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Schizophrenie: Benachteiligung und Diskriminierung  
  Psychische Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie sind eine schwere Belastung für alle Betroffenen. Erschwerend hinzu kommt - für Patienten ebenso wie für Angehörige und Freunde -, dass dieses Leiden auch heute noch mit Klischees und Vorurteilen behaftet ist: Schizophrenie-Patienten sind gleichsam stigmatisiert durch ihre Krankheit. Häufig sehen sich die Betroffenen zudem rechtlichen Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt.  
"Schizophrenie-Patienten haben nach wie vor mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen", kritisiert Karin Gutierrez-Lobos von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie: "Obwohl Schizophrenie relativ häufig auftritt, ist sie in einem hohen Ausmaß mit Klischees und Vorurteilen behaftet."
Stigmatisierung - Benachteiligung - Diskriminierung
Schizophreniepatienten würden - fälschlicherweise - für unbehandelbar, unberechenbar und gefährlich gehalten, so die Expertin. "Diese Stigmatisierung, aber auch die rechtliche Benachteiligung und daraus entstehende Diskriminierung machen Betroffenen und Angehörigen das Leben zusätzlich zur Qual."
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Zahlen und Fakten zu Schizophrenie
Weltweit muss jeder Einhundertste damit rechnen, irgendwann in seinem Leben eine schizophrene Psychose zu erleiden. Alleine in Österreich sind mehrere 100.000 Menschen direkt als Erkrankte und indirekt als Angehörige von Schizophrenie betroffen. Rund 800 Neuerkrankungen kommen pro Jahr dazu.
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Ablehnung - sichtbar auch in der Rechtsauslegung
Wie Gutierrez betont, zeigt sich die ablehnende Einstellung der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger gegenüber den betroffenen Patienten ganz deutlich in rechtlichen Bestimmungen und in der Auslegungs- und Durchführungspraxis derselben.

"Es gibt Gesetze, die direkt und offen psychisch kranke Personen diskriminieren, aber auch Gesetze, die zwar nicht ihrem Wesen nach stigmatisierend sind, jedoch bei psychischen Erkrankungen Sonderpassi anführen, die zum Nachteil der Betroffenen angewendet werden können", so die Medizinerin.

Selbst in gesetzlichen Vorschriften, die primär zum Schutz von psychisch Kranken erlassen wurden, finden sich diskriminierende Paragraphen.
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Was ist Schizophrenie?
Keinesfalls eine "Bewusstseinsspaltung" a la "Dr. Jekyll und Mr. Hyde". Die Betroffenen leiden vielmehr unter psychotischen Phasen, während deren Dauer Denken, Fühlen, Verhalten und Wahrnehmung massiv beeinträchtigt sind. Ein typisches Zeichen der Schizophrenie ist das Verschwimmen der eigenen inneren Welt, die oft voller phantastischer Inhalte ist, und der Realität. In solchen Phasen können Betroffene den Alltag nicht mehr meistern und erfahren mitunter das vielzitierte Stimmenhören.
->   Weitere Informationen zu Schizophrenie
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Diskriminierungen im Kirchen- und Eherecht
So finden sich im Zivil- und Kirchenrecht Bestimmungen, die im Falle einer psychischen Krankheit die Ehe für null und nichtig erklären.

"Will ein Schizophrenie-Patient heiraten und wird er auch nur für eine Angelegenheit besachwaltert, benötigt er - aufgrund mangelnder Geschäftsfähigkeit - die Zustimmung des Sachwalters", zeigt Gutierrez weitere rechtliche Diskriminierungen auf. "Die falsche Vorstellung, dass Schizophrenie unbehandelbar und chronisch ist, spiegelt sich in diesen Maßnahmen wider."
Die häufigsten Vorurteile: "Gefährlich" und "unheilbar"
Die häufigsten falschen Vorstellungen sind, dass Schizophreniekranke eine gespaltene Persönlichkeit haben, wesentlich gefährlicher als Gesunde sind, und dass die Krankheit unheilbar ist.

