und Wissenschaftsverständnis eines Dichters, der für seine gleichzeitige wissenschaftliche Karriere bekannt ist: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).

Der deutsche Dichter und Universalgelehrte hat nicht nur etliche Zeitgenossen wie Heinrich Kleist oder Adalbert Stifter mit seinen wissenschaftlichen Thesen und Analysen beeinflusst, sondern seine Gedanken auch in seinen Werken wie beispielsweise im Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" verarbeitet.
... in neuem Buch untersucht
"Unter anderem hat sich Goethe auch mit einem neuen Ansatz der Morphologie beschäftigt und ein neues Gesetz der Gestalt gefunden, das sich an den Prinzipien der Entfaltung, Entwicklung und Bewegung orientiert", so Berger. "Damit hat er das ästhetische Bewegungsbild des 19.Jahrhunderts maßgeblich geprägt."

Der Literaturwissenschaftler arbeitet derzeit gemeinsam mit dem bekannten deutschen "Chaosforscher" Friedrich Cramer an einem Buch über die "Strukturdynamik: Goethes Natur und die Auswirkungen auf die Zeit des 19. Jahrhunderts."

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
 
 
 
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01.01.2010