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Philosoph Odo Marquard wird 75  
  Nach eigener Einschätzung ist er "eine Art Geisterfahrer des Weltgeists": Odo Marquard, der Skeptiker unter den deutschen Philosophen, wird am Mittwoch (26. Februar) 75 Jahre alt.  
"Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt"
Seine Philosophie kommt leicht und humorvoll daher. Um den Ernst des Fachs "aushaltbarer zu machen", vergnügt der Gießener Kulturwissenschaftler sein Publikum mit pointierten Formulierungen und gewitzten Vergleichen. "Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt", hat Marquard einmal als seine Devise ausgegeben.
"Kompensationstheorie" der Geisteswissenschaften
Öffentliche Aufmerksamkeit erregte Marquard vor allem mit der von seinem Lehrer Joachim Ritter angeregten "Kompensationstheorie" der Geisteswissenschaften. Der Siegeszug der Naturwissenschaften mache die Geisteswissenschaften keineswegs überflüssig, sondern stärke ihre Bedeutung als notwendiges Gegengewicht, argumentiert der Philosoph: "Je moderner die moderne Welt wird, desto unvermeidlicher werden die Geisteswissenschaften."

Sie sollten die "lebensweltlichen Verluste", die mit dem Fortschritt unweigerlich einhergingen, ausgleichen.
"Wegsparen der Geisteswissenschaften ist kurzsichtig"
Als Marquard seine These 1985 auf der Westdeutschen Rektorenkonferenz in Bamberg vorstellte, ging eine Welle der Entrüstung durch die Wissenschaftswelt. Kritiker sahen darin eine konservative Verklärung einer heilen Vergangenheit und warfen ihm Verrat an der aufklärerischen Vernunft vor.

"Da hat man mich kräftig verprügelt", erinnert sich Marquard. Dennoch halte er nach wie vor an der Theorie fest: "Das Wegsparen der Geisteswissenschaften ist sehr, sehr kurzsichtig. Binnen kurzem wird man wieder nach ihnen rufen."
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Biographie
Marquard, 1928 in Stolp (Pommern) geboren, besuchte bis zum 17. Lebensjahr eine NS-Kaderschule. Kurz vor Kriegsende wurde er zum Volkssturm eingezogen und geriet in Kriegsgefangenschaft. Auf Grund seines "frühen Irrtums" und der Erfahrung mit dem totalitaristischen Nazi-Regime wurde er nach eigener Darstellung zum Skeptiker - "gegen Dogmatismus und Absolutheitsillusionen". 1954 promovierte Marquard in Freiburg, 1963 habilitierte er sich in Münster. Von 1965 bis zu seiner Emeritierung 1993 lehrte er an der Universität Gießen. Als Hauptwerke gelten die beiden Bände "Abschied vom Prinzipiellen" (1981) und "Apologie des Zufälligen" (1986).
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Philosophische Theorie der modernen Welt
Ob Geschichtsphilosophie, Ästhetik, Anthropologie, Hermeneutik oder Psychoanalyse: Mit seiner Forschung deckt der Wissenschaftler ein breites Themenspektrum ab. "Es ging eigentlich immer um eine philosophische Theorie der modernen Welt - und um den Versuch, die Bürgerlichkeit der modernen Welt positiv zu sehen", fasst Marquard die unterschiedlichen Facetten seines Werks zusammen.
Konservativ geworden nach 68
Das Anti-Bürgerliche zum Beispiel der "Frankfurter Schule", in deren "Fahrwasser" er eine Zeit lang war, sei auch für ihn zunächst eine Versuchung gewesen. Doch als die 68er Generation versucht habe, die Bundesrepublik völlig umzukrempeln, sei er konservativ geworden, sagt Marquard - "um die liberale, bürgerliche Demokratie zu bewahren".

Seine Plädoyers für Bürgerlichkeit ("Ich verweigere die Bürgerlichkeitsverweigerung") und Gewaltenteilung richten sich vor allem gegen den politischen Extremismus des 20. Jahrhunderts.
Besessen vom Schreiben
Obwohl ihm das Schreiben nicht leicht falle, sei er davon noch immer "einigermaßen besessen", erzählt Marquard. Jeden Tag setzt er sich an die Schreibmaschine und formuliert in seiner - mehrfach preisgekrönten - wissenschaftlichen Prosa Essays und Vorträge.
->   Interview mit Marquard (Information Philosophie)
 
 
 
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01.01.2010