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Brasiliens Tabuthema: Kampf gegen die Lepra  
  In Brasilien sind Hunderttausende Menschen an Lepra erkrankt. Jährlich werden 45.000 neue Fälle gezählt, die Dunkelziffer liegt höher. Der Kampf gegen die Krankheit ist mühsam, "Aussatz" weiter ein Tabuthema.  
In Brasilien sind nach Indien weltweit die meisten Menschen an Lepra erkrankt, doch die hoch ansteckende Krankheit ist in Rio, Sao Paulo oder Brasilia ein Tabu.
Ungenügende Information über die Erkrankung
Kaum jemand redet über die Aussätzigen und vor allem die Armen sind nur ungenügend über die Krankheit informiert. So sorgte der Fall einer Frau für Schlagzeilen, die ihr drei Monate altes Enkelkind in Sao Paulo in einem Fluss ertränkte, weil das Kind angeblich an Lepra erkrankt war.
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Lepra: Weniger ansteckend als früher angenommen
Lepra wird von Bakterien ausgelös. Erreger ist das 1872 entdeckte Mycobacterium leprae, der Infektionsweg ist noch nicht genau bekannt. Der Aussatz kommt vor allem in tropischen und suptropischen Ländern mit geringem Hygienestandard vor und hat im Wesentlichen zwei Verlaufsformen:

Die Nervenlepra (tuberkuloide Lepra) führt zu fleckenartigen Hautveränderungen und strangartigen Nervenverdickungen. Die Nervenschäden können zu Gefühlsstörungen und Lähmungen führen. Die Nervenlepra hat eine bessere Prognose als die wesentlich ansteckendere lepromatöse Lepra, die sich durch Haut-Knoten vor allem im Gesicht bemerkbar macht. Bei dieser Form kann es zu schweren Nervenschäden und Verstümmelungen an Gesicht und Gliedmaßen kommen.

Lepra ist weniger ansteckend als früher angenommen. Zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit können mehrere Jahrzehnte vergehen. Eine Impfung gibt es nach Angaben des Robert Koch-Instituts nicht. Die Krankheit lässt sich mit Antibiotika gut behandeln. Der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe zufolge ist die Zahl der neuen Leprafälle in den vergangenen Jahren auf jährlich etwa 700.000 gestiegen. Besonders stark von der Krankheit betroffen ist Indien. Aber auch Brasilien, Indonesien, Myanmar und verschiedene afrikanische Länder gehören zu den Brennpunkten.
->   Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe
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Zeitungsberichte: Kranke werden ausgestoßen
"Die Kranken werden immer noch von der Gesellschaft ausgestoßen", schrieb jüngst die Zeitung "Estado de Sao Paulo".

Tausende Lepra-Kranke, die zu Hause leben könnten, müssen in Sonderkliniken und den früher so genannten "Kolonien" behandelt werden, weil sie von Familie und Gesellschaft zurückgewiesen werden, berichtete die Zeitung "Jornal do Brasil".

Nach diesem Bericht werden im nordöstlichen Land Ceara Prostituierte "ausgebildet", um Leprakranke "erkennen zu können".
Brasilien: 80 Prozent aller Fälle in Südamerika
In Brasilien konzentrieren sich nach Schätzungen aus Brasilia 80 Prozent aller Lepra-Fälle Südamerikas. Jedes Jahr kommen 45.000 neue Erkrankungen hinzu. Vier von 10.000 Einwohnern waren 2001 betroffen.

In der Gemeinde Itupiringa im nördlichen Urwaldland Para waren es sogar 66 Lepra-Fälle pro 10.000 Einwohner. Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) spricht bereits von einem "Problem für die Volksgesundheit", wenn die Rate mehr als 1 zu 10.000 beträgt.
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Die Lepra-Kolonie Santo Angelo, Sao Paulo
Manoel Soares gehört zu den Ausgegrenzten. Der 75-Jährige wurde als Kind in die Lepra-Kolonie Santo Angelo im Land Sao Paulo zwangsinterniert. Heute lebt er mit 220 weiteren Kranken immer noch dort - "freiwillig", wie er betont.

Jeder Kranke hat sein eigenes Häuschen. In einigen Häusern leben ganze Familien. Obwohl blind und körperlich entstellt, lacht Manoel ständig. Und doch beklagt er "die Vorurteile der Gesellschaft". "Die Gesellschaft schuldet diesen Menschen sehr viel", meint Sozialarbeiterin Anita, die mit Tanz- und Theaterabenden das Selbstbewusstsein der Kranken zu stärken versucht.
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Neue Versuche zu einer Integration
Nach Jahrzehnten der Ausgrenzung setzen sich die Verantwortlichen in Brasilien seit einigen Jahren für die Eingliederung der Kranken in die Gesellschaft ein. 1995 strich der Kongress per Gesetz das Wort "Lepra" aus dem offiziellen Sprachgebrauch. Seitdem darf nur noch der wissenschaftliche Begriff "Hansen-Krankheit" verwendet werden.

"Wir haben die Zahl der Kranken durch Behandlung und Vorbeugung zwischen 1985 und 2001 von 250.000 (17 pro 10.000 Einwohner) auf knapp 75.000 gedrückt", heißt es in der Abteilung für Hautkrankheiten im Gesundheitsministerium.
Dunkelziffer: 180.000 Neuinfizierte jährlich?
Jährlich würden 50.000 Patienten von der Krankheit geheilt. Nach Angaben einiger Ärzte gibt es allerdings eine beträchtliche Dunkelziffer. Danach sollen auf jeden der 45.000 jährlich neu registrierten Kranken drei weitere Infizierte kommen.
"Dezentralisierung" im Kampf gegen die Krankheit
Brasilias setzt im Kampf gegen Lepra auf die "Dezentralisierung": Man habe ein Netz von kommunalen Gesundheitszentren errichtet. Dort würden die Kranken behandelt.

Allein 2002 wurden dafür nach Angaben des Ministeriums umgerechnet fast 20 Millionen Euro investiert, so viel wie nie zuvor. Die Kommunen würden beteiligt und Medikamente kostenlos geliefert.

"Vor allem ist aber die Entstigmatisierung wichtig, denn viele Menschen ziehen es heute vor allem in den Dörfern immer noch vor, mit der Krankheit zurückgezogen zu leben, als sich einer öffentlichen Behandlung zu unterziehen", meint der Gemeindepfarrer Julio Munaro.

(Emilio Rappold, dpa)
->   Artikel zum Thema Lepra in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010