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Soziale Verhaltensweisen bei Kapuzineraffen  
  Menschliche Kulturen sind voller sozialer Konventionen und Regeln des sozialen Verhaltens. Um ihre Ursprünge und Entwicklung besser zu verstehen, untersuchen Wissenschaftler auch die Verhaltensweisen in der Tierwelt. Ein Anthropologen-Team hat nun beobachtet, wie Kapuziner-Affen ihre Beziehungen zu Artgenossen "testen": Die Tiere benutzen demnach ganz spezielle Rituale und Spiele.  
In der Fachzeitschrift "Current Anthropology" berichten die Wissenschaftler um Susan Perry vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie von ihren Ergebnissen.
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"Social conventions in Wild White-faced Capuchin Monkeys"
Der Artikel "Social conventions in Wild White-faced Capuchin Monkeys: Evidence for Traditions in a Neotropical Primate" ist erschienen in "Current Anthropology", Bd. 44, Nr. 2, vom April 2003, S. 241-268.
->   "Current Anthropology"
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Soziale Traditionen und menschliche Kultur
Soziales Lernen und soziale Traditionen (als ein Ergebnis sozialen Lernens) von Tieren sind heute ein wichtiges Forschungsgebiet, weil sie viel über die Entwicklung und die Ursprünge der menschlichen Kultur aussagen können.
"Kulturelle Primatologie": Über die Menschenaffen hinaus
Die anthropologische Forschung zu dieser "Kulturelle Primatologie" genannten Disziplin konzentrierte sich bisher nur auf die großen Menschenaffen.

Doch soziales Lernen ist nicht nur auf Menschen und ihre engsten Verwandten beschränkt; einige der am besten dokumentierten Beispiele für soziales Lernen - wie die Gesangstraditionen von Singvögeln - finden sich außerhalb des Primatenbereichs.

Will man also die sozio-ökologischen Faktoren verstehen, die aus evolutionären Sicht das soziale Lernen fördern, ist es notwendig, in der Anthropologie über die Menschenaffen hinaus zu blicken.
Kapuzineraffen als Forschungsobjekt
Foto: Max-Planck-Institut f¿r evolution¿re Anthropologie
Weißschulterkapuziner-Affen
Kapuzineraffen (Cebus capucinus) sind für solche Studien ein interessantes Beispiel, weil sie ebenfalls viele Verhaltensweisen entwickelt haben, die für Menschen und etwa Schimpansen typisch sind.

Sie haben im Vergleich zu ihrer Körpergröße ein außerordentlich großes Gehirn, leben in größeren Gruppen, sind Allesfresser, geschickte Jäger sowie versiert im Werkzeuggebrauch und unterhalten komplexe soziale Beziehungen.

In mehr als dreizehn Jahren beobachteten Susan Perry und weitere neun Anthropologen an vier verschiedenen Teilen von Costa Rica dreizehn unterschiedliche Gruppen von Weißschulter-Kapuzineraffen.
Forscher untersuchten "Verhaltensrituale"
Bei ihren Beobachtungen konzentrierten sich die Forscher ausschließlich auf soziale Konventionen bzw. so genannte Verhaltensrituale, wie das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in einer Aussendung mitteilte.
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Verhaltensrituale: Praktiken einer Gruppe
Unter "Verhaltensritualen" versteht man Praktiken, die von verschiedenen Mitgliedern einer Gruppe angewandt werden, über längere Zeit bestehen bleiben und von neuen Gruppenmitgliedern erlernt werden müssen. Menschliche Kulturen sind voller sozialer Konventionen, Regeln des sozialen Verhaltens in Gruppen oder Cliquen. Deshalb brauchen Fremde häufig Jahrzehnte, um sich an eine lokale Kultur soweit anzupassen, dass sie die subtilen Nuancen im Verhalten kennen und nicht mehr "anecken".
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Drei typische Konventionen bei den Affen
Foto: Max-Planck-Institut f¿r evolution¿re Anthropologie
Weißschulterkapuziner-Affen beim Beschnüffeln der Hände
Die Forscher identifizierten drei typische Verhaltenskonventionen, die Affen in Ruhepausen benutzen: Handschnüffeln, Saugen an Körperteilen sowie verschiedene "Spiele":

Beim Handschnüffeln legt sich ein Affe die Hand eines anderen auf Mund und Nase und atmet dann Minuten lang tief ein.

In einigen Gruppen wurden Paare von Affen auch wiederholt dabei beobachtet, wie sie lange Zeit damit zubrachten, an den Fingern, Zehen oder Ohren des anderen zu saugen.
Paarweises Spielen: "Finger im Mund" ...
Zudem konnten die Wissenschaftler beobachten, wie die Affen paarweise miteinander "spielten". Das am häufigsten beobachtete Spiel ist das "Finger-im-Mund-Spiel":

Hierbei steckt ein Affe seinen Finger in den Mund des anderen, der dann zwar sacht, aber doch so fest auf den Finger beißt, dass dieser nicht einfach wieder aus dem Mund gezogen werden kann.
... oder "Spielzeug-Spiel"
Beim "Spielzeug-Spiel" steckt sich ein Affe ein Stöckchen, ein Blatt, ein Stück Rinde oder eine unreife Frucht in den Mund. Der zweite Affe versucht nun, den Mund des anderen zu öffnen und sich dieses "Spielzeug" herauszuholen.

Hat er das endlich geschafft, steckt er sich das Stückchen selbst wieder in den Mund, und nun versucht der andere Affe wiederum, sich dieses Spielzeug zurück zu erobern.
Unabhängige "Erfindungen"
Einige dieser Konventionen wurden von den Affen unabhängig voneinander an unterschiedlichen Orten in identischer Form "erfunden", andere wiederum verschwanden nach einigen Jahren wieder.
Qualitätstest für soziale Bindungen
Perry und ihre Kollegen gehen davon aus, dass Kapuzineraffen diese Verhaltensweisen an den Tag legen, um die Qualität ihrer sozialen Bindungen mit Gruppenmitgliedern immer wieder einem Test zu unterziehen.
Mehr Forschungen zu "Konventionen im Tierreich"?
Trotz der Bedeutung, die soziale Konventionen für die menschliche Kultur haben, gibt es bisher nur sehr wenige Untersuchungen über soziales Lernen und Traditionen unter Affen und anderen Tieren.

Susan Perry und ihre Kollegen hoffen, dass jetzt auch andere Wissenschaftler, die sich mit sozial kooperativen Tieren beschäftigen, beginnen werden, Beobachtungsdaten zu diesem Thema zu sammeln.
Tieferes Verständnis für menschliche Kultur
Auf diese Weise, so hoffen die Forscher, werden wir nach und nach in der Lage sein, nachzuvollziehen, wie stark soziale Konventionen bereits im Tierreich verbreitet sind und unter welchen Umständen sie entstehen.

Namhafte Anthropologen würdigen in begleitenden Kommentaren diese Forschungsergebnisse als einen "Meilenstein" nicht nur in der Untersuchung von sozialen Traditionen unter Tieren, sondern auch für ein tieferes Verständnis der Wurzeln menschlicher Kultur.
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Beispiel Oran-Utans: Kultur-Fähigkeit älter als bisher angenommen
 
 
 
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01.01.2010