Das Vorurteil der Unheilbarkeit und Unbehandelbarkeit hielt jedoch nicht einmal zu Zeiten, als es noch keine modernen Therapien gab. Denn ein Teil der an Schizophrenie Erkrankten wurde auch zu jener Zeit wieder gesund. Umso weniger gilt dieses Vorurteil heute, wo eine breite Palette von hochwirksamen pharmakologischen, psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Behandlungsmethoden zur Verfügung steht.

Die Symptome werden erfolgreich behandelt, der Krankheitsverlauf abgekürzt und die Lebensqualität der Patienten - und indirekt auch die ihrer Angehörigen - deutlich verbessert.
Kein Recht auf Rehabilitation?
Zwar ist etwa im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich auch die Rehabilitation psychisch Kranker vorgesehen, aber: "Immer dann, wenn z.B. nach der akuten Behandlungsphase bei Schizophreniepatienten zur weiteren Stabilisierung zusätzliche, aber der Dichotomie 'gesund-krank' scheinbar widersprechende Behandlungsschritte unternommen werden, sind psychisch Kranke benachteiligt", erläutert Gutierrez.

"Komplementäre Einrichtungen vergleichbar denjenigen, die somatisch Kranken zur Verfügung stehen, gibt es für psychisch Kranke kaum, Kur- und Rehabilitationsaufenthalte werden erst gar nicht angeboten", so die Medizinerin weiter.
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Noch mehr Ungerechtigkeiten bei den Krankenkassen
Schon der Weg zur Behandlung kann mitunter erschwert werden. So werden Krankentransporte in einigen Fällen, z.B. bei Panikstörungen, nicht von der Krankenkasse bezahlt. In fast allen privaten Zusatzversicherungen gibt es einen Passus, dass Leistungen bei Vorliegen psychischer Störungen nicht oder in nur deutlich geringerem Umfang gewährt werden.

Ungleichheiten bei der Gewährung von Taggeld für Krankenhausaufenthalte, Pflegeunterstützung, Auslandsversicherungen und Reiserückholversicherungen vervollständigen das Bild.
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"Zankapfel" Psychotherapie
Auch bei einer der drei wichtigsten Säulen der Schizophreniebehandlung, der Psychotherapie, kommt es mitunter zu merkwürdigen Gebarungen. So werden bei "Psychotherapie auf Krankenschein" generell überhaupt nur etwa ein Drittel der anfallenden Kosten vergütet.

D.h. dass eine wirksame und anerkannte Behandlung für einen Großteil der Patienten erst gar nicht verfügbar ist. Gutierrez: "Die Wiener Gebietskrankenkasse hat darüber hinaus sogar diskutiert, im Fall einer Erkrankung mit psychotischen Symptomen gar nur 30 Stunden Psychotherapie, bei anderen Störungen aber zumindest 70 Stunden zu refundieren."
Studie soll Klarheit verschaffen
Als Teil der österreichischen Anti-Stigmatisierungskampagne wurde nun eine Untersuchung über potentiell diskriminierende Inhalte von Gesetzen - Sozialversicherung, Unterbringungsgesetz, Straf- und Zivilgesetzgebung etc. - initiiert. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

Barbara Urban, Ö1-Radiodoktor
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Die Ö1-Sendung zum Artikel
Karin Gutierrez-Lobos ist am Montag, 16. 12. 2002, bei "Radiodoktor" Wolfgang Enenkel zu Gast: Die Sendung läuft von 14.05 bis 14.40 Uhr in Ö1, Interessierte haben die Möglichkeit, sich zwischen 14.10 und 14.35 Uhr unter der kostenfreien Telefonnummer 080022 - 6979 in die Sendung einzuschalten.

Eine kostenlose Informappe zur Sendung kann bestellt werden unter: ORF Redaktion Radiodoktor, Postfach 1000, Kennwort Schizophrenie, 1040 Wien
->   Radio Österreich 1
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->   Zusammenschluss von Institutionen im Bereich psychische/soziale Gesundheit
->   HPE-Österreich: Hilfe für Angehörige und Freunde psychisch Erkrankter
->   Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie
 
 
 
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01.01.2010