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ORF ON Science :  News :  Leben .  Umwelt und Klima 
 
Kontroverse Theorie zur Entstehung von Leben  
  Bislang gibt es zwar Hunderte von Theorien zur Entstehung des Lebens auf der Erde - die meisten jedoch haben einen Ansatz miteinander gemein: Sie gehen zunächst von "Lebensbausteinen" aus, erst dann haben sich Zellen entwickelt. Diesen Ansatz stellt eine kontroversielle neue Theorie nun auf den Kopf. Demnach ist zunächst die Zelle entstanden, erst dann kamen die Bausteine des Lebens. Ursprungsort sollen - vor Milliarden von Jahren - heiße Quellen am Meeresboden gewesen sein.  
William Martin von der Universität Düsseldorf und sein Kollege Michael Russel vom schottischen Environmental Research Centre in Glasgow gehen dabei von einer Art anorganischer "Brutkästen" aus, die sie einem Artikel in den "Philosophical Transactions of the Royal Society of London" beschreiben.
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"On the origins of cells: a hypothesis for the evolutionary ..."
Der Artikel "On the origins of cells: a hypothesis for the evolutionary transitions from abiotic geochemistry to chemoautotrophic prokaryotes, and from prokaryotes to nucleated cells" von William Martin und Michael Russell erscheint in den "Philosophical Transactions of the Royal Society of London - Biological Sciences".
->   The Royal Society of London
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Von der anorganischen Zelle zum Lebensbaustein
Wie die beiden Wissenschaftler in ihrer Arbeit ausführen, könnten Lebensformen in anorganischen Kammern entstanden sein. In anderen Worten: Erst entstand die Zelle, dann hat sich Leben entwickelt - eine völlige Umkehrung der zahlreichen und bislang gängigen Theorien zu dieser Fragestellung.

Die ersten "Zellen" waren demnach anorganische Gebilde - entstanden aus Eisensulfid am Meeresgrund. Heiße Quellen - so genannte hydrothermale Quellen - hinterlassen auch heute noch dieses Mineral am Boden der Ozeane.

Nach Ansicht von Martin und Russel hätten winzige Kompartimente oder Abteilungen im Inneren dieser Ablagerungen - mit einem Durchmesser von nur wenigen Hundertstel eines Millimeters - den idealen Ort für die Bildung primitiven Lebens dargestellt.
Hydrothermal-Systeme am Meeresboden
Hydrothermalquellen - heiße, schwefelwasserstoffreiche Quellen des Meeresbodens in mehreren tausend Metern Tiefe - wurden erstmals 1977 entdeckt und überraschten die Wissenschaft als einzigartiges Ökosystem, das vollkommen ohne Licht auskommt.

Die Quellen entstehen, wenn Seewasser in die Kruste des Meeresbodens eindringt, erhitzt wird, mit dem Krustengestein reagiert und wieder zum Meeresboden aufsteigt. Dabei werden dem Meereswasser verschiedene neue chemische Elemente zugeführt, etwa Helium, Eisen und Mangan.
->   Mehr Informationen zur "Hydrothermal Vent Geochemistry"
Eisensulfid-Zellen als perfekte Mikroumgebung
Wie Michael Russel erklärt, seien solche Hydrothermalquellen sehr reich an Bestandteilen wie etwa Wasserstoff, Zyanid, Schwefelwasserstoff und Kohlenmonoxid. Die Flüssigkeit hat dann - so die neue Theorie - in den winzigen Kammern reagiert, die die geeignete Mikroumgebung für chemische Reaktionen boten.

Die Konzentration auf die Kammern habe jedoch bewirkt, dass die entstehenden Lebensbausteine tatsächlich dort verblieben seien - statt in den Ozean zu diffundieren. In den Eisensulfid-Zellen habe also das Leben begonnen.
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Gängige Theorien zur Entstehung von Leben
Theorien zur Entstehung von Leben gibt es Hunderte. Seit den 1930ern gilt allerdings zumindest als gesichert, dass chemische Reaktionen zunächst die Bausteine des Lebens produziert haben - in anderen Worten: Zuerst entstanden Zuckermoleküle und Aminosäuren, später Nukleinsäuren und Proteine - und erst dann entwickelten sich erste Zellen. Und auch Theorien, denen zufolge die ersten Lebensbausteine aus dem All auf die Erde gelangten, gehen dabei etwa von präbiotischen Molekülen aus, die sich unter den auf der Erde herrschenden Bedingungen weiterentwickelten.
->   Ausführliche Informationen zur Entstehung des Lebens
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Bakterien und Archaebakterien als Beweis
Das frühe Leben entkam dem Gestein erst nach der Entwicklung von Zellmembranen, argumentieren Martin und Russel weiter. Als einen Beweis für ihre Theorie ziehen sie zwei Klassen "primitiven Lebens" heran: Bakterien und Archaebakterien.

Diese Organismen - im Wesentlichen Einzeller - weisen laut Martin und Russel so verschiedene Zellmembranen auf, dass sich die Unterschiede nur durch die getrennte Entstehung erklären lassen.
Kritiker verweisen auf genetische Verwandtschaft
"Nature Science Update" zitiert dagegen den Evolutionsbiologen Thomas Cavalier-Smith von der University of Oxford, der auf die genetische Ähnlichkeit von Bakterien und Archaebakterien verweist sowie auf bestimmte gemeinsame Mechanismen.

Doch auch dieses Argument ist für die beiden Wissenschaftler nicht unwiderlegbar: Sie verweisen auf die Tendenz zum Gentransfer von nicht miteinander verwandten Bakterien. Dies mache die DNA zu einem schlechten Führer durch die Geschichte.
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Leben auf anderen Planeten des Universums?
Nicht zuletzt soll auch diese neue Theorie einmal mehr neue Hinweise für die Suche nach außerirdischem Leben ermöglichen - denn es lassen sich daraus auch Rückschlüsse auf die Entstehung von Leben auf fernen Planeten ziehen.

Denn nach der Hypothese von Martin und Russel ist Leben eine chemische Konsequenz aus heißen Strömungen durch die Kruste des Planeten Erde - und im Prinzip könnte dies schließlich auf jedem nassen und steinigen Planeten geschehen.
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Eine Theorie, deckungsgleich mit allen Belegen?
Beide Arten - Bakterien und Archaebakterien - sind nach Martin und Russel vor etwa 3,8 Milliarden Jahren aus ihrem "Brutkasten" gekommen - der älteste unumstrittene Fossilien-Nachweis für bakterielles Leben ist allerdings nur etwa 2,5 Milliarden Jahre alt - als kontrovers gilt ein auf 3,5 Milliarden Jahre datierter Fund.

Die Frage könnte aber letztlich auch lauten, ob sich überhaupt eine Theorie zur Entstehung von Leben finden lässt, die mit allen Hinweisen und Belegen zusammenpasst.

Der Trick sei es, sich genau herauszusuchen, was man ignoriert, kommentiert John Raven von der Universtiy of Dundee laut "Nature Science Update": "Um eine kohärente Hypothese zu schaffen, müssen wir sagen 'diese Informationen passen nicht, aber wir machten trotzdem weiter'."
->   Universität Düsseldorf Institut für physiologische Pflanzenphysiologie
->   Scottish Environmental Research Centre
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Neue Hinweise: Ursprung des Lebens liegt im All
 
 
 
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01.01.2010